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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0548

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Copyright by Rieh. Bon”, Berlin. 7. 5. 1914. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern Vorbehalten.

Im ersten Glühen des nächsten Tages steigen wir
den Berg wieder hinunter, und nun geht es durch Tal-
mulden, über steile Seitenpfade und endlich auf dem
weinbergbekränzten Rücken des Coltle d'Elsa, einem
Zweige des segensreichen Chiantilandes, entlang. Von
einem romantisch bewachsenen Kastell gleichsam über-
dacht liegt da ein malerisch altertümliches Nest, das
wir durchschreiten müssen. Die enge Hauptstraße zeigt
ein merkwürdiges Charakteristikum: zahlreiche an den
Häusern angeklebte Zettel mit den Zitaten großer sozialer
Geister, Namen wie Dante, Robespierre, Garibaldi, Zola,
zeugen vom Haß und der Erbitterung der Bevölkerung
gegen Staat und Kirche.
Nun wird die Landschaft
flacher, und endlos dehnt
sich die Landstraße vor uns
aus, ein hellgelber Strich
zwischen grünen, von Hecken
bekränzten Feldern. Erbar-
mungslos strahlt die Sonne
vom Himmel herunter, immer
heißer, immer stechender.
Der Boden glüht schier vor
Hitze, und nirgends ist ein
Strauch, ein Baum, der
uns, auch nur sekundenlang,
Schatten spendete. Unser
schneller Marschschritt er-
lahmt angesichts der weiß-
blendendenSchlange vor uns,
die in den Horizont hinein-
kriecht. Kaum ein Mensch
begegnet uns, die wenigen
wissen in schwer verständ-
lichem Dialekt keine Aus-
kunft zu geben. So ging es
Stunde um Stunde, bis end-
lich in der Ferne ein runder,
stadtgekrönter Berg sich vor
die Landstraße schiebt. Ein
Bauer, mit einem Ochsen-
gespann — mächtigen weißen
Stieren mit breit ausladen-
den Hörnen — weiß gottlob
Bescheid, daß in der Nähe
eine Station ist und bald ein
Zug nach Siena abgehen
wird. Dort haben wir noch
Zeit, in einem kleinen Laden,
einem wahren Idyll von
qualmenden und spuckenden
Arbeitern, Käse- und Salami-
düften, eine frugale Mahlzeit
einzunehmen, bis uns mit un-
heimlicher Pünktlichkeit —
während die Diretti fast aus-
nahmslos mit gehörigen Ver-
spätungen fahren, zeichnen
sich ihre Stiefgeschwister,
die Provinzialbähnchen,
durch das Gegenteil aus, in-
dem sie mit Vorliebe ein
paar Minuten früher als fahr-
planmäßig abfahren — der
Zug nach Siena weiterträgt.
Siena — wer wird seine,
in festlicher Weite daliegende
Piazza je vergessen? Wie
sich der Gesamtcharakter der
Umgebung und die natür-
liche Stimmung des Raumes
so innig und zu einem so
heiter - harmonischen Zu-
sammenklang vermählen, das
ist in der Tat ganz einzig-
artig und einer der stärksten
Eindrücke einer Italienreise.
Flankiert von dem mäch-
tigen Gebäude des Palazzo
Publico, einem viergeschossi-
gen, zinnengekrönten und
reich mit dreiteiligen Spitz-
bogenfenstern gegliederten Werk, und einer Reihe un-
gefähr gleich großer, ehrwürdiger Privatpaläste, ergibt
sich bei seinem Anblick durch die natürliche An-
schmiegung an ein Hügelbett und bei vollkommener
Abgeschlossenheit sofort der Gedanke eines Amphi-
theaters, das geradezu zu großen Festen lockt und zu
seiner Dekoration der bunten Menge des Volkes bedarf.
Es muß eine Lust sein, die berühmten Pferderennen
um den „Pallio“ hier zu erleben.
Auf dem Domplatze vor dem weltberühmten Bau-
denkmal mit seiner fabelhaften Pracht an rotem, weißem
und schwarzem Marmor — das größte polychrome
Wunder der Welt, sagt Jakob Burckhardt — blüht gerade
das Kirchengeschäft. Hökerinnen verkaufen Weihkerzen
und fromme Sprüchlein in Menge, ein stattliches Regi-
ment Bettler hockt an den Türen, ihr Bittgebet regungs-
und empfindungslos herunterplappernd. Im Raume schlägt

I oskanische Wandertage.
(Von Florenz nach Rom.)
Von Otto Schabbel.
Wir standen in Fiesoie. Unter uns, in einen Blüten-
traum versunken, das frühlingsjunge, duftumwehte Flo-
renz. Aberweiter ging der Blick: In der Ferne lockten
die anmutvollen, weichen Linien der toskanischen Land-
schaft. Ganz nahe den keuschen Hauch dieses Körpers
zu spüren, in den weichen, winkenden Tälern unterzu-
tauchen, in die dämmernde Ferne, die zu bitten schien:
Komm, hab’ mich liebl hin-
einzuwandern, Schritt für
Schritt, auf der heiligen
Straße der heiligen Stadt ent-
gegen, langsam die stolze
Schöne erobern. . . - das
reizte mächtig die Phantasie
und versprach Eindrücke und
Bilder seltenster Art.
Der nächste Morgen schon
sah uns rucksackbepackt in
aller Frühe zur Porta Romana
hinauswandern, vorbei an
Cimitero degli Allori, wo
Böcklin, Stauf fer - Bern
und auch Ludmilla Assing
eine friedvoll heitere Ruhe-
stätte gefunden haben. Seine
schlanken Zypressen ragen
hoch im ernsten Schwarz und
schlagen gleichsam in einem
mächtigen Akkord das Stim-
mungsmotiv der Landschaft
an, die sich schimmernd weit
vor uns ausbreitet. Gegen-
sätzlich zu den Begriffen, die
man sich im Norden von einer
mittelitalienischen Landschaft
zu machen geneigt ist, trägt
die Toskana durchaus den
Charakter eines Hügellandes.
Die Städte sind mit Vorliebe,
hauptsächlich wohl aus Ver-
teidigungsgründen, auf höch-
sten aussichtsreichen Punkten
angelegt, und die Straßen
führen meistens über die
Rücken der Höhenzüge, so
daß der Wanderer eine be-
lebende Freiheit des Blickes
und Frische des Windes ge-
nießt. Auf einzelnen Höhen
und auf den Ausläufern der
Ketten halten graue, ver-
witterte Kastelle Wacht, die
dem ganzen Eindruck einen
romantischen Hauch ver-
leihen. Die Luft ist von
ewiger Lebendigkeit belebt
und vom Duft unsichtbarer
Blüten geschwängert. Zwei
stärkere Akzente treten im
Bilde der in ihrem Olivengrau
und Hügelgrün fast eintönigen
Landschaft lebhaft hervor:
die Zypressen, die meist in
Gruppen vornehm abgelegene
Landhäuser umgeben und
immer aufs neue daran er-
innern, wie man in aller
Wonne des Lichtes ernst blei-
ben kann, und ganz fern im
Dufte des Himmels einzelne
vom Winterschnee noch sil-
bern glänzende Berghäupter,
die trotz der warm flutenden
Sonne die Jugend der Land-
schaft verkünden.
Bald merken wir die
Wohltat, dem Fremdenraube
der Großstädte entgangen und mit dem ursprünglichen ita-
lienischen Leben, das sich nun in seiner ganzen Liebens-
würdigkeit und naiven Gutmütigkeit darbietet, in Be-
rührung getreten zu sein, ln einer Locanda zu San
Casciano, wo auf der Piazza sich gerade das lebhafte
Treiben des Wochenmarktes abspielt, tischt uns die
freundliche Wirtin in dem oberen Stock ihres Hauses,
wo sich, wie fast überall in Mittelitalien, der Wirtschafts-
betrieb befindet, ein gutes Frühstück auf, das auch dem
anspruchsvollsten norddeutschen Magen behagt hätte,
und der lächerlich geringe Preis, den sie dafür erbittet,
steht im krassesten Gegensatz zu den Preisen der großen
Fremdenstraße.
In vielen steilen Windungen führt von dort die
menschenleere Straße zum Flecken Barberino, das sich
neben der Landstraße auf einem hochanklimmenden
Hügel erhebt. Von dort aus sehen wir in weiter Ferne

unser erstes Reiseziel liegen: San Gigmignano, die
Stadt „delle belle torri“, die Stadt mit den schönen
Türmen. Es macht seinem Namen alle Ehre: hoch
ragt die vielgestaltige Pracht seiner Türme. Aber noch
heißt es lange wandern, und erst am späten Nachmittag
geht es durch ein Wiesental den letzten Berg hinauf,
von dem, oft durch die Windungen der Straße verdeckt,
das ersehnte Ziel in massiger Wucht heruntergrüßt.
Das kleine Bergnest ist der vollkommene Typ der
mittelalterlichen Stadt; er ist auffallend rein erhalten
und fast gar nicht mit neueren Elementen durchmischt.
Die Paläste — es gibt deren eine ganze Menge — sind weder

M. R. Cörbet: Ponte Molle von der Villa Madama aus. (Rom.)
durch Größe noch durch Aufwand an Prunk auffallend;
sie sind zierlich in ihrer Schlankheit, und entzücken
durch ihre weitgeschweiften, von weißen Säulen ge-
tragenen Spitzbogen. Daneben wuchtet die Monumen-
talität der Turmkolosse doppelt schwer. Im Chor der
Kirche von S. Agostino sieht man Fresken von Benozzo
Gozzoli, dem Schüler Fra Angelikos: frisch in der Farbe
und merkwürdig heiter in der Darstellung. Als wir er-
müdet den Weg in unser Albergo, wo wir bei der durch
ihre Schönheit weit berühmten Wirtin vortrefflich auf-
gehoben sind, suchen, schiebt sich uns entgegen ein
Leichenzug durch die engen, dämmerdunklen Gassen,
Knaben voran mit brennenden Kerzen, zwischen ein-
tönig singenden Priestern schwankt ein Sarg, von ver-
mummten Brüdern der Misericordia getragen, hinterdrein
ein paar Verwandte und Neugierige. Wie ein grauer
Spuk torkelt das Bild vorüber.

XXVIII. Fr.-No. B. 2.
 
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