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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 1
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Seydlitz, Reinhard von: Eröffnung des neuen Bayerischen Nationalmuseums
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33

Eröffnung des neuen Bayerischen Nationalmuseums.

Am 2g. September öffneten sich die Pforten des
grossen vielgestaltigen Baues am Forum der Münchner
Prinzregentenstrasse; nicht jedoch dem Publikum, son-
dern einer geladenen Schar von mehr oder weniger
mit Kunst und Kunstgewerbe zusammenhängenden Män-
nern, denen so der Vorzug zu Teil wurde, den feier-
lichen, würdigen und buntfarbigen Anblick der Eröffnung
und des musikumrauschten Rundganges zu geniessen;
denn S. K. Hoheit der Prinzregent, der kgl. Hof, Staat,
Kirche und Stadt waren die Teilnehmer dieses Schau-
spiels. Dem Glanz der Orden und Uniformen entsprach
der Glanz des ausgesucht schönen Herbsttages; feier-
licher Gesang folgte auf feierliche Reden; und endlich
ergoss sich der Schwarm der Teilnehmer die Treppe
hinauf in die weiten, unzähligen Säle, Zimmer, Galerien,
Hallen des grossen Baues, immer dem Hofe folgend,
der voranschritt.
Soweit wäre die Feier auch nicht sonderlich ver-
schieden von allen dergleichen Akten. Aber es fehlte
nicht an einer ganz besondern Physiognomie, die sich
gar bald deutlich zeigte, je weiter die Spitze des Zuges
vordrang. Hatte sich zuerst alles lebhaft bestrebt
»aufzuschliessen«, — bald legte sich dieser Eifer, und
die Letzten des Zuges kamen schier gar nicht vorwärts:
sie verfielen bald in »des Schauens selige Lust.«
Dies ist hier nicht umsonst erwähnt; im Gegenteil:
es enthält fast das höchste Lob, was Erbauern, Aus-
schmückern und Anordnern des wundervollen Museums
im ersten Augenblick zu bringen möglich ist. Der
eigenartige, manchen ungewohnte Anblick höfischer
Pracht verblich vor der in ein paar Worten gar nicht zu
schildernden Pracht der Kunstschätze : man vergass das In-
teresse an den alten Musikstücken, die weit vorn irgendwo
die Spitze des Zuges begrüssten, man vergass’ bald die
Ausschau nach berühmten, hochstehenden oder nach
persönlich bekannten Gesichtern in der Menge. Man
stand, staunte und starrte; man hatte gemeint, das
Münchener Nationalmuseum recht lange und recht
gut zu kennen: war man doch oft genug durch die
zum Ueberlaufen vollen Kammern des alten Baues an
der Maximilianstrasse gewandert. Hier und heut aber
sah man, wie sehr man geirrt: drei Vierteile von allem,
was da stand und hing, war den meisten Besuchern neu
— die Ausrufe der Ueberraschung, die Fragen nahmen
kein Ende: die Münchner entdeckten plötzlich die
ungeahnte Grösse ihres Reichtums.
Und dies lediglich deswegen, weil die Anordner
des Ganzen einander wundervoll in die Hände gearbeitet
und einer guten, rein durchgebildeten Idee bis ins
kleinste Detail die schönste künstlerische Verwirklichung
gegeben hatten.
Diese Idee aber, die soeben einen berechtigten
grossen Triumph gefeiert hat, und wohl von jetzt ab
auch in weiteste Ferne wirken wird, ist in kurzem
folgende.
Ein Museum, als ideales Gehäuse für die Schätze

die es bergen soll, ist von innen heraus zu construieren;
die frontalen Aufgaben des Architekten kommen erst in
zweiter Linie in Betracht. Denn das Wesen einer Stil-
epoche, soweit es sich uns Spätlebenden überhaupt durch
das Studium der geretteten Kunstschätze enthüllen kann,
wird nur in der ihm adäquaten Umgebung deutlich zu
uns sprechen. Diese wohl unwiderlegbare Forderung
ist aber nicht damit zu erfüllen, dass man den Saal, der
gothische Schnitzereien aufweist, mit tiroler Distelorna-
menten bemalt, oder Rococomöbel in ein Zimmer stellt,
welches (meinetwegen noch so stilgerechte) Stuckschnörkel
aufweist: Die Frage der Lösung des Problems will, wie
jede ernste Frage, an der Wurzel angefasst werden.
Worin beruht der Reiz und das sprechend Lehrreiche
eines Interieurs in Pompeji, einer Kunstsammlung wie
die van Six’sche zu Amsterdam, oder einer guterhaltenen
Rococo-Idylle wie der Amalienburg bei München ? Eben
nur darin, dass alles dort steht und hängt, wo es zur
Entstehungszeit aufgestellt wurde, als jene Stilepoche
eben blühte, jene Künstler und Käufer eben lebten und
schufen und sammelten. Baut man darum den glücklich
geretteten Zeugen jener Zeiten ein Heim, so erfüllt man
die Aufgabe nur dann, wenn der Raum für jede Epoche
wahrhaft aus dem Geiste der Zeit selbst geschaffen
wird: in jedem Ausmaass, in jeder Form und Farbe,
in jedem charakteristischen Zuge des Details muss das
Empfinden der Zeit lebendig wiedererstehen. So werden
lauter Einzelheiten gebildet werden müssen und zuletzt
wird es die allergrösste, schwierigste Aufgabe des Archi-
tekten sein, diese in sich abgeschlossenen künstlerischen
Einzelwesen in ein Ganzes äusserlich zu verschmelzen.
Eine solche Verschmelzung muss dabei notgedrungen
ihre Grenze haben: sie kann nicht soweit gehen, das
ganze Gebäude unter einen Hut zu bringen, d. h. eine
möglichst unisono klingende, in gut ausgerichteter Parade-
reihe aufmarschierte Front zu construieren, hinter der alles
charaktervoll einander Widerstrebende sich gehorsam zu
verkriechen hat. Kunst lässt sich nicht kasernieren.
Wohl aber kann und darf, ja soll, ein Gesamteindruck
angestrebt werden, in dessen wohlthuendem Akkord alle
Einzeltöne harmonisch sich vereinen.
Und all dieses ist dem genialen Erbauer des Neuen
Bayrischen Nationalmuseums gelungen. Gabriel Seidl
hat sich selbst mit diesem imposanten Meisterwerk ein
Denkmal gesetzt, das seinen Namen unsterblich macht,
wenn auch in ferner Zukunft nichts Anderes von seinen
Werken übrigbleiben sollte. Zugleich aber hat er das
edelste Beispiel der Erfüllung jenes königlichen Mahn-
wortes gegeben, welches schon am alten Nationalmuseum
prangte: »Meinem Volk zu Ehr und Vorbild.«
Ein altes Schlagwort sagt, dass die grossen Männer
immer paarweise auf die Welt kommen; das Wort ist
wie alle Schlagwörter, nicht immer wahr. Wohl aber
ist wahr, dass G. Seidls Werk nur halb wäre, wenn ihm
nicht ein ihm völlig congenialer Freund und Mitarbeiter
zur Seite gestanden hätte, der Ordner der aufgestellten
 
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