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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 2 (Novemberheft 1921)
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Troeltsch, Ernst: Auf dem Weg zur neuen Mitte: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0119

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andern Ländern stattfindet, so daß Wirtschaftsführer und Wirtschaftsführer
(aber natürlich auch Arbeiterschaften und Arbeiterschaften) sich unmittelbar
verständigen. Solange das nicht der Fall ist, wird das Ausland sich an
Staat und Regierung halten und sie beide zwingen, möglichst stark zn sein,
d. h. sich auf einer breiten Mitte zu begründen und aus dem verbreiterten
Material möglichst starke politische Führer emporzutreiben.

Das weist in weite Zukunft und ich möchte lieber zum Schlusse wieder
in die sorgenreiche Gegenwart zurückkehren. tzier gibt es nämlich noch einen
Punkt, der durch die gegenwärtige Krise scharf beleuchtet und in den Vor-
dergrund gerückt ist: die Rolle des Beamtentums und vor allem des Rich-
tertums in der Gefährdung oder doch Lrschwerung der Republik. Der ehe-
malige Minister Hänisch hat in recht elegischen Artikeln im Berliner Tage-
blatt aus eigenen Erfahrungen berichtet, wie sein eigener bisheriger Ver-
waltungsapparat gegen ihn arbeitet und wie angesehene Richter ihm ver-
sicherten, daß durch Revolution und Rechtsbruch emporgekommene Regie-
rungen naturgemäß nicht den gleichen Rechtsschutz genießen können, wie
die legitimen. Es ist die alte berühmte Frage, wieviel Zeit nötig ist, bis
eine neue Rechtsordnung als legitim empfunden wird. Die Preußen stan-
den seinerzeit bei der Annexion Hannovers vor gleichen Empfindungen
zahlreicher hannoverischer Richter und Beamten. Ich habe vön niemand
erfahren können, wie die Preußen sich in dieser Lage geholfen und wie
sie vor allem dem Rechtsgefühl und der Zeit nachgeholfen haben. In
Frankreich hat man in den Zeiten des Kampfes zwischen Monarchie und
Republik, wo Bismarck bekanntlich entschieden für die Republik Partei
genommen hat, einmal auf zwei Iahre die Anabsetzbarkeit der Richter auf-
gehoben. Mit welchen Folgen, darüber habe ich nichts erfahren können. Es
ist kein Zweifel, daß in diesem Punkte eine sehr große Schwierigkeit für
uns besteht. Man braucht nur einmal der gerichtlichen Behandlung der
Kappisten nachzuforschen. Sie sind meistens mit Hilfe der Amnestie, die
nur die „Führer" dem Gericht vorbehalten wollte, durchgeschlüpft. Die Ge-
richte haben dann eben die Führerschaft der betreffenden Leute verneint,
und damit sind sie durchgeschlüpft. So ist der mecklenburgische Baron, von
dessen Krieg gegen die Stadt Waren ich früher berichtete, als Nicht-Führer
freigekommen. So ist Gottfried Traub als ein Mann, der in nichts Führer-
eigenschaften gezeigt habe, amnestiert worden und führt heute die Augs-
burger Abendzeitung mit demselben Talent, mit dem er einst den Ober-
kirchenrat bekämpfte. Nnd so weiter. Die linke Presse erkennt deshalb im
Richter- und Beamtenstand ihren Feind und sucht ihn mit allen Mitteln
auszuschalten. Volksgerichte und Absetzbarkeit der Richter sind sicher nicht
die Mittel, die Sachlichkeit des Richtertums zu sichern. Die letztere ist ja
auch nur in politischen Prozessen teils von veralteten Gesetzen, teils von
unwillkürlichen Gefühlen in der angefochtenen Richtung bestimmt. Ein
allerdings krasses Beispiel aus der Zeit vor dem Kriege hat der ruhige
August Müller im Berliner Tageblatt mitgeteilt, das die Rechtshand-
habung und die Staatsanwaltsgefühle der Wilhelminischen Zeit grell ver-
anschaulicht und mit englischer Gerichtsgewohnheit peinlich vergleicht. Das
Reichsjustizministerium bereitet einen Gesetzentwurf vor, der hier die
schlimmsten Anstöße und Schwierigkeiten beseitigen will, die Hauptsache
muß freilich die Zeit tun und der Glaube an die Unaufheblichkeit der
wesentlichen Züge der gegenwärtigen Staats- und Gesellschaftssorm, wo es
keinen Kampf gegen den inneren Feind mehr gibt. Auch die Gefühle der

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