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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1922)
DOI Artikel:
Rade, Martin: Der Teil fürs Ganze: ein Wort von Wesen und Aufgabe der Parteien
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0386

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Angesichts dieser Lage und ihres Ernstes meinen viele, auf die „Par-
teien" schelten zu müssen. Nicht auf die einzelne Partei in ihrer er--
fahrungsmäßigen Unzuverlässigkeit — wozu ja Arsache sein mag —, sondern
auf das Parteiwesen an sich. Und nicht wenige tun sich etwas darauf zu-
gute, in ihrem Gewissen oder auch in häufigem Bekenntnis, daß sie keiner
Partei angehören, über den Parteien stehen, das Parteiwesen verachten.

Das ist nun eine völlige Verkennung dessen, was die Parteien
sollen und leisten. Man denkt bei dem Worte „Partei" an das
Raufen in Wahlversammlungen und polemischen Zeitungsartikeln, fühlt
sich davon angewidert und zieht sich in die vier Wände einer unpolitischen
Existenz zurück. Während doch ohne Parteien ein moderner Staat, d. h.
ein Staat sür gebildete Völker, sei er nun konstitutionelle Monarchie oder
Republik, nicht zu lebeu vermag. Denn was sind Parteien? ?orte8,
Teile eines Ganzen, das ist des Volkes. Teile, in die das Volk sich
gliedert, um überhaupt zu Verstand, Wort und Geltung zu kommen, Ar-
beitsgemeinschaften. Es kann nicht ein Volk mit HO Millionen Mündigen
als Einheit auftreten und handeln. Die Verschiedenheiten des Tempe-
raments und des Interesses müssen sich geltend machen, und zwar auf
geordnetem Wege, indem sie sich orgauisieren. Eine Partei ist gar nicht
dazu da, daß sie auf die andere loshetze und -schlage, sondern daß sie i n
sich selber eine Sammel- und Erziehungsarbeit leiste.
Tatsächlich ist das auch in allen lebensfähigen Parteien der Fall. In
den Fraktionen als ihren oberstverantwortlichen Organen zumal. Da
werden doch nicht nur Ränke geschmiedet, nicht nur taktische Künste pro-
biert — das gehört zum Handwerk. Sondern da sinden sich doch fort-
während auf dem Boden eines Programms und einer Arbeitsgemein-
schaft die verschiedensten Geister zusammen und müssen sich miteinander
vertragen und voneinander lernen. Und da geschieht dann von Rechts
wegen in dem Fraktionszimmer, ehe die Fraktion zum Redeu und zum
Abstimmen kommt, ein ganz gehöriges Stück redliche, geistige Arbeit,
das man nicht gering schätzen soll. So aber steht es auch für jeden
Parteiverein, örtlichen oder zusammenfassenden. Gegenseitigen Dienst,
Arbeit des einen am andern innerhalb der Menschengruppe, die sich
zu dieser Partei hält, das ist die Hauptsache, das ist die immer erneute
Grundlegung für das Wirkeu nach außen. Daran arbeiten die führenden
Personen in der Partei, das empfinden die besseren Mitglieder als das
Fördernde an der Partei; und wo das begriffen und geübt wird, fehlt
es nicht an Erfolg, mag es unter gegebenen Umständen ein größerer oder
geringerer sein. Es ist auch gar kein Fehler einer Partei, wenn verschiedene
Elemente sich in ihr zusammenfinden. Im Gegenteil, das kann und soll ihr
Reichtum sein. Es müssen nur immer wieder die gemeinsamen Einsichten
und Ziele über die Sondermeinungen und -gelüste die Oberhand gewinnen.

So stehen die politischen Parteien als sittliche Notwendigkeit da inner-
halb eines Volkes, das sein Schicksal — ob es will oder nicht — selber
in die Hand zu nehmen berufen ist. Politische Parteien müssen es
sein. Nicht wirtschaftliche Interessengemeinschaften. Nicht Klassenver-
tretungen. Dergleichen mag unter bestimmten Historischen Nmständen sich
nötig machen. Aber-wachsende Reife, zunehmende Erfolge, klarere Be-
griffe über das, was Macht und Verantwortung im Staate bedeutet,
müssen iu einem gesunden Volke den politischen Sinn entwickeln, der
über die nächsten Bedürfnisse einer Standes- und Berufsschicht hinaus den
 
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