Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
DOI Artikel:
Stern, Adolf: Mörikes Prosa
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0634

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jst aber diese Einfachheit, die alle Zauber der Mannigfaltigkeit ein-
schließt, einmal errungen, so kann die Entwicklung eines Prosaikers
wie Mörikes ke'ine wesentlichen und tiefgreifenden Einschnitte zeigen.
Da im höchsten Sinne jedes zur Gestalt kommende Stück wahrhas-
tiger poetischer Erfindung, jeder zu Fleisch und Blut gewandelte
poetische Traum seine notwendige Form, das Maß seines sprachlichen
Ausdrucks in sich trägt, so ergiebt sich alle weitere Dnrchbildung,
Steigerung und Wirknng klassisch einfachen Prosavortrags aus dem
doppelten Mehr oder Minder des seelischen Einklangs des Dichters
mit seinem Stoff und der glücklichen Stimmungskraft, in der die
Gestalt geboren wird. Mörikes spätere Novellen und Märchen sind
durchgängig knapper, schlichter in den Motiven, einhcitlicher im Grund-
ton als „Malcr Nolten". Der Jugendroman, dessen eigenstes und
größtes Verdienst, in der ersten wie in der späteren reiferen Fassung,
in der tiefen Ergründung des dunkelsten Welträtsels bernht, daß die
Untreue mit der Treue zugleich gesetzt ward, daß die Treue die
höchste Forderung an den Menschen, die reinste Kraft seiner Natur
bleibt, und die Untreue doch als tragische Notwendigkeit aus dem
Gange des Lebens selbst erwächst, ist nicht in allen Teilen znr
reinsten Verkörperung und damit auch nicht in allen Teilen zur
vollsten Durchsichtigkeit, zu der schönen Schlichtheit gediehen, die sieg-
haft und zwingend bleibt. Der Schimmer und Schmelz der Dinge, die
geheimsten Wonnen und Qualen des Herzens sind natürlich so gut
Wirklichkeit wie äußere Bilder uud Begebenheiten und können mit
der gleichen anschaulichen Klarheit vom Dichter wiedergegcben werden.
Es liegt ein unendlicher Reiz im Ringen der Mörikeschen Jugcnd-
prosa nach dieser Klarheit, die natürlich mit der gemeinen Deutlich-
keit so weuig zu schaffen hat, als der lichte Farbenschein intimer Bil-
der mit harten und spröden Umrissen.

Es läßt sich nicht bezweifeln, und der Vergleich der zweiten mit
der ersten Fassung des Romans „Maler Nolten" beweist es, daß
Mörike sich jener Ungleichheit bewußt war, so hohen Wert er mit allem
Recht auf sein erstes Prosawerk legte. Eine zweite Komposition von
gleichem Umfang wie „Maler Nolten" besitzen wir, wie gesagt, nicht,
wohl aber die Sammlung von Novellen, Erzählungen, Märchen, die
in charakteristischem Wechsel des Tons doch alle des Dichters Eigen-
art, sein innerstes Wesen getreu spiegeln. Jn Ernst und Humor, im
Schauer schöpserischen Tiefblicks in das Herz der Welt, wie in treu-
herzig schalkhafter Beobachtung des kleinen Lebens bewahrt Mörike
die wunderbare Reinheit, die anspruchslose und dennoch den höchsten
Ansprüchen genügende, ja nicht zu übertreffende Ausdruckskraft seines
Prosavortrags. Da der Dichter uicht einmal den leisestcn Versuch
macht, deu Kreis zu durchbrechcn, den ihm Natur, Lebensschicksal,
eigenes, halb scheues, halb trüumerisch-feinsiuniges Begnügen gczogen,
da die sichtliche Erweiterung dieses Kreises in cinigen der späteren Ge-
schichten und namentlich im letzten Meisterstücke, in der Novelle „Mözart
aus der Reise nach Prag" unbewußt mit der Vertiefung und Reife
seines Wesens erfolgte, so qnillt die erhöhte Schönheit seiner späteren
erzählenden Prosa lediglich aus der Sättigung mit poetischen Urelemen-
ten. Die Geschichten vom Stuttgarter Hutzelmännlein samt der Historie
von der schönen Lau, die lebensvollsten Prosazeugnisse des in Mörikes

s^o

Kunstwart
 
Annotationen