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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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20. Heft
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Neisser, Artur: Das Goethe-Denkmal in Rom
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Ertel, Jean Paul: Berlin und seine Konzerte: eine Betrachtung über Konzertisten und Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0609

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258

MODERNE KUNST.



Gustav Eberlein: Das Goethe-Denkmal in Rom. Harfner und Mignon.
Mund Faustens verrät, meinen wir die Worte Mephistos zu hören: »Hör’ auf, mit
deinem Gram zu spielen, der wie ein Geier dir am Leben frißt!“. Mit
dieser Aufforderung zur Lebensbejahung knüpft der Künstler also auch in dieser
Gruppe deutlich und bezeichnend an den klärenden Einfluß an, den Italien auf den
Genius gehabt hat. Wie stark dieses Verwachsensein Goethes mit Italien bis in sein
höchstes Greisenalter gewesen ist, das weiß man aus dem Leben dieses sich immer
wieder läuternden gottähnlichen Menschen zur Genüge; gestand er es sich doch in
seiner letzten Weimarer Zeit vielfach selbst ein, sich durch seine tiefwurzelnde un-
überwindliche Liebe zum Heimatlande der Kunst scheinbar des Vaterlandsverrates
schuldig gemacht zu haben. So darf uns das schöne Goethe-Denkmal in Rom nicht
einfach nur als ein Dokument der Dankbarkeit Deutschlands an Italien gelten, sondern
wir entsinnen uns angesichts dieses Monumentes wehmütigen Sinnes auch der tragi-
schen Sehnsucht aller Deutschen nach dem Süden, die der italienischen Sonne doch
niemals so auf die Dauer froh werden können, weil sie die Liebe zum Vaterlande
stets wieder zur grauen und doch sonnig heiter lächelnden Heimat zurücktreibt!
Berlin und seine Konzerte.
Eine Betrachtung über Konzertisten und Publikum von Dr. Paul Ertel.
[Nachdruck verboten.]
»ls ich vor nunmehr 25 Jahren zum ersten Male in der Reichsmetropole
das kritische Schwert schwang, herrschten noch idyllische Zustände.
Mit einiger Behaglichkeit schlenderte man in den Konzertsaal und freute
sich der meist sehr schönen Genüsse, die uns Künstler von Gottes Gnaden
bereiteten. Es war schon etwas Besonderes, wenn an einem Abend an zwei
verschiedenen Stellen Musik erklang, und mit gelindem Ärger wanderte der
„vielgeplagte“ Rezensent — so redete er schon damals — von einem Saal in
den andern. Man schimpfte dann auf die ach so langsame Pferdebahn, auf die
Hitze im Saale, die die bösen Katarrhe erzeuge, wenn man unvermittelt die freie
Gottesnatur betrat, und auf noch vieles andere. Die guten, alten Zeiten! Sie sind
entschwunden, auf Nimmerwiedersehen. — Ein ander Bild von heute: Konzert-
plan der Woche vom 12. bis 18. Oktober 1913 = 46 Konzerte! Hierin sind die
kleineren Veranstaltungen natürlich gar nicht mit eingerechnet; ebenso scheidet
die Oper aus. Die „Künstler“ — und wer wäre keiner? — glauben daran, in
dem Zentrum der Musikpflege ihr Publikum zu finden. Daß es auch ein „zahlen-
des“ Publikum sei, diesen Gedanken hat man sich allerdings schon abgewöhnt.
Es kommt z. B. bei größeren Orchesterkonzerten gar nicht so selten vor, daß der
Konzertgeber mit absoluter Unterbilanz arbeitet, weil er gezwungen ist, in letzter
Stunde noch den Riesensaal mit sogen. „Freibergern“ zu füllen, damit wenigstens
der Raum einigermaßen voll ist und damit er sich, wie er glaubt, eine Art Claque
heranziehen, was vielfach eine große Täuschung bedeutet. Man müßte eigentlich

Genius selbst über die ewige Schönheit Roms; die idealisiert jugendlichen, leuchtenden
Augen schauen mit strahlender Seligkeit über die Romwelt hinüber, weit hinaus in
die Campagnaebene, die sich jenseits der Stadt dehnt. Es war ein schöner Gedanke.
unseres Kaisers, der Stadt Rom dieses Denkmal zu schenken und damit die politische
Verbrüderung Deutschlands und Italiens gleichsam auch geistig zu idealisieren. Hat
der Künstler, Gustav Eberlein, dieser vielseitige Dichterdenker mit Griffel und Meißel,
die verantwortungsvolle Aufgabe glücklich gelöst? Müßig ists, diese Gewissensfrage
trocken und pedantisch-kritisch zu beantworten! Die seltsame Idee, ein korinthisches
Säulenkapitäl zum Sockel eines Monumentes zu gestalten, das dadurch ein gut Teil
seiner Monumentalität eingebüßt hat, diese seltsame Idee wird aufgehoben durch den
im ganzen doch recht glücklichen Gesamtaufbau. Frei und jünglingshaft, fast noch
etwas zart in den ebenmäßigen Formen des Körpers, steht der Dichter vor uns; doch
wird des Beschauers Augenmerk freilich mit bewußter Absicht auf die drei Gestalten-
gruppen gelenkt, die zu drei Seiten sich um den Sockel gruppieren, und die uns an
drei der Hauptwerke Goethes gemahnen; zum mindesten die durch die beiden Vorder-
grundsgruppen idealisierten Dichtungen sind ja aufs engste mit Goethes Aufenthalt in
Italien verknüpft: Mignon und Iphigenie. Man könnte vielleicht von Sehnsucht und
Erfüllung reden, wenn man diese beiden Gedichte in den seelischen Zusammenhang
des Goetheschen Gesamtwerkes einbeziehen will. Immer wieder spricht der Dichter in
seiner Schilderung der ersten italienischen Reise von seiner Arbeit an „Iphigenie", die
er in einem Briefe vom 10. Januar 1787 geradezu sein „Schmerzenskind" nennt. Wir
erfahren aus diesen Briefen auch, daß der Dichter ursprünglich sogar den kühnen Plan
gefaßt hatte, sich von dem „mit der Seele gesuchten Lande der Griechen" selbst dazu
inspirieren zu lassen: Goethe wollte die Dichtung zuerst in Delphi selbst skizzieren,
bis es ihn dann am Gardasee machtvoll überkam, und er den immer mehr reifenden
Plan zu dem Wunderwerke die ganze Reise hindurch in seiner Brust wälzte, um
ihn in Rom endgültig auszuführen. Wer will es wissen, ob sich Eberlein bei den
Sockelgestalten nur an allgemeine Motive aus den betreffenden Werken gehalten
oder ganz bestimmte Verskomplexe dabei erschaut hat? Immerhin scheint die
Iphigeniengruppe auf jene Stelle im dritten Akt zu weisen, wo das große Erkennen
über die Geschwister Orest und Iphigenie kommt, und wo sich der Erinnyenfluch
von der gequälten Seele des Muttermörders zu lösen beginnen will, ohne jedoch
ganz von dem Gefolterten zu weichen. Dieser Moment der Ruhe in der Bewegung,
der so wundervoll zu den Grundgesetzen aller Plastik harmoniert, ist von dem
Künstler lapidar und gewaltig erfaßt worden, und auch die, auf die Begasschule
des Künstlers hinweisende Riesenhaftigkeit der Figuren wirkt hier besser, als in der
Mignongruppe, wo der Mignon das knospenhaft Zarte, Verträumte, Jungfräuliche etwas
zu fehlen scheint.
Seinen ganzen pathetischen Realismus entfaltet jedoch Eberlein in der dritten
Gruppe, die dem ersten Teile Faust ihre Anregung verdankt; hier glauben wir
beinahe die Verse zitieren zu dürfen, deren sich der Künstler bei dem Entwurf ent-
sonnen hat. Wie Mephisto, der ganz unerbittlich „als böser Geist, der stets verneint",
charakterisiert ist, sich hier ganz in
Faustens Körper und Seele einsaugt, wie
er ihm seine blutdürstigen Krallenfinger
in die Schulter bohrt und seinem Opfer
mit lustverzerrten Lippen teuflischenTrost
zuflüstert, und wie sich der Gram über
die Vergeblichkeit alles menschlichen
Ringens und Sehnens in den tiefen Stirn-
falten und in dem finster geschlossenen

Gustav Eberlein: Das Goethe-Denkmal in Rom. Iphigenie und Orest
 
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