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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Stern, Adolf: Mörikes Prosa
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0635

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Gedichten bewährten erquicklichen Humors sind bielleicht um eincn
Ton zu tief auf die volle Naivität gestimmt, aber die sonnige Heiter-
keit ungebrochenen Lebensgefühls, wohligen Behagens auch am Klei-
nen und Endlichen durchdringt ihre Darstellung. Gewisse Einzelheiten
und Wendungen des Stils entsprechen durchaus der subjektiven Schalk-
haftigkeit Mörikes, daher sie keineswegs nachahmbar sind und das
Gepräge schlichtester Natürlichkeit nicht verlieren. Bei wenigen Er-
zählern hat man so unbedingt den Eindruck, als gübe es für das
ihrer Phantasie, ihrem Gemüt oder Humor Entsprungene überhaupt
keine andere sprachliche Fassung. Bis in Zeitwort, Beiwort und Aus-
ruf hinein trifft der Dichter in Ernst und Spiel den Ton, den Aus-
druck, der uns das Tiefsinnigste und Wunderlichste, wie das Einfachste
und Alltäglichste mit gleicher Notwendigkeit, eines wie das andere
im rechten Augenblick, jedes ohne falsche Akzente und gewaltsame
Unterstreichungen sagt.

Die letzte, reifste, unvergängliche novellistische Gabe Mörikes,
die Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag", erscheint freilich wie
eine, trotz längst erreichter Meisterschaft, kaum geahnte Erhöhung und
Verklärung seiner Stilvorzüge. Daß der höchste Einklang der dich-
terischen Jndividualität mit dem frei erfundenen Stoff, der äußern
Schlichtheit und innern Größe des künstlerischen Helden mit den
gleichen Eigenschaften des Dichters, dazu ein zauberischer Wechsel von
himmlischer Fröhlichkeit und urkräftigem Behagen mit Leidenswonne
und Todesahnung in dieser Geschichte eines Tages aus Mozarts
Leben waltet, der Dichter hier wahrhaft, nach Hebbels Wort, den
goldenen Faden des Lebens durch den Gedanken des Todes gezogen
hat, erklärt den Reiz der Darstellung, der überzeugenden Bildkraft
des Ausdrucks in dieser Novelle freilich vollauf. Aber doch muß man
eine gestcigerte Freude am Doppelreiz des lebendigen Flusses des
Erzählens, des dramatischen Vorführcns annehmen, die vielleicht in
keiner zweiten dcutschen Novelle mit gleicher Kunst und gleich feinem
Stilgefühl einander ablösen.

Mörike hat von der Objektivität des alles verkörpernden und
gleichsam dramatisch vor Augcn rückcnden Novellisten selten Gebrauch
gemacht, sich meist das alte Recht des Erzählers gewahrt, die minder
bedeutenden Episoden einer Erzählung gedrängt nnd knapp zu be-
richten. Daß es sich bei ihm niemals und am wenigsten in der letzten
Meisternovelle um das Verlegenheitsreferat des Dilettanten, der die
Dinge nicht lebendig vor sich sieht, handeln kann, bedarf kcincs Worts.
Vielmehr sträubt sich das feine Gefühl des Dichters dagegen, unter-
geordnete, gleichsam zufällige Verbindungen, unerläßliche Seiten- nnd
Rückblicke des epischen Vortrags mit dem strotzenden Blut und. Leben
der dramatischen Szene zu erfüllen und sich dadurch der Ruhepunkte
Zu berauben, die ihm notwendig und wirksam erschicnen. Auch hier
muß wieder die Kunst der Mörikeschen Prosa bewundert werden. Ganz
leise, fast unmcrklich, sinkt die eben noch auf der Höhe einer dramatisch
lebendigen Szene geführte Novelle zum schlichten Bericht herab, fast
unmerklich schwillt sie wieder zum vollen Leben an; immer bleiben
wir im Bilde, wie in der Stimmung, die der Dichter will und be-
zweckt, oder Lesser, die den Dichter ganz erfüllt.

Doch auch hier gilt das, was sich schließlich als das charak-

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