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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
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Spranger, Eduard: Eros
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Popper-Lynkeus, Josef: Aus Josef Poppers Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0343

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digeri Linblick in die wirre Subjektivität und in die krasse Leichtfertigkeit,
rnit der gemeinhin und selbst von bedeutenden Verfassern geurteilt und
allerlei Unkontrolliertes nachgeredet wird; das mag manchen recht sehr
nachdenklich stimmen. Popper geht dabei jederzeit auch auf die eigentlichen
Probleme ein, die jeweils Anlaß gaben, so oder so über Voltaire zu
urteilen, und dadurch ist sein Buch eine Sammlung von lauter kleinen
Lssais zur Geschichte, Asthetik, Moral, Sozialphilosophie usw. geworden.
— Weitere Stellen entnehmen wir dem Buch „Das Individuum und die
Bewertung menschlicher Eristenzen". Dieses Werk bringt die ethische und
sozialphilosophische Begründung zu Poppers sozialprogrammatischen Ar°
beiten. Mit unnachahmlicher Helligkeit des Geistes, gänzlich unabgelenkt
von Vorurteilen und Voreingenommenheiten, nie beirrt von noch so tief--
sinnigen Phrasen, stets im Anblick sehr weiter Sichten über die Zusammen-
hänge des Subjektiven und Objektiven, legt er seine Grundanschauungen
dar, doch niemals in der Form deduktiver Ableitung allein, immer auch an-
knüpfend an die Erfahrung, an die Geschichte, an des Lesers eigene Im-
pulse. Man kann ein sehr anderes Weltbild haben als Popper, und doch
anerkennen, daß diese Schrift zu den wertvollsten Einführungen in die
Problematik dcs öffentlichen Lebens und seiner Moralität gehört.

Die genannten Bücher sind bei C. Reißner (Dresden) erschienen.

Im Verlag Unesma in Leipzig erschien die kleine Selbstbiographie Pop-
pers, ein menschlich und soziologisch gleich lehrreiches Büchlein, auch zu°
gleich eine ganze knappe Zusammenfassung seiner tzauptlehren.

Auch Poppers Buch über die Kriegsdienstpflicht ist bereits erschienen.
uns jedoch nicht zugegangen.^s

Vom Tode

^s^i e uuendliche Wertschätzung der bloßen Existenz
^D Ieines jeden Individuums, es sei noch so unbedeu»
tendundnochsofremd,kommttagtäglichundunwill°
kürlich in der Ehrfurcht zum Vorschein, die man beim An°
blick einer jeden Leiche empfindet. Allerdings zeigt sich hier
die Wertschätzung nur im Gefühl und nicht in Taten, aber jenes ist der
Boden, aus dem oft die Taten emporwachsen.

Ein unerschöpfliches Versenken in den Anblick eines Toten scheint uns
der Auflösung eines furchtbaren Rätsels näher zu bringen, ist es aber
doch nicht imstande, und wir haben den Eindruck, als ob aller Lärm
der Welt, alle Bestrebungen, alles Große und Schöne, immer mehr ver-
stummen und ins Nichts versinken würden.

„Beim Anblick eines Leichnams," sagt Heine, „erscheint uns alles andere
frivol." Nnd ein solches Gefühl ist auch ganz begründet. Ganz deutlich
tritt uns seine Bedeutung entgegen, wenn uns ein sehr geliebtes Indi-
viduum wegstirbt, an das wir uns jahrelang gewöhnt hatten; dann ent-
steht in uns die Empfindung, als ob die ganze Welt nur Schein und eiue
große Lüge wäre. Wir glauben gewissermaßen, von der Natur verraten
worden zu sein, da wir doch von der Realität dieses Menschen so fest über-
zeugt waren und nunmehr, wie aus einem Traume erweckt, ebenso fest
überzeugt werden, daß es nur ein Nebelbild war, dem wir uns hingegeben
hatten. Es ist die größte Enttäuschung, die wir überhaupt erleben können,
die übcrraschendste Treulosigkeit eines Menschen gegen uns läßt sich noch
lange nicht damit vergleichen.
 
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