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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 1 (Oktoberheft 1921)
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Kammermusik fürs Volk
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0038

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aufgeben als diese. Würden Komponisten gewöhnlicher Prägung das Gleiche
zum Ausdruck bringen wollen, so wären sie unverständlich, »kompliziert«,
weil es ihnen eben nie und nimmer gelingt, zu der möglichst einfachen
Fassung zu dringen. Es ist dies ganz wie im Leben. Ieder hat schon Men--
schen getroffen, die selbst ein schwieriges Problem auf einfache Art verständ-
lich zu behandeln vermögen, während das Talent von anderen darin besteht,
etwas Einfaches derart kompliziert darzustellen, daß niemand daraus klug
wird. Wer sich denn auch Meisterwerke völlig zu eigen gemacht, wird immer
wieder erfahren haben, daj; die im Grunde gar nicht einfacher sein können;
zum mindesten sind sie es in ihrem Kern, von denen ein ahnungsvolles
Etwas auch zu jedem Kunstempfänglichen dringt.

Bei einem a h n un g sv o lle n Verstehen haben wir auch zunächst
stehen zu bleiben. Zunächst ist zu sagen, daß mit ihm jeder, auch der aller--
fähigste Hörer, arbeitet, vor allem, wenn er einem ihm ebenfalls noch unbe-
kannten Werk gegenübersteht. Es ist ganz ausgeschlossen, daß in einem solchen
Fall selbst ein derartiger Hörer in der Lage ist, vor allem gerade die motivische
Arbeit einer gehaltvollen Simphonie im einzelnen verfolgen zu können. Wer
sagt, er könne es, lügt, und unterzöge man ihn einer Prüfung, so könnte
er leicht überführt werden."

Das ahnungsvolle Mitgehen also bedeutet, wie Heuß meint, alles und
bildet die Grundlage für ein seelisch-geistiges Erfassen eines Werkes. Durch
dieses Mitgehen kömmt die eigentlich innere Verknüpfung aller Beteiligten,
des Schöpfers wie der tzörer, erst zustande. Und daß dieses beim musik-
empfänglichen, unverbildeten Hörer sogar stark schwingt, diese Erfahrung wird
man in Volkskonzerten bei einem beträchtlichen Teil der Zuhörer immer
machen können. Wie denn in diesem Sinne sich die Hörer der „Volkskon-
zerte" kaum überhaupt wesentlich unterscheiden von den vermeintlich so viel
verständnisvolleren Hörern anderer Konzerte.

Darüber hinaus glaubt Heuß allerdings, daß Erläuterungen notweudig
sind, die dem Zuhörer etwas Greifbares zu bieten haben, „jenes Greifbare,
zu dem er von sich aus in den seltensten Fällen gelangt, so es sich um etwas
Durchgreifenderes als um mehr oder weniger unverbindliche Vorstellungen
handeln soll".

„Gelingt nun aber eine Erklärung in einem derartigen Sinn, steht sie also,
wie alle echte Kunst, ebenfalls auf allgemein menschlicher Grundlage, und
gibt sie ferner dieses allgemein Menschliche in konkreten Vorstellungen, dann
kann erreicht werden, daß gerade auch dem Volk etwas gegeben wird, mit
dem es etwas Positives anzufangen weiß. Denn jetzt wird das Ahnungs-
gefühl, das wir als die Grundlage für ein menschlich-künstlerisches Verständ-
nis ansehen, mit einem „Bestimmten" genährt und schwingt nun nicht mehr
in unbestimmter, vager Art, sondern erhält Richtung und mit ihm ein Ziel.
Und instinktiv sucht der unverbildete Hörer, dem es beim Anhören bedeutender
Instrumentalwerke um etwas mehr zu tun ist, als nur um einen eigentlichen
Genuß, nach einem solchen, weil er das mehr oder weniger bestimmte Gefühl
hat, der betreffende Meister habe nicht nur Musik als solche zu vergeben,
sondern noch etwas Höheres, was nicht nur mit seiner bloßen Musikernatur,
sondern mit seinem ganzen, seelisch-geistigen Menschentum zusammenhänge."

Das Wesen der notwendigen Erklärungen erblickt tzeuß darin, die Ideen
musikalischer Werke erläuternd darzubieten. „Gibt man gerade dem Volke
»Ideen«, Gleichnisse, so greift es zu und kann selbst mit zyklischen Instru-
mentalwerken unsrer ersten Meister, also jenem Gebiet der Kunst, das ihm

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