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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 9
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Weese, Artur: Zwei neue Terborchs der Pinakothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0400

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365

Zwei neue Terborchs der Pinakothek.

Von Artur Weese.

In jüngster Zeit ist von der Galeriedirektion der
Pinakothek ein Bilderpaar erworben worden, durch das
die herrliche Sammlung in der glücklichsten Weise ver-
mehrt wurde. Es konnte damit eine Lücke ausgefüllt
werden. Terborch fehlt allerdings in der Galerie nicht.
Der „Trompeter und die Dame“ gehörte dem Kreise
vornehmer Gesellschaftsbilder an, die in der Erzählung
einen novellistischen Ton anschlagen. Das andere Bild-
chen „Der Knabe mit dem Hunde“ gibt einen harm-
losen Stoff, der, unzähligemal wiederholt, nur durch
malerische Qualitäten sein eigenes Gepräge erhält. Ter-
borch, der Genremaler, ist durch diese beiden Stücke
gut vertreten; der Trompeter bildet in der holländischen
Schule sogar einen Glanzpunkt. Aber Terborchs Fein-
sinnigkeit und guter Geschmack wurde auch von den
zeitgenössischen Kennern vor allem wegen seiner Bild-
nisse gerühmt. Er hatte sich einen eigenen Vortrag
angewöhnt, der höchst geistreich der üblichen Behand-
lung der Portraits durch die beliebtesten Modemaler
Opposition machte, ja in manchem der holländischen
Anschauung sogar völlig aus dem Wege ging.
Auch die Holländer stellten, wie jedes Laien-
publikum, an ein gutes Bildnis die Hauptforderung der
sauberen, glatten und fleissigen Durchführung. Alles
Gegenständliche, die Toilette wie das Vielerlei des In-
terieurs mussten durch die blendende Naturtreue selbst
bei der Betrachtung mit der Lupe gleich einer Urkunde
bestätigen, dass es wirklich Hinz oder Kunz war, der
sich malen liess, mit allem was ihm angehörte. Es ist
bekannt, wie Rembrandt dieser conditio sine qua non
als Anfänger in weitem Masse Zugeständnisse machte.
In dem Augenblick, als er seinem feurigen Pinsel die
Freiheit genialer Eigenwilligkeit liess, kehrte sich die
Gunst der Amsterdamer Kaufleute von ihm ab. Thomas
de Keyser und Bartholomäus van der Heist traten mit
ihrer geschmeidigen Gefälligkeit an seine Stelle. Auch
Franz Hals d. J. ist keine Ausnahme von der Regel,
denn es war nicht immer die gute Gesellschaft die ihm
Modell sass.
Gerard Terborch nun war seinem ganzen Wesen
nach Feinmaler oder wenn man die Bezeichnung gelten
lassen will, ein Miniaturist. Von ihm erhielt die Welt
ein Gruppenbild von über 60 Personen, lauter haarscharf
erfasste Bildnisse, das die Fläche etwa eines Quartbandes
einnimmt. Es ist das bekannte Bild des westphälischen
Friedens-Kongresses. Fast alle seine Bildnisse sind
Triumphe der Kleinmalerei. Das Format indessen be-

stimmt nicht den Wert seiner Arbeiten. Es ist die
Auffassung der Person, der malerische Vortrag, die
kühle, dunkel gehaltene Farbenskala, der Witz in der
Charakteristik; kurz, jenes künstlerische Raisonnement,
das ihn zu einem Velasquez der Holländischen Schule
macht. Freilich nur insoweit, als sich holländisches
Krämerphlegma und spanische Grandezza in einer
Künstlernatur vereinigen konnten. Im Grunde waren
diese Elemente disparat. Doch ein Blick auf unsere
beiden Bilder wird gleich feststellen, inwieweit Terborch
und Velasquez wirklich verwandt sind.
Zunächst gibt uns die Isolierung der Personen im
leeren Raum, ohne die geringste Andeutung einer be-
stimmten Lokalität, ein gutes Recht, Terborch mit dem-
selben abstrakten Darstellungsprinzip des Velasquez zu
vergleichen. Die steife Haltung und das Einstellen der
Gesichtszüge, wie des ganzen Körpers auf den flüchtigen
Moment, wo dann das Malerauge sein Modell erfasst
und die Konzeption des Gemäldes stattfindet, erinnert
ebenfalls an die Momentaneität Velasquez’scher Portraits.
Selbst die Würde und fast könnte man sagen Pose der
Stellung ist repräsentativer, als es die bürgerliche Natur
unserer beiden Gevattern mit sich bringt. Und die
Lichtführung ist vollends von einem eigenen, fremden
Zauber. Ein kurzer Schatten lässt uns auf einen steilen
Lichteinfall schliessen, der dabei von der zartesten
Weichheit und Fülle ist. Die dunkle Kleidung und der
unbestimmte Raum saugen alles Licht auf. Nur an den
Händen, auf dem Gesicht und den weissen Kragen und
Manschetten kommt es zur Wirkung. Nicht goldig-warm
wie bei Rembrandt, sondern kühl-gebrochen, wie bei
dem grossen Spanier.
Schon längst ist auf diese Verwandtschaft Terborchs
mit dem Hofmaler von Madrid aufmerksam gemacht
worden, und Houbraken erzählt uns auch von einer
spanischen Reise des Holländers. Mag es nun Beein-
flussung sein oder jene Mystik des Zufalls, die gleiche
Gedanken zu derselben Zeit in den verschiedensten
Köpfen aufblitzen lässt — genug, die Identität der An-
schauung ist vorhanden und wir besitzen in diesen neuen
Bildern der Pinakothek zwei ausgezeichnete Stücke jener
Bilderreihe Terborchs, die im Sinne der Portraitkunst
des Velasquez gemalt sind.
Wer die Dargestellten sind, wissen wir nicht. So-
weit ich richtig orientiert bin, stammen die Bilder aus
Münchener aristokratischem Privatbesitz.
 
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