Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1922)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Eros
DOI Artikel:
Popper-Lynkeus, Josef: Aus Josef Poppers Schriften
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0346

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Und genan gsnommen, kann man eigentlich sagen: Alle Kulturen
gehen immersort unter; denn alles ändert sich mit der Zeit und es
Zustande, namentlich mit ihren Institutionen, zufrie-
konrmt im Grunde nur darauf an, ob die Völker mit ihrem
den sind: ganz gleichgültig kann es ihnen aber sein, ob Kulturphilosophen
die Völker selbst als im Untergange befindlich betrachten oder nicht. —
Es ist auch sehr fraglich, ob z. B. das römische Volk vom Beginne der
Republik an bis auf den heutigen Tag in der Behaglichkeit des Lebens
jemals einen merklichen Wechsel verspürt hat. In Summe: Die heutigen
Griechen und Römer gingen ganz allmählich aus den alten Griechen und
Römern hervor, ohne daß man jemals einen Zeitpunkt hätte angeben
können, wann die alten „untergingen".

(Aus dem Buche „Das Individuum und die Bewertung menschlicher
Existenzen", Verlag C. Reißner, Dresden.)

Gerechtigkeit und Voreingenommenheit.

^ch halte Unrichtigkeit einer Ansicht nicht für so schädlich oder häßlich,
Owenn sie bei voller Unparteilichkeit entstanden ist, als wenn sie aus Vor-
eingenommenheit und aus Mangel an Selbstkritik der eigenen Ansicht
hervorgeht. Uurichtigkeit des Urteils, die aus Irrtum, Unwissenheit oder
Schwäche der Urteilskraft überhaupt hervorgeht, bringt uns nicht in Ent-
rüstung, sie ist eine Sache des Intellekts. Aber Voreingenommenheit,
Blindheit aus egoistischen Gefühlen, ist eine Eigenschaft des Charakters,
und diese kann uns in Aufregung bringen. Man wird versucht, den
Mann ohne Gsrechtigkeitssinn bei den Schultern zu packen, ihn energisch
durchzurütteln und ihm fortwährend zuzurufen: „Warum siehst du nicht
auch auf die andere Seite hin? Warum tadelst du bei diesem, was du bei
dem andern ignorierst oder sogar lobst? Warum hast du plötzlich ein so
schwaches Gedächtnis für alles das, was gegen deine Ansicht spricht?
Darf ein Kritiker, oder gar ein so strenger Sittenrichter parteiisch, ja
korrupt sein?"

Aber die korrupten und korrumpierenden Beurteilungen hören nicht
auf, und in der politischen wie in der Literaturgeschichte entstehen, wie
die Erfahrung aller Tage beweist, die meisten falschen Ansichten, nament-
lich über Personen, nur aus Mangel an jedem Versuche, von seiner (ver-
schwiegenen) Ansicht sich soweit zu befreien, um auf die Gegeninstanzen
hinzuhorchen, und nicht die Augen vor all dem zu schließen, was dem Ge-
tadelten zugute kommt.

Indem ich nun in ziemlich HLufigen FLllen mich der Aufspürung
solcher halb bewußter, halb unbewußter, oder mitunter ganz naiver Un«
gerechtigkeiten im Urteilen widmete, ergab sich mir die Pflicht einer sehr
segensreichen Beschäftigung, nämlich: Masken herunterzureißen;
eine Pflicht, der man gar nicht eifrig genug nachkommen kann.

Äber Güte.

°»»nd wenn ich so oft auf die Eigenschaft der Güte zurückkommen und auf
^sie ein so großes Gewicht bei Beurteilung einesMenschen lege, so ge-
schieht dies nicht nur im Hinblick auf die Verteidigung Voltaires, der
von seinen Gegnern und von Unwissenden oder Unverständigen als me-
phistophelisch, als geizig, ungut usw. hingestellt wird, sondern ich spreche
so viel übcr Güte auch zu dem Zwecke, um auf das Großc aufmerksam zu

LS0
 
Annotationen