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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 8
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Frimmel, Theodor von: Bilder von seltenen Meistern, 9, Zu Vitrulio
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331

Bilder von seltenen Meistern.
Von Dr. Theodor von Frimmel.
IX.

Zu Vitrulio. Der Name Vitrulio ist im kunst-
liebenden Publikum, ja bei den Kunstgelehrten nur
wenig bekannt. Kaum, dass man ihn im Zusammen-
hänge mit seinem Hauptbilde in der Accademia zu
Venedig gelegentlich erwähnt findet, sei es in einem
alten Lexikon, sei es in einem Nachschlagebuche, z. B.
in Lanzi’s Storia pittorica und in Füssli’s grossem
Künstlerlexikon mitsamt den Nachträgen. Die neuere
Litteratur, soweit ich sie für diesen Fall durchsucht
habe, übergeht den ,,Vitrulio“ gänzlich. Und doch ist
er ein beachtenswerter Meister, wenngleich nur mittleren
Ranges. Er gehört in die Gruppe, die in Venedig
durch Polidoro Veneziano und durch die „Bonifazio“
gebildet wird. Manche Züge lassen in ihm einen Nach-
folger des Palma vecchio vermuten.
Die älteste Nachricht, die mir über Vitrulio bekannt
ist, steht in den „Minere della pittura“ von Marco
Boschini auf S.275 der ältesten Ausgabe aus dem Jahre 1664.
Boschini beschreibt mehrere Arbeiten des Vitrulio im
„Magistrate del Monte Novissimo“, das ist in einem
der öffentlichen Geldinstitute Venedigs. „E prima evvi
vn Monte, con molti, ehe tolgono de’sassi da quello,
e questo e simbolo dello stesso Magistrate; & e la detta
opera di mano di Vitrulio P.“ Der Sinn dieser Be-
schreibung ist vollkommen verständlich; sie besagt:
zunächst ist dort (dargestellt) ein Berg mit Vielen, die
von ihm Felsen abtragen; und das ist das Symbol des
betreffenden Magistrats. Das selbige Werk ist von der
Hand des Vitrulio. Ferner kannte Boschini in demselben
Amte ebenfalls als Werke des Vitrulio „alcuni Angeletti per
ornamento dalle parti di mano del sudetto Vitrulio P.“
Endlich beschreibt er ein Bild „Venezia, ehe con ghirlanda
di Lavro corona la Vittoria,“ (der Sinn kann keinem
Zweifel unterliegen). Wohin die Engelchen, die als
dekorative Malereien erwähnt werden, gekommen
sind, weiss ich nicht. Die grossen Bilder aber sind
noch nachzuweisen: das mit dem „Monte“, der abge-
tragen wird, kam in die Accademia, das mit der
Venezia in den Palazzo reale, doch hat nur das eine
seinen richtigen Namen gerettet, wogegen das andere,
die Venezia schon allerlei Namen erhalten hat. Erst
vor wenigen Jahren hat Dr. Gustav Ludwig gefunden,
dass die Venezia im Pallazzo reale zu Venedig das
Bild ist, das als Vitrulio bei Boschini beschrieben ist.
Die Venezia, ist von C. Naya in Venedig photographiert

(Nr. 822), doch dürfte die Matrize nicht mehr er-
halten sein.
Das Bild in der Accademia mit dem „Monte“ ist
signiert und hat seinen richtigen Namen sicher nur
deshalb bis auf die Gegenwart gebracht. Es ist das
am sichersten beglaubigte Werk des Meisters. Auch
dieses ist von Naya photographiert (ohne Nummer) und
wird hier mit Erlaubnis der genannten Firma in Netz-
druck nachgebildet.
Die Darstellung bietet uns augenscheinlich eine
Allegorie auf die Benützung eines öffentlichen Capitals,
wobei der Doppelsinn des Wortes „Monte“ ausgenützt
wird. Die Signatur: „VITRULIO. F.“ in dunklen Zügen
links an dem Steine neben dem Manne, der sich bückt,
ist alt und echt. Die übrigen Inschriften sind folgende:
Auf dem Cartellino vorne steht in lateinischer Capitalis
„MONTE GRAVISSIMO || A CERVICIBVS REI: ||PV:
SVBLATO“. (Das heisst: eine überaus schwere, grosse
Summe, abgetragen vom Nacken des Staates. Die Er-
gänzung rei: pu (biieae) bedarf wohl keiner weiteren
Erörterung). Auch diese in dunkler Farbe aus-
geführte Schrift ist ohne Zweifel gleichzeitig mit dem
Gemälde entstanden, bezw. sie ist ursprünglich. Dagegen
stechen rechts unten ein helles A G A und A P A,
sowie die helle Jahreszahl 1559 in ihrer Ausführung
etwas von den bisher genannten Inschriften ab, so dass
man vielleicht die Vollendung des eigentlichen Bildes
nicht auf die Zeit der hellen Inschrift zu beziehen
braucht. Indes sind auch die Jahreszahl (1559) und
die Buchstaben G und P gewiss nicht modern. Zwischen
den Buchstaben wäre Platz für ein Wappenschild.
Vielleicht war ehedem ein solcher Schild in leicht-
löslichen Tönen aufgemalt, die bei Gelegenheit von
Putzversuchen wegrestauriert worden sind. Die mehr
widerstandsfähigen hellen Töne der Inschrift blieben
erhalten. Es gibt so viele Dutzende venezianischer
Bilder mit aufgemalten Wappen zwischen zwei grossen
Buchstaben, dass die Ergänzung der Lücke durch ein
Wappenschild in unserem Falle unbedingt am nächsten
liegt. Ein derlei Wappen von guter Erhaltung soll uns
auch bei Vitrulio noch begegnen. Ueber die Form-
behandlung gibt die Abbildung Aufschluss. Zur Färbung
gebe ich die Andeutung, dass sich auf dem Bilde
ockeriges Orangegelb neben dunklem Ziegelrot, neben
Weiss und Blau gestellt findet. Zu beachten sind
 
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