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Kohl, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Lokale Gesellschaften: Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 29: Ostfildern, 2010

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34742#0162

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4.1 Kernfamilien und Großfamilien

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der höchsten Ebene durch .Familiennamen' wie Huosi und Fagana ausgedrückt
werden, wie sie aber sicher auch auf niedrigerer Ebene existierten, besonders groß.
Anlässe, bei denen sich die Verwandtschaftsgruppen als Kommunikationsraum
nach innen und außen aus der möglichen Menge an biologisch oder durch Ver-
schwägerung verbundenen Menschen konstituierten, sollen im Folgenden bei der
Untersuchung besonders beachtet werden.
Für die Kernfamilien ergaben sich im Spannungsfeld zwischen Erbrechten an
Land, das laut der Lex Baiuvariorum gleichmäßig unter den Söhnen verteilt wer-
den sollte^, den Besitzübertragungen zwischen Mann und Frau und den Her-
kunftsfamilien im Zuge der Eheschließung Probleme für die einzelnen Familien
und ihre Angehörigen. Dazu kam noch die Sorge um eine ausreichende Ver-
sorgung der Söhne und Töchter auf der einen und um das eigene Seelenheil auf
der anderen Seite. Die Antworten auf diese Herausforderungen konnten je nach
wirtschaftlicher und sozialer Lage sehr verschieden sein; sie sind teilweise in den
Quellen zu erkennen und sollen in diesem Kapitel an Beispielen aufgezeigt
werden. Die Abwägung zwischen eigenem Seelenheil und Versorgung der Kinder
zeigt sich auch im ersten Titel der Lex Baiuvariorum. in dem festgelegt wurde,
dass eine Schenkung an eine Kirche nur dann erfolgen konnte, wenn zuvor die
Erben ihren Anteil erhalten hatten. Das Gesetz beinhaltet also eine klare Schutz-
bestimmung gegen die vollständige Enterbung der Nachfahren durch um ihr
Seelenheil besorgte Tradenten.
Die Lex schloss im Übrigen trotz der Klausel, nach der das Eigentum
gleichmäßig unter die Söhne aufzuteilen war. Frauen nicht vom Erbe aus. So heißt
es. dass, wenn ein Mann ohne Söhne oder Töchter sterben sollte, sein Eigentum bis
auf den Pflichtteil der Witwe an seine Familie gehen sollte^. Im Umkehrschluss
bedeutet dies, dass auch die Töchter erbten, zumindest dann, wenn sie keine
Brüder hatten. Einen Ausschluss von Frauen von bestimmten Besitzarten wie für
die terra im salfränkischen Recht, kennt das bayerische Gesetz nichtV
Dennoch erscheinen bayerische Frauen im Vergleich zu mittelrheinischen Frauen
recht selten als Tradentinnen, allerdings deutlich häufiger als Langobardinnen. die
rechtlich stärker benachteiligt warenA Darüber hinaus fällt auf. dass die Bayerin-

17 Tit. 15.9.
18 Tit. 15.10.
19 Auf die Problematik der terra saNea kann hier nicht eingegangen werden, s. zu Erbrechten
von Frauen Karl KROESCHELL. Söhne und Töchter im germanischen Erbrecht, in: Studien zu
den germanischen Volksrechten. Gedächtnisschrift für Wilhelm Ebel. Vorträge gehalten auf
dem Fest-Symposion anlässlich des 70. Geburtstages von Wilhelm Ebel am 16. Juni 1978 in
Göttingen. hg. v. Goetz Landwehr (Rechtshistorische Reihe 1). Frankfurt a.M. u.a. 1982. 87-
116. und speziell zu Alemannien Doris HELLMUTH. Frau und Besitz.
20 Mit dieser Thematik im Vergleich zwischen Bayern und der Lombardei befasst sich BÜHRER-
THIERRY in ihrer Habilitationsschrift Femmes et la terre. Nach der Grafik 327 bewegt sich der
Anteil der alleinschenkenden Frauen in den Freisinger Urkunden zwischen acht (814-40)
und unter einem (875-957) Prozent. In den übrigen untersuchten Zeiträumen zwischen 748
und 1000 schwankt er um fünf Prozent. In den anderen bayerischen Beständen zeigt sich ein
anderes Bild. In Regensburg gab es vor 863 überhaupt keine allein handelnde Frau, danach
fast zehn Prozent, in Passau wurden ebenfalls etwa zehn Prozent erreicht, in Mondsee nur
fünf. Bezogen auf die Untersuchungsgebiete finden sich an der Amper sieben Prozent, an der
Isen drei Prozent und am Wallersee gar keine Frau als alleinschenkende oder -tauschende.
Dieses Ergebnis überrascht, dürfte allerdings der geringen Zahl der dortigen Traditionen
 
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