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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
DOI article:
Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0030

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das angeschossene Tier nicht leiden lassen nnd lief ins tzaus, um des
Pfarrers Iagdgewehr, ein unbenütztes Erbstück seines Bruders, zu holen.
Ich hatte ein tzerzklopfen, als stünde das Leben der halben Welt auf dem
Spiel. Eine unbestimmte Furcht hielt mich zurück, nochmal vor das Tier
zu treten. Ich lnd und legte, um sicher zu treffen, am Fensterkreuz an.
Getroffen habe ich, aber nicht ins Herz. Mit einem Schrei stürzte das Tier
herab, rannte über den grotzen Rasenplatz und verschwand im Heustadel
unserer Skonomiegebäude. Das alles hat sich ohne Wissen des Pfarrers
abgespielt, der sich sogleich nach der Äbergabe des Zimmerstutzens in den
Wald begeben hatte. Auch die Schwestern wissen nicht, wem der schwere
Schuß gegolten hat. Vielleicht erzähle ich mittags bei Tisch von dem
Vorfall.-

Abends. Ich habe heute noch nichts erwähnt. Warum, weiß ich nicht.
Es wäre natürlich jetzt meine Pflicht, nach dem Tier zu sehen, ihm vielleicht
zu helfen oder den Gnadenschuß zu geben. Statt dessen bin ich im Begriff,
mejne Pfeise anzuzünden und mich mit einem Buch auf die Veranda zurück-
zuziehen, wo ich zwischen Weinlaub den Tag sterben sehe. Freilich muß
es ein ernstes Buch sein, denn die Katzengeschichte hat mir den Humor
benommen.

^ch hoffte im stillen, das Tier würde genesen und in sein gewohntes Haus
Ozurückkehren. Aber heute schickte die Bäuerin ihre Dienstmagd her-
über und ließ fragen, ob wir nichts von ihrem Peter gesehen hätten. Ich
schwieg, als ich dies erfuhr, und ärgere mich jetzt über meine dumme Feig-
heit, den Vorfall bekannt zu geben. Habe ich denn etwas Unrechtes getan,
als ich die süßen Tierchen vor dem Raubvieh schützte? So unbegreiflich
ich mir selbst dabei vorkomme, will ich es doch herschreiben, wie sehr ich
heute mit verwirrtem Gewissen am Altare stand. Ich sagte mir, daß ich
doch nur aus Liebe zu den zarten Kreaturen so gehandelt habe, derselben
Liebe, die auch den heiligen Franziskus zum Freund der Vögel gemacht;
aber ich kam mir trotzdem schuldig vor.

Heute nachmittag kommt eine Gesellschaft aus der Stadt zum Kegeln.
Der Pfarrer hat mich eingeladen, aber ich bin nicht zu Spiel und Frohsinn
aufgelegt. Ich werde besser tun, endlich nach dem verwundeten Tier zu
sorschen. Abrigens herrscht um das befreite Starenhaus eitel Lust und
Fröhlichkeit; ich sollte es mir in meiner trüben Laune wahrlich genug sein
lassen, daß eine ganze Vogelfamilie mich als ihren Retter preist. Der
Peter ist doch nur ein wüstes Vieh, die Stärchen so herzige Geschöpfe.
Wie sie jetzt wieder Pfeifen, johlen und schwatzen!

Spät am Abend. Aus dem Besuch bei Peter ist nichts geworden,
weil mich ein Mensch in seiner letzten Stunde gebraucht hat. Die junge S.
hat einem Kinde das Leben geschenkt und das ihrige dafür eingebüßt.
Gott, war das ein Todeskampf! Der Kampf der Aberlebenden vielleicht
noch schlimmer — der Bauer wand sich in Verzweiflung auf der Ofen»
bank, die Kinder schrien zusammen. Aber so schrecklich alles war, es war
doch ein richtiger Schrecken ohne das Grauen, das seit den letzten Tagen
über mich geherrscht hat. Fast bin ich jetzt über den düstern Eindruck
froh, den das Menschenleid mir hinterlassen. In ihm versinkt vielleicht
meine dumme Angst wegen der Katzengeschichte. Ich lese nun noch ein
wenig Shakespere, dann beschließe ich den Tag mit dem Completorium.
^>ch konnte die ganze Nacht kein Auge schließen. Immer fragte ich:
Owozu der Vorfall mit seinem seltsamen Gewicht? Nicht das Gesicht der
sterbenden Bäuerin sah ich in meinen Träumeu, sondern die blutende,

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