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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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— 297 —

Bibliographische Rundschau,
Mitgeteilt von Günther Koch.

Christian, A., Origines de l’imprimerie en France.
(Fortsetzung der Besprechung.) [1236
Am 22. Sept. 1481 publicierte Jean du Pre
ein Missale für Paris mit 2 grossen Holzschnitten:
Gottvater und Christus am Kreuz. Diesem Missale
folgten andere: eins für Verdun mit Holz- und
Metallschnitten, die die Ornamentik der damaligen
Manuscripte imitieren. Ein 1483 publiciertes Mis-
sale für Limoges zeigt bereits den Pariser Meister
als glücklichen Rivalen der zeitgenössischen Buch-
kunst Venedigs: es gestattet den Schluss, dass
Jean du Pre die Kunst in Venedig, vielleicht bei
Nicolas Jenson, erlernt, oder doch Venetianer in
seine Werkstatt aufgenommen hatte. Im folgenden
Jahre übernahm Jean Bonhomme die Buchdruckerei
seines Vaters und schritt sogleich dazu, die Con-
currenz mit Jean du Pre aufzunehmen. Schon am
12. Mai 1484 war die »Histoire de la destruction
de Troye la Grant« fertiggestellt (einziges be-
kanntes Exemplar in der Königlichen Bibliothek
zu Dresden), ein durch zahlreiche Holzschnitte,
die wirkliche künstlerische Meisterleistungen sind,
reich illustriertes Buch. Jean Bonhomme blieb
übrigens nicht bei diesem ersten Versuche stehen,
am 15. October 1486 konnte er le Livre des pro-
fits champetres et ruraux auf den Markt bringen,
eine Anleitung für Landwirte, gleichfalls auf das
Reichste illustriert durch Darstellungen landwirt-
schaftlicher Arbeiten und Vergnügungen (unter
letzteren besonders Jagdscenen). Schon im Jahre
1483 hatte ein Priester, Guy Marchant, eine Werk-
statt errichtet auf dem Champ-Gaillard, hinter dem
College de Navarre. Anfänglich variierten seine
Drucke das damals so oft behandelte Thema der
Ars moriendi, nach zwei Jahren erweiterte er die-
sen Gedankenkreis, indem er den Totentanz des
cimetiere des Innocents in Holzschnittabbildungen
veröffentlichte. Dieses figurenreiche memento mori
hatte einen ungeheuer grossen Massenerfolg: Guy
Marchant musste mehrere Auflagen drucken, deren
jede er durch neue Sujets vermehrte, so dass
schliesslich zu dem ursprünglichen Totentanz der
Männer noch ein solcher der Frauen hinzutrat.
Die Holzschnitte beider Totentänze sind von ver-
schiedenen Meistern, aber beide wertvolle Docu-
mente für die frühe französische Holzschneidekunst,
namentlich der Tanz der Männer hat ein bemer-
kenswert individuelles Gepräge. Ich übergehe hier
die anderen von Guy Marchant publicierten Holz-
schnittbücher (Calendrier des Bergers und Calen-
drier des Bergeres) und wende mich gleich einem
anderen kostbaren typographischen Denkmal fran-
zösischen Ursprungs zu: Im Juli 1488 gab Pierre
Le Rouge, anfänglich Kalligraph und Miniaturist,
dann in Venedigs Werkstätten Jünger der Kunst
Gutenbergs, seit ca. 1485 in Paris selbständig, den

ersten Band der Mer des Histoires heraus. Das
vollständige Werk umfasst zwei Gross-Folio-Bände,
auf das Vornehmste ausgestattet mit einer be-
trächtlichen Zahl grosser und kleiner Bilder, mit
vorzüglich ausgeführten Bordüren und Ornamenten
von durchaus originaler Conception, namentlich
zeigen aber die Initialen ganz die kunstfertige
Hand des einstigen Miniaturenmalers und Kalli-
graphen. Abgesehen von dem grossen kultur-
historischen Werte dieses Buches, das uns in seinen
Abbildungen wie z. B. später Ammans »Stände
und Handwerker« die verschiedensten Berufe in
ihrer Thätigkeit, aber auch Ceremonien, Kriegs-
scenen etc. vorführt, hat die Mer des Histoires
den unbestrittenen Ruhm, das künstlerisch bedeu-
tendste Meisterwerk der französischen Buchillu-
stration des 15. Jahrhunderts zu sein.
Jean Du Pre, der Urheber dieser frühesten
künstlerischen Bewegung auf dem Gebiete der
französischen Buchkunst, war inzwischen nicht
müssig geblieben, sein Ruhm war hinausgedrungen
in die Provinz und hatte ihm von dort Aufträge
gebracht, so druckte er 1482 für den Canonicus
Pierre Plume in Chartres die Liturgie dieser Kirche
und 1486, von einer reichen, einflussreichen Per-
sönlichkeit nach Abbeville gerufen, des hl. Augu-
stins libri de civitate Dei in der Uebersetzung von
Raoul de Presles. Beide Bücher sind mit Holz-
schnitten geschmückt, die an Schönheit mit denen
der Mer des Histoires rivalisieren können. Inzwischen
hatte Jean Du Pre auch die erste französische
Affiche, le grand Pardon de N.-D. de Reims ge-
druckt. Der Kopf dieses an die Kirchtüren an-
angeschlagenen Plakats zeigt einen sehr bemerkens-
werten Holzschnitt: rechts die hl. Jungfrau auf
einem Throne sitzend, das Christkind auf den
Knieen: in der Mitte die päpstliche Tiara und die
Schlüssel St. Petri, links das königliche Wappen
von Frankreich. Im Februar 1484 vollendete Jean
Du Pre zu Paris die Drucklegung von Les Nobles
malheureux, einer Uebersetzung des Boccacio’schen
Buches de casibus virorum illustrium, reich ver-
ziert mit Holzschnitten, worunter das Glücksrad
auffällt. Einen grossen Fortschritt der französischen
Holzschneidekunst zeigen sodann die 1486 zu Paris
erschienenen Vies des Peres des hl. Hieronymus.
In diesem Werke erscheinen zum ersten Male ge-
druckte Zier-Initialen; das Buch hatte sich somit
von der Mithilfe der Calligraphen und Illuminatoren
emancipiert. Dieser Kampf gegen die Miniaturisten
trat indessen erst in ein ernstes Stadium im Mai
1488, zu welcher Zeit Jean Du Pre künstlerisch
illustrierte Livres d’heures zu veröffentlichen be-
gann. Durch seine 20 jährige Thätigkeit in Paris
hat sich Jean Du Pre einen hervorragenden Ehren-
platz in der Geschichte des französischen Buch-
 
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