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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI article:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0028

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Alltäglichen des Pfarrerlebens. Mcht fehlt da das bäuerliche Getriebe, die
Stille der Pfarrhäuser, die Fülle der Pfarrertypen und der Haushälte-
rinnen und Köchinnen, nicht die wehe Einsamkeit des Iugendlichen im
schwersten aller Berufe, nicht der Segen eines Daseins in reiner Natur,
nicht Scherz und Ernst der kleinen Menschlichkeit, nicht die vieldeutigen
Lreignisse des banalen Lebens, nicht die Problematik eines sich selbst täg-
lich erforschenden Gewissens und die tiefere eines Ringens um den Sinn
des Lebens schlechthin, nicht die Spiegelnng der kirchenregimentlichen Härten
und Organisationen im Schicksal des Gehorchenden, nicht die Fülle des
Innigen und Wundersamen, der Fügungen, Wirrungen und Entwirrungen
des Menschlichen, die ein Geistlicher mit ansieht und erlebt, nicht das ge-
treue Bild der kleinen Stadt mit all ihren inneren Beziehungen, Ver-
schränkungen, Menschlichkeiten unö Allzumenschlichkeiten, nicht — genug,
nichts fehlt. Alles ist da, die ganze „Welt", wie ein reiner, starker,
kluger, ja zuletzt überlegener Mensch sie leidend und tätig erobert und
erringt und, sie bezwingend, sich zum Schauplatz entschlossenen Han-
delns gestaltet.

Nnd dieses alles, dieses klein-große All, gespiegelt im unergründlichen
Kristall einer Menschenseele, bietet sich dar auf dem knappen Raum von
zweihundert Seiten; da verrät jede Zeile nicht nur den aufmerksamen
Beobachter, den sensitiven Sich-Einfühler in Ding, Vorgang, Mensch,
auch den klugen, zu abwägend-fühlsamer Schreibart geborenen und er-
zogenen Kopf und dahinter die Nnendlichkeit eines tief-ernsten Lebens-
willens, der sich schlechthin nie mit dem bloßen Ab-Erleben und raschen
Erledigen zufrieden gibt, sondern im Kleinsten wie im Größten das ewig
Symbolische schaut, faßt und zuletzt darstellt in seiner eignen Weltbedeutung
wie in seiner Rückwirkung auf den Erlebnisträger. Dies eben verleiht
dem milden, zuweilen behaglichen Stil des Buches zutiefst seine besondere
Würde und Banngewalt. Groß war in den letzten dreißig Iahren die
Zahl der psychologisch feinen, der stimmungvollen, der herzlich reinen, der
drangvoll-echten Romane — „geistig" reich im engeren Sinne waren seltsam
wenige darunter! Ich stehe nicht an, zu sagen, daß dieses Werk auch
dem sehr fern Stehenden einen tieferen Begriff von Reichtum, Würde
und Gehalt katholischen Wesens vermittelt, als selbst vielgerühmte andere
katholische Bücher. Allzuoft haben wir uns begnügen müssen, katholisches
Fühlen uns in all seinem Reichtum und seiner Vielfältigkeit erschlossen
zu sehen, etwa auch einige Mystik, einiges vom Kirchlichen dazu. Wie aber
ein streng, tief, lauter denkender Mensch im Katholizismus steht, das
hat mir bislang kein Buch so verdeutlicht wie der „Kaplan".

Das Buch ist umstritten worden und wird weiter umstritten werden.
Katholische Kreise empfinden den Austritt des „Helden" aus dem Priester-
stande, etwa auch die Ofsenheit in der Darlegung so mancher Lebens- und
Glaubensfragen wohl als gefährlich. Sie mögen von einem Außenstehenden,
der ihrer Welt nicht ohne absolute Achtung gegenübersteht, die Bemerkung
freundlich aufnehmen: nie wird ein Buch eben diese Achtung in uns An-
dern, so weit wir guten Willens sind, lebendiger erhalten und vertiefen als
dieses! Wer aber nicht guten Willens ist, der liest in Gottes Wort selbst
das Allzumenschliche hinein. Hochliterarische Kreise werden einiges „For-
male" bemängeln, die Einschiebung etlicher Gedichte, etlicher zerstreuter
(die Lebensgeschichte nicht eigentlich fortführender) Tagebuchnotizen, etwa
auch die Verhaltenheit sogar der stärksten, lebensvollsten Auftritte, die
 
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