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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Stern, Adolf: Mörikes Prosa
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0633

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ües Wortes ist, jeder Zoll und jede Faser seines Wescns nur Dichtcr,
wie sein Landsmann Strauß von ihm gesagt hat, daß er sich durch-
aus und streng im Kreise der unmittelbarsten Anschauung, des be-
seeltesten Traumlebens, des elementarsten und schlichtcsten Gefühls-
ausdrucks hält. Es liegt auf der Hand, daß ein so gcarteter Dichter,
wann und wo er sich der Prosa als Kunstmittels bedient, sie eben
nur in scinem Sinne handhaben, sie poetisch vcrgeistigen wird, daß
ihm jede Versuchung fernliegt, etwa mit ihrer Hilfe den Kreis des
Poctischen Schauens nnd Fühlens zu sprengen und das freie Feld
der äußerlichen Weltschilderung, der Betrachtung und Abstraktion zu
gewinnen. Die alles überherrschende dichterische Anlage einer Natur,
wie Eduard Mörike bis in seine Briefe hinein bleibt, wird im Gegen-
teil eine Prosa zeitigcn, bei der der Dichter darnach trachtet, das
lebensvolle Bild, das vor scincn Augen steht, durch den dcckendcn,
glcichsam zwingenden Ausdruck auch vor unsere Augcn zu zaubern,
und wo für dic tiefste und geheimste Empsindung und Stimmnng
seines Gemüts ein oder ein paar schlichte Sätze genügen miisscn.
Deun das Wesen echt poetischer Prosa schlicßt ja jedes gcistrcichc
Spiel, jedes Wortfeuerwerk aus, nötigt den Dichter, allcn Worten
dcr Sprache ihr einfaches und namentlich ihr ursprüngliches Gcwicht
zurückzugeben, wobei sich bewußt und unbcwnßt ueue Reize des sprach-
lichen Ausdrucks entfalten.

Daß der Erzähler Mörike — dcnn um den Erzähler handelt
es sich bei ihm als Prosaiker ausschlicßlich — Pfade einschlug, dic, von
Goethe abgesehen, die Prosa der Romantiker in ihrcn ältern, ur-
sprünglichern und treuherzigern Erzählungen und Märchen zuerst be-
treten hatten, daran braucht kaum erinnert zu werden. Auch würde
eiu genauer Verglcich des Romans „Maler Nolten" mit erzählcndcn
Schöpfungen der Romantik neben deu Uebereinstimmungen der dar-
stellcnden Mittel romantischer Poeten sv starke und charakteristische
Abweichungen ergeben, daß sich auch bei dieser Jugendschöpfung er-
kennen ließe, wie frei Mörike blieb von der romantisicrendcn Manier,
die das Arglose, ja Alberne einem mit Geift und Fülle dcr Leidenschaft
gesättigten Ausdruck unter Umständen vorzog. Denn schon in dem
genannten Jugendwerk strebt Mörikes Stil nicht eincr kiinstlichen
Simplizität, sondern einer geläuterten Bestimmtheit, einer Einfachheit
zu, durch die sich das feinste Geäder individuellcr Belcbung hindurch-
zieht. Mit dem sichcrn künstlerischen Jnstinkt dcs vom Odem lcben-
diger Poesic durchdrungencn Dichters weiß Mörike, daß dic verbor-
gensten Scclcnregungen, die schärfsten Charaktcrzüge der Menschcn-
natnr, die unübersehbare Vielheit des Wirklichen nnd die Rütsel des
Menschenschicksals zuletzt auf elementare Ursprünge zurückzuführen
sind, und daß der poetische Darsteller die Aufgabe, ja die Pflicht
hat, zu dicscn Ursprüngcn, soweit er vermag, durchzudringen. Trifft
die Wicdergabc auch modcrner, darum komplizierter Wirklichkeit und
eigenartigcr Verflechtungen des Weltlaufs dicsen entscheidenden Pnnit,
so kann sie im Ausdruck gar nicht anders als einfach kräftig oder
cinfach zart erscheinen, und nur wo sie ihn cinmal nicht trifft, ist
es, als ob die sprachliche Form mit ihrer Dcntlichkeit auch ihre Leucht-
kraft verlöre.

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