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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0529

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497

Bibliographische Rundschau.
Mitgeteilt von Günther Koch.

Fuchs, Ed., und H. Kraemer, Die Karikatur der
europäischen Völker vom Altertum bis zur Neu-
zeit. (20 Lieferungen ä —.75) Heft 2—11. [1713
Die erste Lieferung dieses imposanten, eigen-
artigen Werkes habe ich im 6. Hefte S. 263 aus-
führlich besprochen; eine ebenso eingehende An-
zeige dürfte jede einzelne der folgenden Lieferungen
mit Fug und Recht beansprqchen. Denn um dieses
geistreiche Buch in rechter Weise zu würdigen,
müsste jedes Kapitel zum Gegenstand einer eigenen
kritischen Besprechung gemacht werden: Mit so
genialer Gestaltungskraft versteht Eduard Fuchs,1)
in jedem einzelnen Kapitel ein vollständiges, in sich
harmonisch abgeschlossenes Bild des betreffenden
Zeitalters in grossen markanten Zügen aufzureissen,
in verhältnismässig eng begrenztem Raum so viel
Wichtiges,^Interessantes, Neues zu bieten. Zu einer
solchen eingehenden Besprechung mangelt mir hier
natürlich der Raum; ich muss mich darauf beschrän-
ken, heute einen flüchtigen Ueberblick über den Inhalt
der ersten 14 Kapitelzu geben und mir vorbehalten, auf
die Fortsetzung'des Werkes später zurückzukommen.
Die Anlage des ganzen Werkes geht darauf hin-
aus, die ferne Vergangenheit hinter die jüngste
zurücktreten zu lassen: So soll der Zeit von 1848
bis zur Gegenwart der ganze 2. Band gewidmet
werden, die Zeit von der französischen Revolution
bis 1847 soll ausführlicheGbehandelt werden, wie
die vorhergehenden Jahrhunderte, und Mittelalter
und klassisches Altertum können bei diesen Dis-
positionen nur als“kurz zu streifende Phasen der
allgemeinen Entwicklung in Betracht kommen. Die
ausgezeichnete „Einleitung“ habe ich schon früher
(a. a. 0.) als „die architektonisch prächtig abge-
schlossene Vorhalle des Gesammtwerkes“ bezeichnet.
Die numfolgende Analyse des satirischen Lachens
der Völker..des.Altertums, Aegypter, Griechen und
Römer, ist an sich unzweifelhaft ebenso verdienstlich
wie die resümierende Darstellung der in zahlreichen
Denkmalen erhaltenen Karikatur des Mittelalters. Der
Illustrationsapparat beider Kapitel ist sehr reich und
hochinteressant. Dem Texte könnte man mehr Ver-
tiefung, dem Ganzen eine breitere Basis wünschen,
IndessenTiabe ich bereits gesagt, dass diese beiden
Abschnitte nach der ganzen Anlage des Werkes
von vornherein nichts weiter sein wollen, als ein
kurzer Prolog zur Geschichte der Karikatur der
*) Die mir vorliegenden Hefte haben Eduard Fuchs zum Verfasser,
die Feder des im Titel mitgenannten Hans Kraemer wird wahrscheinlich
erst später einsetzen.

Neuzeit. So werden denn auch die nun folgenden
Kapitel desto reicher: Jedes erschliesst neue Hori-
zonte, öffnet neue Perspektiven, die Darstellung
wächst beständig, vertieft sich, weitet sich. Das
macht das Werk schon in rein buchtechnischer Hin-
sicht zu einem wahren Kabinetstück, die Lektüre
aber zu einem auserlesenen Genuss.
Wir kommen zunächst zu einem der prächtigsten
Kapitel des ganzen Buches: zur Karikatur der
Renaissance. Der Horizont der Menschheit ist
bedeutend erweitert, die Askese des Mittelalters
ist einem Vollgefühl der Kraft gewichen, aus den
düsteren jenseitsschwärmern der mittleren Zeiten
sind fröhliche Studenten des Diesseits geworden,
die nichts kennen als Daseinsfreude, Betätigung
der Kraft, sinnlichen Genuss in gesteigertstem
Masse. In diese Zeiten fällt die Geburt der gro-
tesken Satire. Aber zur Blüthe gedeiht dieses
echte Kind der Renaissance nur in der schönen
Literatur: die Dichtungen des unsterblichen Cure
von Meudon, des grossen Rabelais, sind der vollen-
detste Ausdruck der Blütezeit der grotesken Satire.
In den zeichnenden Künsten kommt dieser aufs
Höchste gesteigerte Hohn der kraftstrotzenden
Renaissancemenschen naturgemäss nur selten zum
Ausdruck und gewinnt hier keine epochemachende
Bedeutung. Denn die engen Grenzen, die dem
zeichnenden Künstler gezogen sind, können die
kühnen Bilder der grotesken Satire eben nicht auf-
nehmen. Waren die Künstler der Renaissance sich
hierüber auch völlig klar, so wollten sie darum
doch nicht darauf verzichten, dem himmelstürmen-
den Prinzip der Zeit auch ihrerseits gerecht zu
werden: sie suchten die möglichste Steigerung
durch „Kühnheit in der Stoffwahl und Rücksichts-
losigkeit in der Lösung des gestellten Vorwurfs.“
Dies belegen auf’s Trefflichste die interessanten
Reproduktionen, die Fuchs seinen Ausführungen
beigibt. Um aus der Menge einige herauszugreifen,
die prächtigen Blätter „Die ungleichen Liebhaber“
(unbekannter deutscher Meister um 1540), die derb-
satirische „Männerfalle“ (unbekannter deutscher
Meister), Holbeins „Epikuräer“ und desselben
Meisters „Thorheiten der Liebe“ — Alle diese
sittengeschichtlichen Dokumente setzten sich nicht
in Widerspruch zu den Sittlichkeitsanschauungen
ihrer Zeit, sondern sind vielmehr deren getreues
Spiegelbild. Standen die Menschen der Renaissance
hinsichtlich ihres sittlichen Empfindens „jenseits
von Gut und Böse“, so traten sie doch als konsc-
 
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