so starker Gedanke kann unsere junge
Kunst davor behüten, eines Zages in
Nüchternheit zu erstarren. Wir müs-
sen uns als Einzelmensch und als Volk
zu den Genüssen dcr Einfachheit bil-
den. Ehe wir wieder so weit sind, daß
wir ans dcm anmutigen Spiele eines
Hundes, dem heitercn Gesang eines
Vogels, dem Ziehen der Wolken über
das Grün des Grases und dazu Wehen
der Wipfel einen Gehalt an Leben und
Genuß abgcwinnen können, wcrden wir
weiter ein Volk ohne Freude bleiben.
So lange die schlichte Försterei und
das Landgut Inserate in die Zeitungen
setzen, in denen sie noch ein paar Gäste
ausschließlich zum Zweck des Vielfraßes
mit fünfzig bis hundert Mark für Tag
und Person aufnehmen, steht es um
die Wiederkehr der Freude nach!
Deutschland übel. So lange die Deut-
schen, anstatt ihre freien Stunden in
dcr freien Natur zuzubringen, in die
Kino-„Dramen" laufen oder sich mit
albernen und unwahren Dingen Ge-
müt und Phantasie mehr verderben
lassen, als das bisher je die schlechteste
Literatur fertig brachte — woher sollte
da Freude nach Deutschland kommen?
Es gibt nur einen möglichen Weg
für den, der weiß, daß schließlich alles
aus der Seele kommt, und daß selbst
die Noticrungen auf der Börse letzten
Grundes nur äußerliche Folgen seeli-
scher Entwickelungen sind. Ihr Deut-
schen müßt wieder „Nomantik" ins
Blut bekommen, ihr müßt euch zur
Kur der „Nomantik" eine Zeitlang
willenlos vcrschreiben. Enre Gesun-
dung muß und kann nur über die
Liebe zum Unwirklichcn und den.Wil-
lcn zum Unmöglichen führen, sie muß
cuch wieder die Welt von euch aus
erobern lehren, anstatt daß ihr jetzt
glaubt, allcs komme darauf an, siH
der Welt anzupassen. Das sollte doch
möglich sein, selbst dem deutschen Men-
schen klar zu machen, daß der soge-
nannte „Beruf" nicht das Lebenbe-
stimmende ist, daß vielmehr das ganze
eigentliche Leben neben ihm nnd außev
ihm einhergeht. Kommt nicht geradezu
unser Unglück, unser Nicht-Glück da-
her, daß wir Leben und Lebensfristung
viel zu sehr gleich setzen und nicht zu
unterscheiden vermögen?
Aber die sogenannte „Romautik"
kann uns retten. Auders gesagt: die
Klugheit, Genuß überall da zu suchen,
wo er nichts kostet. Freilich, das spricht
sich leicht aus, aber es tut sich nicht
so leicht. Iahrzehnte haben uns ge-
wöhnt, fast allen unsern Genuß von der
Lebensfristung abhängig zu machen, ja,
ihn von ihr begründen zu lassen. So
ist das dcutsche Volk von eben dem
Augenblicke ab zu eincm Volk ohne
Freude geworden, da eben dieser Be-
gründnng der feste Grund zu fehlen
scheint.
Aber Deutschland, la vieille Alle-
magne, wie es Gautier anschwärmt, ist
ja von Haus aus ganz anders. Ist
noch immer der alte Walther von der
Vogelweide, der nachdcnksam auf einem
Steine Bein über Beiue „dacht", ist
uoch immer Parzival, der im Walde
verträumt den Vogelliederu lauscht.
Wenn wir als Volk nicht dazn kom-
men könneu, wieder im wahrsten Sinne
des Wortes, ob man uns liebt oder
haßt, „reine Toren" zu werden, daun
frcilich bleiben wir ein Volk ohue
Freude. Könneu wir nicht in unserer
Seele mit dem ganz angeblich „posi-
tiven" Weltauffasscn, das uns um-
schlottert wie eine Affenjacke, aufräu-
men, werdeu wir besteu Falls karierte
Handelsregister werden, wie so viele im
Lande Iohn Bulls, die nach außen die
Welt beherrschen und sich innerlich
öden, wenn sie nicht irgendein Spleen
darüber wegtröstet.
Sicher. Man kaun nicht einem
Volke sagen: Alter Michel, wirf deine
rechnerische Ernsthaftigkeit von dir und
stürze dich in die Romantik! Ieder
kann nur bei sich beginnen, jeder nur
für sich die kapitalistische Tradition, die
jetzt viel stärker und unheimlicher ist
als je zur kapitalistischen Zeit, zu Bo-
den zwingen und erwürgen wie der
junge Herkules die Schlangen. Aber
wenn dann ein neues Lachen und
Leuchten in seinen Augen ist, eben
das Leuchten des inneren Erlebnisses,
das diese rein maschinell weiterlebende
Welt verhöhnt, so wird das ansteckend
wirken. Nicht nur ein Narr macht
viele, sondern auch ein Weiser, wenn
auch nicht ganz so schnell. Laßt uns,
anstatt überflüssige Seiten mit unaus-
führbaren Plänen für die Allgemein-
heit voll zu füllen, selber zu freudi-
35f
Kunst davor behüten, eines Zages in
Nüchternheit zu erstarren. Wir müs-
sen uns als Einzelmensch und als Volk
zu den Genüssen dcr Einfachheit bil-
den. Ehe wir wieder so weit sind, daß
wir ans dcm anmutigen Spiele eines
Hundes, dem heitercn Gesang eines
Vogels, dem Ziehen der Wolken über
das Grün des Grases und dazu Wehen
der Wipfel einen Gehalt an Leben und
Genuß abgcwinnen können, wcrden wir
weiter ein Volk ohne Freude bleiben.
So lange die schlichte Försterei und
das Landgut Inserate in die Zeitungen
setzen, in denen sie noch ein paar Gäste
ausschließlich zum Zweck des Vielfraßes
mit fünfzig bis hundert Mark für Tag
und Person aufnehmen, steht es um
die Wiederkehr der Freude nach!
Deutschland übel. So lange die Deut-
schen, anstatt ihre freien Stunden in
dcr freien Natur zuzubringen, in die
Kino-„Dramen" laufen oder sich mit
albernen und unwahren Dingen Ge-
müt und Phantasie mehr verderben
lassen, als das bisher je die schlechteste
Literatur fertig brachte — woher sollte
da Freude nach Deutschland kommen?
Es gibt nur einen möglichen Weg
für den, der weiß, daß schließlich alles
aus der Seele kommt, und daß selbst
die Noticrungen auf der Börse letzten
Grundes nur äußerliche Folgen seeli-
scher Entwickelungen sind. Ihr Deut-
schen müßt wieder „Nomantik" ins
Blut bekommen, ihr müßt euch zur
Kur der „Nomantik" eine Zeitlang
willenlos vcrschreiben. Enre Gesun-
dung muß und kann nur über die
Liebe zum Unwirklichcn und den.Wil-
lcn zum Unmöglichen führen, sie muß
cuch wieder die Welt von euch aus
erobern lehren, anstatt daß ihr jetzt
glaubt, allcs komme darauf an, siH
der Welt anzupassen. Das sollte doch
möglich sein, selbst dem deutschen Men-
schen klar zu machen, daß der soge-
nannte „Beruf" nicht das Lebenbe-
stimmende ist, daß vielmehr das ganze
eigentliche Leben neben ihm nnd außev
ihm einhergeht. Kommt nicht geradezu
unser Unglück, unser Nicht-Glück da-
her, daß wir Leben und Lebensfristung
viel zu sehr gleich setzen und nicht zu
unterscheiden vermögen?
Aber die sogenannte „Romautik"
kann uns retten. Auders gesagt: die
Klugheit, Genuß überall da zu suchen,
wo er nichts kostet. Freilich, das spricht
sich leicht aus, aber es tut sich nicht
so leicht. Iahrzehnte haben uns ge-
wöhnt, fast allen unsern Genuß von der
Lebensfristung abhängig zu machen, ja,
ihn von ihr begründen zu lassen. So
ist das dcutsche Volk von eben dem
Augenblicke ab zu eincm Volk ohne
Freude geworden, da eben dieser Be-
gründnng der feste Grund zu fehlen
scheint.
Aber Deutschland, la vieille Alle-
magne, wie es Gautier anschwärmt, ist
ja von Haus aus ganz anders. Ist
noch immer der alte Walther von der
Vogelweide, der nachdcnksam auf einem
Steine Bein über Beiue „dacht", ist
uoch immer Parzival, der im Walde
verträumt den Vogelliederu lauscht.
Wenn wir als Volk nicht dazn kom-
men könneu, wieder im wahrsten Sinne
des Wortes, ob man uns liebt oder
haßt, „reine Toren" zu werden, daun
frcilich bleiben wir ein Volk ohue
Freude. Könneu wir nicht in unserer
Seele mit dem ganz angeblich „posi-
tiven" Weltauffasscn, das uns um-
schlottert wie eine Affenjacke, aufräu-
men, werdeu wir besteu Falls karierte
Handelsregister werden, wie so viele im
Lande Iohn Bulls, die nach außen die
Welt beherrschen und sich innerlich
öden, wenn sie nicht irgendein Spleen
darüber wegtröstet.
Sicher. Man kaun nicht einem
Volke sagen: Alter Michel, wirf deine
rechnerische Ernsthaftigkeit von dir und
stürze dich in die Romantik! Ieder
kann nur bei sich beginnen, jeder nur
für sich die kapitalistische Tradition, die
jetzt viel stärker und unheimlicher ist
als je zur kapitalistischen Zeit, zu Bo-
den zwingen und erwürgen wie der
junge Herkules die Schlangen. Aber
wenn dann ein neues Lachen und
Leuchten in seinen Augen ist, eben
das Leuchten des inneren Erlebnisses,
das diese rein maschinell weiterlebende
Welt verhöhnt, so wird das ansteckend
wirken. Nicht nur ein Narr macht
viele, sondern auch ein Weiser, wenn
auch nicht ganz so schnell. Laßt uns,
anstatt überflüssige Seiten mit unaus-
führbaren Plänen für die Allgemein-
heit voll zu füllen, selber zu freudi-
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