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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 24 (2. Septemberheft 1904)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0660

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Darüber fällt mein Blick auf ein versiegeltes Kuvert: vom Abbate, dcn
greulichen Haken nach auf der Adresse — ja wahrlich! und schickt mir den
umgearbeiteten Rest seines Textes, den ich vor Monatsfrist noch nicht zu
sehen hofste. Sogleich sitz' ich begierig hin und lese und bin entzückt, wie
gut der Kauz verstand, was ich wollte. Es war alles weit simpler, ge°
drängter und reicher zugleich. Sowohl die Kirchhofsszene, wie das Finale,
bis zum Untergang des Helden, hat in jedem Betracht sehr gewonneu.
(Du sollst mir aber auch, dacht' ich, vortrefflicher Poet, Himmel und Hölle
nicht unbedankt zum zweitenmal beschworen haben!) Nun ist es sonst meine
Gewohnheit nicht, in der Komposition etwas vorauszunehmcu, und wenn
es noch so lockend wäre; das bleibt cine Unart, die sich sehr übel be-
strafen kann. Doch gibt es Ausnahmen, und kurz, der Auftritt bei der
Reiterstatue des Gouverneurs, die Drohung, die vom Grabe dcs Erschlagenen
her urplötzlich das Gelächter des Nachtschwärmers haarsträubend unterbricht,
war mir bereits in die Krone gefahren. Jch griff einen Akkord und fühlte,

ich hatte au der rcchten Psorte angeklopft, dahinter schon die ganze Legion

von Schrecken bcieinanderliege, die im Finale loszulassen sind. So kam
fürs erste cin Adagio heraus: 0 moU, vier Takte nur, darauf ein zweiter

Satz mit fünfen — es wird, bild' ich mir cin, auf dem Theater etwas

Ungewöhnliches gcben, wo die stärksten Blasinstrumcnte die Stimme be-
gleiten. Einstweilen hören Sie's, so gut es sich hicr machen läßt."

Er löschte ohne weiteres dic Kerzen der beiden neben ihm stehcndcn
Armleuchter aus, und jener furchtbare Choral: „Dcin Lachen endet vor
der Morgenröte!" erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von
entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbcrnen Posaunen, eiskalt,
Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue Nacht.

„Wer ist hier? Antwort!" hört man Don Juan fragen. Da hebt
es wieder an, eintönig wie zuvor, und gcbietet dem rnchlosen Jüngling,
die Toten in Ruhe zu lassen.

Nachdem dicse dröhnendcn Klänge bis auf die letzte Schwingung in
der Luft verhallt waren, fuhr Mozart fort: „Jetzt gab es sür mich bcgreif-
licherweise kein Aufhören mehr. Wenn erst das Eis einmal an einer Ufer-
stelle bricht, gleich kracht der ganze See und klingt bis an den entfern-
testen Winkel hinuntcr. Jch crgriff unwillkürlich denselben Faden weitcr
unten bei Don Juans Nachtmahl wiedcr, wo Donna Elvira sich ebcn ent-
fernt hat und das Gespenst, der Einladung gemäß, erscheint. — Hören
Sie an."

Es folgte nun der ganze lange, entsctzenvolle Dialog, durch wclchcn
auch der Nüchternste bis an die Grenze menschlichen Vorstellens, ja über
sie hinaus gerissen wird, wo wir das Uebersinnliche schauen und hören,
und innerhalb der eigenen Brust von cincm Aeußersten zum andern willen-
los uns hin und her geschleudert fühlen.

Menschlichen Sprachen schon entfremdct, bequcmt sich das unsterbliche
Organ des Abgeschiedenen, noch einmal zu rcden. Bald nach der ersten
sürchterlichen Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene irdische
Nahrung verschmäht, wie seltsam schauerlich wandelt seine Stimme aus den
Sprossen einer luftgewebtcn Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er fordert
schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem Geist die Zeit gemessen;
weit, weit, weit ist der Weg! Und wenn nun Don Fuan, im ungeheuren
Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter dem wachsenden Andrang

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