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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Gaupp, Otto: Die Wallace-Ausstellung in Hertford House
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0042

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28

Hertford House dagegen beherbergt einige dreihundert
Werke der französischen Schule und darunter sind die
Meister des 18. Jahrhunderts, besonders Watteau, Lau-
eret, Pater, Le Moine, Oudry, Nattier, Boucher, Frago-
nard und Greuze vertreten, wie in keiner andern öffent-
lichen oder privaten Gallerie Europas, abgesehen vom
Louvre. Die Sammlung der französischen Bilder ist
allerdings keineswegs vollkommen und wirft manchmal
auf den Geschmack der Sammler ein etwas eigentüm-
liches Licht. Sie enthält z. B. 16 Pater, 27 Boucher
und ebensoviele Greuze, dagegen nicht ein Bild von
Chardin; 28 Horace Vernet, 8 Roqueplan, 4 Isabey,
5 Couture und nicht einen Millet, nicht einen Daumier!
Für diese Seltsamkeiten der Wahl wird man dagegen
reichlich entschädigt durch die neun Watteau, die eigent-
lich alle ersten Ranges und dabei so variiert sind, dass
sie ein sehr vollständiges Bild von seinem Können und
seiner Methode geben. Gleich trefflich und auch mit
neun Bildern ist der andere grosse Meister unter den
Peintres Galants Fragonard vertreten. Unter den Werken
berühmter französischer Maler des neunzehnten Jahr-
hunderts, die man bisher in den öffentlichen Gallerien
Londons umsonst gesucht hat, heben wir hervor vier
charakteristische Decamps, Delacroix’ Hinrichtung des
Marino Falieri, einen hochinteressanten Corot »Macbeth
und die Hexen«, zwei Troyon, einen guten Rousseau
und verschiedene Diaz und Dupre. Meissonier ist mit
nicht weniger als sechzehn Bildern vertreten — darunter
Meisterstücke — und der geniale frühverstorbene Boning-
ton — halb französischer Romantiker, halb Engländer
im Styl — gar durch 34 Oelgemälde und Aquarelle.
Die italienischen Bilder sind die wenigst zahlreichen
der Ausstellung, aber beinahe alle von feiner Qualität.
Von besonderem Interesse unter ihnen ist Tizians »Per-
seus und Andromeda«, ein grosses Bild aus der späten
Periode des Malers (1562), das Mr. Claude Phillips, als
die Wallace-Ausstellung an die Nation kam, im Bade-
zimmer von Hertford House entdeckte, wo es völlig
vernachlässigt und unbemerkt hing. Vasari nennt das
Bild in seinen »Vite« mit hohem Lob ; es war ursprüng-
lich für Philipp II. gemalt und kam 1798 mit den an-
dern italienischen Bildern der Orleans-Sammlung in Lon-
don unter den Hammer, um dann praktisch für ein
Jahrhundert der Welt verloren zu sein. Es hat jetzt
zum erstenmal seinen Platz unter den Meisterwerken
der Wallace-Sammlung eingenommen. Eine zeitgenös-
sische Kopie hängt in der Hermitage in St. Petersburg.
Andere bedeutende italienische Bilder sind eine präch-
tige »Heilige Katharina von Alexandrien« von Cima da
Conegliano, das Mittelstück eines Altarbildes, dessen
Flügelstücke in der Strassburger Gallerie sind; zwei
»Madonnas«, die verschiedene Perioden in Bernardino
Luinis Schaffen illustrieren; Crivellis »Heiliger Rochus«
und Andrea del Sartos »Jungfrau und Kind mit Johannes
und zwei Engeln«, das Original unzähliger Kopien, von
denen zwei der bekanntesten im Prado-Museum in
Madrid sind. Einige zwanzig sogenannte Canalettos
würde man gerne vermissen; dagegen ist Canalettos
grösserer Schüler Guardi mit neun Gemälden vorzüg-
lich vertreten.
Von der Kunst Spaniens zeugen besonders acht
Velasquez und zwölf Murillo. Unter den Velasquez
sind nur drei zweifellos ächt; nämlich die berühmte
»Femme ä l’Eventail«, eines der wenigen Beispiele, wo

der spanische Meister eine Dame aus dem Bürgerstand
portraitiert hat, und zwei Portraite des Don Baltasar
Carlos als Kind und in der Reitschule. Unter den
Murillo sind die bedeutendsten das figurenreiche »Mild-
thätigkeit des heiligen Thomas von Villanueva«, »Die
Verkündigung« und »Die Heilige Familie«. Ein anderes
grosses spanisches Bild ist Alonso Canos ergreifende
»Vision Johannes des Evangelisten«, ein Werk in seiner
früheren und mehr charakteristischen Manier.
Neben den Franzosen sind am reichsten vertreten
die grossen Schulen von Flandern und Holland; diese
illustrieren zahlreiche treffliche Werke von Rembrandt,
Franz Hals, Van der Heist, Adriaan und Isack van Ostade,
Adriaan und Willem Van de Velde, Pieter de Hooch,
Terborch, Metsu, Philips Wouverman, Jacob van Ruys-
dael, Hobbema, Berchem, Paul Potter, Aalbert Cuyp,
Jan Davidz de Heem, von Huysum und vielen andern;
jene Rubens, van Dyck, Cornelis de Vos, Jordaens,
Gonzales Coques, Adriaan Brouwer, Teniers der Jüngere
und viele mehr. Unter den elf Rembrandts ragen be-
sonders hervor »der ungetreue Knecht« zwischen 1660
und 65, aus der Stowe-Sammlung; dann vielleicht das
beste seiner »Titus«-Portraite (1658—-60); die »ideale
Landschaft« aus der Taylor-Sammlung und ein Portrait
des Bürgermeisters »Jan Pellicorne mit Sohn« (1632/33).
Hals’ »Lachender Kavalier«, der als Pendant zu Velas-
quez’ »Dame mit dem Fächer« hängt, ist eines der
grössten Meisterwerke aller Zeiten und ein Bild, wie
es Hals selbst nie übertroffen hat. Die acht Van Dyck
gehören alle zu den besten Leistungen des Künstlers
und illustrieren trefflich die verschiedenen Perioden
seines Wirkens; ich nenne besonders das »Portrait
eines jungen Edelmanns« aus der Genueser Periode,
aus der zweiten vlämischen Periode die berühmten Por-
traite „Philippe le Roy« und »Madame le Roy“ und
das »Selbstportrait als Schäfer Paris«, das Van Dyck
unter Tizians Einfluss malte. Rubens, der mit elf Bildern
vertreten ist, ist am grössten in seiner »Regenbogen-
Landschaft«, von der ein anderes Original, aber etwas
kleiner und kaum gleichwertig in der Qualität in der
alten Pinakothek hängt.
Kontinentale Besucher von Hertfort House wird
wohl der englische Teil am meisten überraschen. Die
Werke der grossen englischen Klassiker des 18. Jahr-
hunderts, eines Reynolds, Gainsborough und Romney
sind auf dem Kontinent nicht zugänglich und nirgends
offenbart sich ihr unvergänglicher Reiz besser als ge-
rade in Hertford House. Besonders Reynolds ist un-
vergleichlich vertreten; unter seinen zwölf Bildern sind
so weltberühmte Meisterstücke wie das »Strawberry
Girl«, seine »Nelly O’Brien«, sein Portrait der Mrs.
Robinson (»Perdita«) »Love me, Love my Dog«, »Mrs.
Nesbitt with a Dove« und »Mrs. Hoare with her Son«.
Werke von Romney, Gainsborough, Höppner, Lawrence,
Morland geben den höchsten Begriff von dem künst-
lerischen Können Englands im 18. Jahrhundert.
Lord Rosebery hat bei der Eröffnung von Hert-
ford House erklärt, »es habe wohl noch nicht ein In-
dividuum einer Nation ein so grosses Geschenk ge-
macht, wie Lady Wallace«. Lord Rosebery hat recht;
dass der Geldwert der Sammlung auf einige 140 Milli-
onen Mark geschätzt wird, ist dabei noch das wenigste.
Ganz unschätzbar ist ihr Wert als der einer hohen Schule
des feinsten Geschmacks 1 Otto Gaupp, London.
 
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