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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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5. Heft
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Zobeltitz, Fedor von: Das Dementi: eine Journalistengeschichte aus Ceylon
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Silbergleit, Arthur: Die bunten Vögel
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Briefe der Liebe
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0153

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64

MODERNE KUNST.

— aber die Waffe lag nicht an ihrem alten Platze. Ich hörte noch das heisere Auflachen
des Schwarzen — und plötzlich wurde es ganz finster im Zimmer: der Mond ver-
steckte sich hinter den Wolken. Als ich Licht machte, war der Mensch mit den
drei Nattern fort. Die Tür stand weit offen . . .
Natürlich war der ganze Streich von dem Redakteur der „Capital“ in Szene
gesetzt worden. Er hatte einen sogenanten Schlangenbeschwörer bestochen, einen
vom Stamme der Rodiyas, und der verflixte Kerl hatte seine Sache ausgezeichnet
gemacht. Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich am nächsten Morgen gewaltig schämte.
Sicher waren den Schlangen die Giftzähne ausgebrochen, und wenn ich mutig gewesen
wäre, hätte ich das Viehzeug mit dem Stiefelknecht erschlagen können. Aber der
Teufel ist mutig in solchen Augenblicken — der Abscheu vor den Reptilien hatte mich
effektiv überlegungslos gemacht. Meinen Revolver fand ich unter dem Bette, steckte
ihn zu mir und ging nun in die Pettah, um mit dem Redakteur der „Capital" eine

freundliche persönliche Rücksprache zu nehmen. Der Mann hieß Bumapibal und
war das Produkt eines englischen Vaters und einer nicht ganz rassereinen Singhalesin,
aber ein aufgeweckter Halunke, der es gar nicht zu dem von mir beabsichtigten Donner-
wetter kommen ließ, sondern mich sehr liebenswürdig empfing und mir ohne weiteres
eine Verschmelzung seines Blattes mit dem meinen vorschlug, damit ich die Konkurrenz
los würde. Diese Idee frappierte mich so, daß ich alle Rachegedanken vergaß — und
tatsächlich kam die Verschmelzung auch zustande, so daß es wenigstens unter dem
Gouvernement Ward kein oppositionelles Blatt mehr in Colombo gab. Später wurde
es allerdings anders, aber da war ich schon weit vom Schuß. Immerhin: die Schlangen-
geschichte habe ich bis heute nicht vergessen, und Sie werden mir auch zugestehen
müssen, daß ein solches Dementi in der Geschichte der Journalistik jedenfalls als
ein Rarum, mindestens aber als eine Kuriosität bezeichnet werden muß . . . Und
darin stimmte ich dem alten Herrn bei."

J) Die bunten Vögel.

Von Arthur Silbergleit.
Der junge Neger hielt die Luftballons
In seinem Farbenbündel fest zusammen.
Wild übersprühten ihre runden Flammen
Der Jahrmarktskarusselle Lampignons.
Brandroten, grünen, gelben Kugeln gleich,
Froh, abenteuerlich dahinzugaukeln
Und über den geschwungnen Riesenschaukeln
Zu schweben in der Sonnen freies Reich.
Auf einmal riß ein Sturm an seiner Schnur,
Da schwirrten sie gleich bunten Zaubervögeln
Zu windgeblähten, weißen Wolkensegeln
Und tanzten auf der blauen Himmelsflur;
- Und eine stieg so kühn ins Abendrot,
In der Planeten gelbe Feuerringe,
Als wünschte sie, daß sie allein hier hinge,
Der andern Himmelsflammen Strahlentod.

iöriefe der Diebe.


as Charakterbild, auch der bedeutenden Menschen, das wir mit Hilfe von
Geschichtswerken vor uns aufleben lassen wollen, behält einen Zug der
Fremdheit. Es ist fast unmöglich, hinter ihrer geschichtlichen Bedeutung, die doch
mehr oder weniger eine Rolle erscheint, die Gestalt des lebendigen Menschen zu
sehen, ihre Stimme zu hören, ihre Alltäglichkeit mitzuerleben und ihre Gefühle
nachzuempfinden. Der beste, ja der einzige Weg zur Erfüllung dieses Wunsches ist
der Brief, der als rein persönliches aus der Stimmung des Augenblicks nieder-
geschriebenes und nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Dokument, gerade das
Zufällig-Individuelle und darum so Charakteristische der Persönlichkeit aufbewahrt
und der Nachwelt überliefert. Unter allen Arten von Briefen aber nimmt wieder
der Liebesbrief die erste Stelle ein. Denn wenn irgend eine Äußerung, so
ei folgt die der Liebe unmittelbar aus der Fülle des Gefühls, ohne Rücksicht auf
ein anderes Publikum als den geliebten Menschen; Temperament und. Charakter,
Denken und Wollen eines Menschen nebst seiner allgemeinen und der zufälligen
augenblicklichen Lebenslage sammelt sich im Liebesbrief wie in einem Brenn-
spiegel und wird von hier zurückgestrahlt und hilft die Kulturlage und die all-
gemeine geistige Situation färben.
Eine Sammlung von Liebesbriefen bedeutender Menschen ist daher nicht
nur für die Schreiber und die Adressaten aufschlußreich, sondern kann bei
richtiger Auswahl und Gruppierung auch kulturhistorisch höchst aufklärend und
unterhaltend wirken. In diesem Sinne hat Camill Hoffmann in dem Buche
„Briefe der Liebe. Dokumente des Herzens aus zwei Jahrhunderten
europäischer Kultur“ eine reiche Anzahl dieser unmittelbaren Dokumente
des Herzens zusammengestellt. In diesen Blättern zieht das achtzehnte und das
neunzehnte Jahrhundert an uns vorüber, dargestellt durch die in Politik, Wissen-
schaft, Kunst und Gesellschaft hervorragenden Vertreter der europäischen Haupt-
länder. Ihre Briefe bilden ein Buch der Leidenschaften, der Kämpfe und Schick-
sale. Eine fast endlose Reihe zieht an uns vorüber, Alte und Junge, Männer
und Frauen; Deutsche, Franzosen, Engländer, Russen, und es bereitet köstlichen
Genuß, mit Hilfe der vorliegenden Sammlung nachzuerleben, wie die Großen
der Erde sich der ursprünglichsten aller Leidenschaften beugen, wie Könige und
Abenteurer, Künstler und Staatsmänner, Frauen der großen Welt und arme
Mädchen aus dem Volke dem Willen ihres Herzens unterliegen, und wie im
Wechsel der Zeiten und der Kulturen die Liebe sich immer gleich bleibt. Vom
Rokoko schlingt sich der Reigen bis in die Gegenwart; viel Glück, Hoffnung und
Erfüllung, mehr Unglück, Schmerz und Entsagung sind in diesen Blättern enthalten.
Mit großer Kenntnis und vielem Geschmack hat der Herausgeber nahezu
zweihundert Liebesbriefe vereinigt und diese fast unübersehbare Masse mit der
Hand des Künstlers in deutlich unterschiedene Gruppen gesondert. Dabei wurde
alle schematische Engherzigkeit vermieden und nur ungefähr eine zeitliche
Ordnung, sowie die allgemeine kulturelle Zusammengehörigkeit beobachtet.
„Vom Verstand zum Gefühl“ heißt die erste Gruppe, ein Titel, der die Geistes-
lage Europas in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vortrefflich
bezeichnet. Das ehrwürdige Paar Gottsched und Luise Kulmus eröffnet hier steif
und zopfig, aber voll deutscher Biederkeit den bunten, langen Zug. Die englischen

[Nachdruck verboten.]
Satiriker Swift und Steele folgen mit ihren Partnerinnen, der junge Voltaire
schreibt an Olympe Dunoyer, Lessing und Eva König erleben ihr tapferes und
so kurzes Liebesglück, und Rousseau wird durch sein bewegliches Herz von
einer Frau zur andern geführt. In eine andere Welt derselben Zeit führt uns
„Das galante Intermezzo“, darin uns Kaiserin Katharina II. von Rußland, die
Tänzerin Barberina, der Abenteurer Casanova und manche andere entgegentreten.
Das nächste Kapitel zeigt uns „Die Empfindsamen“ mit ihrem sentimentalen
Kultus des Gefühls, das durch den Namen Klopstock am besten bezeichnet wird.
Und nun beginnt mit der vorklassischen Zeit die „Brausende Klärung“: Herder
und Karoline Flachsland, Bürger und Molly, Schiller und Frau von Kalb und die
Schwestern Lengefeld, Mozart und Konstanze Weber schreiten in diesen Reihen.
Jetzt folgt als „Danse funebre“ die französische Revolution, und in den Gestalten
Ludwigs XV., Mirabeaus, Camille Desmoulins’ schlingen sich Liebe und Tod
schauerlich durcheinander. Goethe mit jener Schar von Frauen, die sein Leben
verschönten, bildet eine Welt für sich, die „Heroische Zeit“ zeigt uns die
Helden der napoleonischen Aera und der Befreiungskriege, Napoleon, Lord
Nelson, Königin Luise, Prinz Louis Ferdinand, Kleist und Körner, von ihrer
menschlichen Seite. Echte Romantik ist, was sich unter der Überschrift
„Schwärmende Herzen“ vereinigt, von Hölderlin mit seinem tragischen Leben
und Lieben bis zu Grillparzer und Fanny Elßler. Beethoven eröffnet die Reihe
pathetischerer Menschen, die hier unter der Überschrift „Symphonie pathetique“
vereinigt werden, und in denen bereits die neue Zeit gärt; Byron, Chateaubriand,
Puschkin, Stendhale, George Sand und viele andere finden sich hier zusammen.
Auch in dem Kapitel „Vorfrühling der Völker“ keimt die neue Zeit, deren
politische Färbung sich durch die Namen Börne, Heine, Freiligrath, Herwegh,
Lassalle ausspricht. Ruhiger geht es in den „Biedermännischen Idyllen und
Tragödien“ zu, deren Spieler Uhland, Lenau, Mörike, die Droste und andere
sind. Und nun kommen wir zu den „Modernen Charakteren“, zu Menschen mit
einem ganz neuen Pathos, die voll Mut und starkem Lebenswillen ihr Schicksal
selbst in die Hand nehmen. Hier finden wir die Größten der jüngst vergangenen
Zeit: Wagner und Mathilde Wesendonck, Bismarck und seine Frau, Nietzsche und
eine junge Holländerin, Ibsen und Emilie Bardach, Maupassant und Maria Bashkirt-
scheff, Tolstoi und seine Frau und viele andere.
Es ist ein Welltheater der Leidenschaft, das uns hier vorgeführt wird, und
das Schauspiel der Menschlichkeit, das man darauf spielt und so oft ins Tragische
umschlägt, muß jeden, der sich vor den Vorhang setzt, im Innersten erschüttern.
Dieses bunte und reiche Buch gehört zu der so verheißungsvoll begonnenen
Sammlung „Bongs Schön-Bücherei“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat,
eine Bibliothek von einzelnen völlig in sich abgeschlossenen Büchern in zwangloser
Reihenfolge zu vereinigen, deren jedes in geschmackvoller Form Themen behandelt,
die menschlich, geschichtlich oder kulturell interessant sind. Dabei ist besonderer
Wert auf buchkünstlerische und stilgemäße, je nach dem Inhalt der Bände ver-
schiedene Ausstattung gelegt. Der Preis dieses Buches der feinsten Unter-
haltung und des besten Geschmacks beträgt nur M. 2.—, was auch von allen
anderen Bänden der Bongschen Schön-Bücherei gilt.
 
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