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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1921)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Zweierlei Schauspieler: nach Possarts Tode
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0040

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heraus erobert worden sind. Äberall, wo Kunstfertigkeit, gebäudigte Leiden-
schaft, Äberlegenheit, Poiutenfiudigkeit uud Poiutensicherheit den Ausschlag
geben, hatte er keinen Nebeubuhler zu fürchten. Sein Advokat Bereut in
Björnsons „Fallissement", sein Chrysal in den „Gelehrten Frauen" und sein
Rabbi Sichel in Erckrnann-Chatrians „Freund Fritz" sind Zeugen für
solches Edelhandwerk. Ebenso uneingeschränkt gilt das Lob für seine Mün-
chener Mozartaufführungen, die er als Regisseur begründete, begleitete und
zu so lebendigen Siegen führte, daß man von ihnen aus eine neue Epoche
in der Mozartdarstelluug rechnen kann. Aber schon die Schöpfung des Prinz-
regententheaters entbehrte der inneren Notwendigkeit und hat denArgwohn,
ein Geschäfts-, ja ein Konkurrenzunternehmen zn sein, niemals ganz aus-
löschen könneu, obschon die Tatkraft, die Possart hier entfaltete, imponieren
mußte. Ernst von Possart hatte die überwältigende Persönlichkeit Richard
Wagners nicht, des Rattenfängers gröszten Stiles, der die verwöhntesten
Künstler arbeiten lehrte, als wären sie Anfänger, und ihnen dafür nur selten
gute Worte und iminer ein kärgliches Entgelt reichte. Eine Bayreuther Sache
gab es eben, eiue Münchener nicht: hier mußte es Possarts Diplomatie
machen.

Immerhin, was hätte Possart zeigen und leisten können, wenn er sich
auf die Theaterleitung und auf die Regie beschränkt und als Darsteller mit
dem vorlieb genommen hätte, was die Natur ihm iu die Wiege gelegt.
Auch da gab's hohe Gipfel für ihn: Octavio Piccolomini, Marinelli und
Carlos inr „ClavigoÄ In diesen Gestalten aber trat er als reisefreudiger
Gast nicht auf. „Clavigo", „Emilia Galotti" wareu ebeu keine Zugstücke,
bei denen der Provinzdirektor auf seine Kosten gekommen wäre; und eines
noch so vorzüglichen Octavio wegen studierte mau den „Wallenstein" nicht
ein. So war Possart genötigt, an die klassischen Aufgaben heranzutreten,
die auf Leidenschaft gestellt sind: Richard III., Iago, Franz Moor, Hamlet,
Shylock, Lear. Sein ganzes Wesen widerstrebte den Zügellosigkeiten, die hier-
für Antergrund waren. Er ging um sie herum, ein Rechner; er steigerte
Reden, Szenen, Akte, so daß man staunte; aber es machte nie den Eindruck,
als ob er sich vergäße. Die Maske, die er als Zeichner und Plastiker be-
herrschte, und die Intervalle der Töne mußten das Feuer der Seele
ersetzen. Darüber schwebt, wenn man will, ein tragischer tzauch. Der größte
Teil des Publikums, der auch im Theater seine Ruhe haben will, war freilich
von Possarts technischer Sicherheit entzückt; auch die Mehrzahl der Kritiker.
Ich erinuere mich, wie oft er uns Iüugeren in den Zeitungen als Mnster
vollkommener Gestaltung vorgehalten wurde, weil er — deutlicher sprach als
andre. Allzudeutlich; und der Cantilene näher, als es der deutsche Sprach-
charakter verträgt. Sein Manfred war auch außerhalb der Melodramen eine
Gesangsleistung. Wir, begeistert von jeder künstlerischeu tzerzeustat, beglückt
von Possarts Rabbi Sichel und seiuem Alten Fritzen in „Königs Befehl",
wir konnten bei seinem Franz Moor und seinem Gloster nicht recht wann
werden; wir sahen auch nicht ein, warum die Weisheit Nathans auf Flügeln
des Gesanges getragen wurde. Ilud es mag mitgesprocheu haben, daß Possart
gar zu gute Geschäfte machte, während Mitterwurzer, uuser Idol, so ziemlich
überall vor leeren tzäusern spielen mußte.

Mit den Begriffen alte und neue Schule iu der Schauspielkunst will
man hier und da etwas entschuldigen. Es tut so wohl, die Theatergänger
früherer Iahrzehnte für rückständig zu halten: die Natur auf der Bühne war
eben damals noch nicht so weit wie heute, sagen viele. Aber gerade unsre
 
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