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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Schumann, Wolfgang: Josef Popper: zu seinem Tode
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0341

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viel verzweigteren Dorschlag einer allgemeinen Nährpfltcht, etneS all-
gemeinen Arbeitdienstes, durch den die phystsche Existenz eines
jeden stchergestellt werden soll. Diesen hat er in einer höchst sinnreichen
Utopie dargelegt und, als geübter Ingenieur, eingehend durchgerechnet.
Er ist früher weniger, mit dem Anwachsen aller sozialen Interessen heute
mehr beachtet worden. Kennzeichnend für Popper ist, daß er sich auch
hier mit dem Mindestmaß des Zwanges begnügte. Was nicht der Er°
haltung der Existenz, was dem Luxus und der Laune, dem Geist und der
Dergnügung dient, soll nach ihm freiwillig und außerhalb der Nähr°
pflichtorganisation geleistet werden.

Seltsam genug, daß dieser Mann gezügelten Verstandes und klarster
Lrwägung zuweilen zu den „Atopisten" gerechnet wird mit der Meinung,
daß „Utopist" so etwas bedeute wie „phantastischer Narr". Ein Blick in
Poppers Werk sollte davor bewahren. Niemals ist mit weniger Phantastik,
mit größerer Ruhe und Nüchternheit die Frage nach der besten Lin°
richtung der öffentlichen Dinge beantwortet worden. „Phantastik"! Der
Einwurf soll in neunundneunzig von hundert Fällen die Durchführbarkeit
eines Gedankens oder Planes in Frage stellen. Wer ihn macht, will
damit die „Nnmöglichkeit" des Plans kennzeichnen. Aber wie steht es
damit? Wir wollen zunächst eins feststellen: die rechnerische uud die tech-
nische Durchführbarkeit von Gedanken und Plänen wie den Popperschen
steht außer Frage; es hat keinen Zweck, hierüber zu streiten; nötigenfalls
braucht man einige Zahlen, einige Formulierungen zu ändern, dann
könnte ein moderner Solon die „Popperschen Gesetze" einführen. Wenn
die rechnerische und technische Möglichkeit entschiede! Aber sehr ernst zu
nehmen ist der Einwand — mit dem sich die höchste Achtung vor der
grundsätzlichen Bedeutung und vor der geistigen Kraft der Ntopie sehr
wohl verträgt —: die Menschen werden dies nicht durchführen, denn es
entspricht nicht ihrem gegenwärtigen Wesen, nicht ihrem Entwicklung-
stande, solches zu tun. Da wir einem Manu wie Popper innerlich be°
gegnen mit Ehrerbietung, liegt die Gegenfrage nahe: konnte ihm das ent-
gehen, ihm, einem trefflichen Kenner der Menschen und der Kulturge-
schichte? Wenn ja — ist sein Wirken dann nicht „phantastisch"? Wenn
nein — was konnte er sich dann versprechen? Wir wissen nun nicht, ob
ihm dieser Gegensatz zwischen seinen Forderungen und Plänen und der
Bereitschaft der Menschen, sie zu verwirklichen, vor Augen lag. Verborgen
war er ihm kaum; aber wie könnte solche Einsicht einen Menschen hindern,
Forderungen und Pläne aufzustellen? Das Unbegreifliche ist ja nicht,
daß er sie aufstellte, sondern daß man sie „phantastisch" schilt, weil sie
gerade jetzt noch unbeliebt sind. Hat irgendein Mensch großen Stils des-
wegen auf Forderungen und Pläne verzichtet? Nennt man Iesus oder
Kant, Buddha oder Pestalozzi „Phantasten" ? Das eben ist die Sendung
der Einsichtigen, der Weitsichtigen, der Hellsichtigen, daß sie in Forde-
rung und Plan ausdrücken, was ihnen die Einsicht zu denken befiehlt.
And es stirbt nicht an seiner Nndurchführbarkeit, sondern es wandelt die
Menschen um, mag dies nun heute oder übermorgen geschehen. Und dies
hat denn auch ein immerhin kleinerer Geist wie Popper sehr wohl gewußt,
daß er in erster Linie eine geistige Sendung hatte.* Nicht umsonst
hat er immer wieder von der Erziehung zur Einsicht, von der

* Von seinen nach Zeugnis der Fachgenossen bedeutenden Leistungen als In°
genieur muß ich hier absehen.

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