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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 3 (Dezemberheft 1921)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0203

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gesprochen, daß die Gleichsetzung des
Menschen mit der Gottheit auf einer
Gedankenlosigkeit oder auf einem Irr-
tum beruhe und daß im Gegenteil das
religiöse Erlebnis erst dann einsetzte,
wenn man sich vor einer völlig unbe-
kannten, allen menschlichen Maßstäben
und Erlebnisformen unzugänglichen
Gottheit als einem Ienseitigen beuge.

Sicher wird das erstgenannte Buch
mehr Beifall finden. Denn es spricht
gar nicht von Neligion im Sinne Go°
gartens, sondcrn von dem, was unsere
Zeit an ihre Stelle gesetzt hat und
vielleicht allein noch setzen kann.
Gogarten aber wird einer der wenigen
sein, die die Selbstverherrlichung des
Menschen durchschaut haben und be°
fähigt sind, den Weg zu einer neuen
Verinnerlichung des Gotteserlebnisses
zu weisen, das in verkehrter Form
allein noch im Aberglauben lebcndig
ist. Fischer

Träume der vierten Dimension

Man schreibt uns:

er scine und anderer Träume nach
der Methode Frcuds zu analy-
sieren Pflcgt, dem wird es mitunter
vorgekommen sein, daß ein Traum jc°
der Aualyse nach Frcud spottcte. Wohl
95 v. H. oder noch mehr aller Träume
löseu sich nach der Freudschen Theorie
leicht in ihre Elemente auf, ein Rest
aber bleibt unerklärt. Es sind die
telepathischen und prophetischen, sozu°
sagen mctaphysischen Träume. Ich
möchte sie Träume der v i e r t e n D i -
mension nennen, deshalb, wcil die
Traumelemente nicht als verdrängte
Erlebnisse und Lrndrücke des wachen
Tages der dreidimensionalen Zoesis
(Sphäre der sinnlich apperzipierten
Vorstellungcn) nachzuweisen sind, son°
derm auf anderem Wege in das Unter°
bewußtfcinZutritt erlangthaben müssen.

Die Seele lebt ja nicht in punktför-
miger Gegenwart, sie lebt tatsächlich
auch in der Vergangenheit und Zu-
kunft und ist den Gesetzen des Nau-
mes nicht unterworfen. Verbirgt sich
nicht untcr den Seelenvorstellungen des
primitiven Menschen, in der Vorstcl-
lung vom Seelentier, das Maus, Vo°
gel, Schlange oder Käfer sein kann,
in der Vorstellung, daß die Seele in
dieser Gestalt den menschlichen Körper

verlassen könne, verbirgt sich unter
diesen Shmbolen nicht eine Wahr-
heit, die unserem Intellekt als reine,
kärperlose, mathematische Wahrheit
nicht zugänglich ist?

Oder wic lassen sich folgende zwei
Träume durch Freud analhsieren? Den
ersten Traum erlebte ich selbst, den
zweiten eine mir bekannte Damc.

Das M e n s ch en s ch la ch th aus.
Ich befinde mich in einem duuklen
Gelaß, einem Vorraum zu einem Kel-
ler. In den eigentlichen Naum füh-
ren Stufen hinab. Diese Stufen sind
mit roten Teppichen bedeckt und blut°
beströmt. Auf den untersten Stufen
liegen große menschliche Leichenteile,
zerschnitten und blutig, Schenkel, Arme,
große Nuiupfstücke, die Stufen empor
immer kleinere Teile, Hände, Finger,
Zehen; die obersten Stufen sind mit
ganz kleinen anatomischen Präparaten,
Sehnen, Knöchelchen usw. bedeckt. —
Das Grundgefühl des Traumes war:
Menschcnschlachthaus.

Die Dame träumte; Sie sah eine
lange Reihc niedriger Baracken, dar-
über ein schwercr dumpfer Himmel.
Line Menschenmenge, meist Frauen
und Kinder in schwarzen Kleidern, gin°
gen weinend vorüber und druteten auf
die Baracken und sagten: „Da drin-
nen werden Menscheu geschlachtet."

Beide Träume wurdeu geträumt,
ohne daß die Träumer Kenntnis von
den Menschenschlachthäusern der bolsche-
wistischen Lsche-Ka-Kommissionen hat°
ten. Liegt die Erwägung nicht nahe,
solche Träume als telepathische an-
zusprechen? Ist es keine Erklärung,
daß der ungeheure Iammer von Tau°
senden gemarterter Menschen über die
Dächer in weite Entfernungen hinaus-
dringt, vom Empfangsapparat ciner
anderen Scele unbewußt aufgenommen
wird uud im Traume übcr die Schwellc
ins Bewußtsein dringt? Flamma-
rions Manifestationen Sterben-
der würden eine Parallele zu die-
sen Erlebnissen bilden, nur daß in
den Fällcn, die Flammarion anführt,
das Lrlebnis zwischen Personen statt--
findet, die an sich schon in einem ge°
wissen Kontakte stehen. In dem an°
geführten Lrlebnis liegt dieser Fall
nicht vor, ist etwa anzunehmen, daß
die M a s s e n wirkung der seelischen
 
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