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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Seydlitz, Reinhard von: Der Sieg des blonden Haares in der Kunst
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89

Der Sieg des blonden Haares in der Kunst.
Von R. v. Seydlitz.

Unter den natürlichen Schmuckgegenständen nahm,
seitdem die Menschheit zum Bewusstsein erwachte, das
Haar eine, wenn nicht d i e erste Stelle ein. Aufbau
und Anordnung boten zuerst Gelegenheit zur Erreichung
eines gewollten Eindrucks: man strebte entweder nach
Schönheit und Liebreiz, oder nach Hoheit und (bei
Helden und Kriegern) sogar nach Furchtbarkeit: die
nickenden oder wallenden Haarbüsche späterer Helme
waren z. B. vermutlich nur Nachahmungen urzeitlicher
Mähnenfrisuren, durch die in jenen naiven Zeiten der
Feind erschreckt werden sollte. Diese Haargebäude
verfolgten also denselben Zweck wie die grimmigen
Fratzen der japanischen Kriegermasken oder die rote
Schminke der auf dem Kriegspfad schleichenden Indianer.
Aber man blieb nicht bei der künstlichen Form;
auch die künstliche Farbe des Haares wurde in den
Bereich der zu erstrebenden kosmetischen Vervollkomm-
nung gezogen. Man erfand das Haarfärben, und wo
dies dem Zwecke nicht entsprach, erfand man die
Perrücke. Letztere allerdings diente dann oft nur als
Amts- oder Hoheitsattribut, wie die ungeheuren Staats-
perrücken der alten Aegypter beweisen (Nachahmungen
sind noch heut im innern Afrika hie und da modern) —
nicht minder auch die Perrücken englischer Beamter
heutiger Tage. Während aber Aegypter, Assyrer und
Japaner nur die kunstvolle Form — mit oder ohne
Zuthat fremden Haares oder haarähnlicher Materialien —
anstrebten, sich aber nie beikommen liessen die Natur-
farbe zu verändern, blieb es vorzugsweise den Euro-
päern überlassen, sich eine falsche Haarfarbe anzu-
lügen.
Es ist hier natürlich von solchen Färbungen allein
die Rede, welche nicht die Natur nachahmen sollen,
sondern einen bewussten Gegensatz zur charakteristischen
Eigentümlichkeit der Rasse darstellen. Vor allem also
dem künstlichen Blond, welches im alten Rom wie im
Venedig des 15. Jahrhunderts Mode wurde, sowie dem
greisenhaften Weiss der Perrücken und echten Frisuren
des 18. Jahrhunderts. Und zwar interessieren uns diese
sonderbaren Modelaunen nur, insofern sie in der Kunst
der betr. Perioden zum Ausdruck gekommen sind. Wir
werden dabei sogleich bemerken, dass die »weisse«
Mode der Perrückenzeit in der Kunst lediglich beim
Porträt wiedergegeben wurde, was auch völlig berechtigt
erscheint: das Porträt spiegelt die äussere Erscheinung

der Zeit, also das Kostüm im weitesten Sinne, wieder,
wie es im Einzelfalle die innere Erscheinung, den indi-
viduellen Charakter des Darzustellenden wiedergeben
soll. Die gepuderten Frisuren der sogenannten Zopfzeit
sind also lediglich Teil des Zeitkostüms, und finden
sich dort nicht wieder, wo Idealfiguren, religiösen oder
allegorischen Genres, dargestellt wurden.
Weit mehr als die weissen Zöpfe und Locken der
damaligen Mode drängte sich das Zeitkostüm in die
Kunst ein: am deutlichsten wohl bei Tiepolo und den
Seinigen, der sogar von einer spitzigen Schnebbentaille
bei einer halb märchenhaften Figur nicht absehen zu
können glaubte (z. B. im Trionfo della Perla). Selbst
in alten deutschen religiösen Bildern ist das Kostüm
weit unbewusster, naiver wiedergegeben: diese Alten
kannten es nicht anders; Tiepolo aber hätte seine
Kleopatra auch »griechisch« kostümieren können, wenn
er gewollt hätte. Er kleidete allerdings nur Menschen
so, — Götter und besonders Göttinnen tragen bei ihm
jene Stoffhaufen an sich, die man damals antik nannte;
er war eben der theatralischste aller Maler, und das
Theater zeigte damals gänzliche Sklaverei gegen Per-
rücken, Reifröcke und Stöckelschuhe: auf der Bühne
waren auch die Olympier nicht modefrei.
Ist also das künstlich weissgemachte Haar des
18. Jahrhunderts in seinem Einfluss auf die Kunst leicht
und klar zu begrenzen, so tritt uns in der seit alt-
griechischen Zeiten immer wieder auftauchenden Vor-
liebe für die blonde Haarfarbe ein Zug der euro-
päischen Kunst entgegen, der psychologisch schwer
erklärbar erscheint. Denn hier handelt es sich nicht
mehr blos um Porträtkunst, sondern um religiöse, alle-
gorische und Genrekunst: womöglich alle, — wenigstens
alle »guten« Figuren mussten blond sein. Dämonen,
Teufeln, niedrigen oder intriganten Charakteren überliess
man die anderen Haarfarben, besonders schwarz und
rot. Die heilige Jungfrau und Christus erbten das Blond
von den antiken »guten« Göttern; und so sehr wirkt
diese Ueberlieferung noch heute nach, dass sich niemand
einen Siegfried schwarzgelockt oder einen Hagen mit
goldigem Schlichthaar denken kann. Bei der ersten
Bayreuther Aufführung des Nibelungenringes 1876 er-
schrak Schreiber dieses, als Frau Friedrich-Materna
(Brünnhilde) auftrat, ohne ihren schwarzen Hauptschmuck
unter einer blonden Perrücke verborgen zu haben; ja
 
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