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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Buss, Georg: Eines Hochedlen und Hochweisen Raths Verneuerte Kleider-Ordnung und Verboth der Hoffarth
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0215

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Verneuerte Kleider-Ordnung und Verboth der Hollarth:
Das unvorschriftsmäßige Liebespaar.

Seremias Muffel war Stadtwaibel und Ratsbote,
auch Laternenanzünder und Nachtwächter, zudem
Hochzeits- und Leichenbitter. Letztere beiden
Ämter schätzte er wegen des Hochzeits- und Leichen-
schmauses besonders hoch. Daher sein Gesicht als
Leichenbitter so fidel war, als sei in der Welt das größte
Gaudi passiert. Hingegen schritt er ernst und gravitä-
tisch in der weniger genußreichen Würde des Stadt-
waibels und Ratsboten einher. Als solcher trat er so-
eben aus dem altersgrauen Rathause. Der Zopf, der hing
ihm hinten und das krumme Schwert zur Seite. Neben-
bei gesagt, er selbst hing stark an Wein, Weib und
Bier. Sein gegenwärtiges Ziel war das Zentrum des
vor dem Rathause gelegenen Marktplatzes. Wichtiges
und Eiliges schien er vollführen zu sollen, denn seine
Linke hielt eine stattliche Pergamentrolle mit angehängten
Siegeln und die große Ratsschelle. Doch zuvor spracli
er mal eben im Roten Löwen vor. Was er dort löwen-
mäßig tat, bedarf keiner Erklärung. Genug, es fiel ihm
nachher einigermaßen schwer, in gerader Linie des
Marktplatzes Mitte zu gewinnen, und ebenso schwer des
Homers prächtigen Vers zu betätigen:
Fest wie die Säule von Erz zu stehen im tobenden Volke.
Nach dem Zickzackkurs erinnerte sich Jeremias
dunkel einer gewissen Rolle. Mit der Rechten tastete er
in den Seiten- und Hintertaschen seines Rockes herum —
er suchte etwas. „Schockschwerenot! Sollte die Rolle
im Löwen geblieben sein?" Er suchte weiter . . . Na
so was! Die Rolle hielt er doch in der Linken . . .
„Verflucht schweres Zeug das Bräu im Löwen! Wär’s nicht so gut, ich tränke es nimmer!"
Mit Würde und Bedacht zog er die Rolle auseinander, suchte Balance zu halten,
schwang die Ratsschelle, daß ihre schrillen Töne ringsum bis zu den hohen Giebel-
häusern gellten, und schickte sich an, vor den erwartungsvoll herbeieilenden Bürgern
und Bürgerinnen ein neues Decretum zu verlesen. Zuvor geruhte er noch einen
Blick amabilmente auf Susanne, des Flickschusters hübsches Töchterlein, zu werfen.
Daß diese hold errötete, bedarf in Anbetracht der anerkannten Tugend deutscher
Jungfrauen keiner besonderen Versicherung. Dann legte Jeremias sehr gewichtig los:
„Wir, der Rat und die Schöppen des Heiligen Reichs Freier Stadt Hohendung-
hausen fügen hiermit allen unsern Burgern, Underthanen und Angehörigen und sonst
männiglich zu wissen, dass Uns zu tiefster Bekümmernuss und triibsamer Sorge die

[Nachdruck verboten.]
Wahrnehmung gereicht, wie in diesen ärmlichen, gelt-
beklemmensten Zeiten die KleiderPracht und die Hof-
fartli in Manns- und Weibsleute gar fürchterlich gefahren
ist, ein jeder und ein jedes über seinen Stand hinaus
will und die geheiligte Ordnung, so schon von unsern
Vorfahren auf göttliches Geheiss eingesetzet, mit Füssen
tritt, also dass viele Familien in ihrem Underhalt bös-
lich zu Schaden und Verfall kommen. Insonderheit
haben Wir angemerket, dass viele Weibsleute in ihrem
leichten Sinn nur darauf bedacht seynd, wie sie des
Mannes Gut und Gelt für allerley Seyden, Sammete,
Pelzwerk, Paradiesbälge, Reiherstutze, Verbrehmungen,
güldene und silberne Borden, koslbarliche Kanten, Ketten,
Ringlein und Spangen verthun, auch den Hals gantz
weit entblössen, die Röcke gar eng um die Gliedmassen
winden, dass solche wie eine Wurst seynd, und das Haar
gar verwegen, unziemlich und mit frembden Haaren
gemenget tragen, ja sogar für nöthig erachten, ihr Ge-
sicht, so ihnen der Herrgott in Gnaden verliehen, mit
Schminken, Salben, Bleyweiss, cyprischem Wasser,
Schön-Flecken, Mehl und andern' Praktiken zu ver-
kühlen und ansehnlicher zu machen, auf dass sie immer
mehr des Teuffels Leimrutten werden und ein jeder sie
lieb haben möge — obschon sie durch solche Verderbnuss
und Sündhaftigkeit Gottes gerechten Zorn auf sich laden
und sich den Weg zur ewigen Seligkeit gäntzlich ver-
'3 sperren. Also befehlen und gebieten Wir ernstlich und mit
gehörigem Nachdruck, dass eine jede Manns- und Weibs-
person sich nach folgender Kleider-Ordnnng richte . . .
Jeremias Muffel hielt wegen unbändiger Heiterkeit des männlichen Teils des
Auditoriums einige Augenblicke inne, schwang die Schelle und straffe die Vermessenen,
die da zu lachen wagten, mit strengen Blicken. Dann fuhr er im Lesen fort. Aber
seine tiefe Baßstimme im Umfange: F-d, die zur Not für den Sarastro in der Zauber-
flöte oder den Marcel in den Hugenotten genügt hätte, schnappte unter der Einwirkung
des Löwengebräus ins hohe c über, was erneute Heiterkeit hervorrief. Aber sie wich,
je weiter er die Verordnungen eines hochweisen Rats zu Gehör brachte. Jedem Stande

XXVIII. W.-No. 24.

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