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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 1
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Voll, Karl: Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris, 1
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Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris.
Von Karl Voll.

Die Pariser Weltausstellung wird in recht ver-
schiedener Weise beurteilt und meistens nicht gerade
günstig; jedoch sind sich die kunstfreundlicheh Besucher
so ziemlich ausnahmslos darüber einig, dass die Jahr-
hundertsausstellung der französischen Malerei geradezu
vorzüglich arrangiert und gelungen ist. Ausstellungen
pflegen nicht recht ernst genommen zu werden; der
gegebene Fall macht eine rühmliche Ausnahme. Die
Centennale gibt vielleicht dem eiligen Besucher wenig,
aber dem ernsten Beobachter, dem Geschichtsschreiber
der Kunst des 19. Jahrhunderts, stellt sie ein schier
unerschöpfliches Studienmaterial zur Verfügung, das
durch die entsprechenden Abteilungen des Louvre und
des Luxembourg nur ergänzt, aber nicht überboten
wird. Privatsammler und- die oft so reich ausge-
statteten Provinzialmuseen haben ihr Bestes geliehen,
so dass sich hier nach Plan und System geordnet noch
einmal Alles zusammengefunden hat, was in Frankreichs
Kunst während des 19. Jahrhunderts von Bedeutung
gewesen ist. Die Auswahl war sehr unparteiisch, was
als ein ganz besonderer Vorzug hervorgehoben werden
muss. Das Ausstellungs-Komite hat offenbar nicht selbst
Geschichte machen wollen; aber es hat die Gerechtig-
keit gegen die Entwickelung nicht zur Ungerechtigkeit
gegen den guten Geschmack werden lassen. Daraus
ergibt sich die Consequenz, dass die Künstler von nach-
haltiger Bedeutung in der Regel in ansehnlichen Kollek-
tionen auftreten, während den flüchtigeren Erscheinungen
der Raum karger zugemessen wurde.
Die Centennale führt uns mit Recht in das 18. Jahr-
hundert zurück; denn in der französischen Malerei hat
es selbst in den Tagen des Klassicismus nicht jenen
verhängnisvollen Riss zwischen der alten und der neuen
Kunst gegeben wie im übrigen Europa. Frankreichs
bildende Kunst ist, von einzelnen Meistern der Renaissance
und des Barock abgesehen, eigentlich noch sehr jung.
Während des Mittelalters hat Frankreich in Plastik und
Architektur die gleich hohe Stellung eingenommen die
es bekanntlich damals in der Litteratur einnahm; aber
dann hat es jahrhundertelang in Abhängigkeit von italien-
ischer und germanischer Kunst gelebt, bis es endlich als
die letzte der grossen Nationen in die absterbende Re-
naissancebewegung eingetreten ist und auf seiner hervor-
ragenden Domäne, dem Rokoko, noch einmal glänzende
Erscheinungen hervorgebracht hat. Frankreich hat also
sehr spät in die Entwickelung der Malerei eingegriffen,
dafür aber stand es auch noch im Besitze rüstiger Kraft,
als um die Mitte des 18. Jahrhunderts jene antikisierenden
Tendenzen erwachten, die für lange Zeit in den anderen
Ländern die nationale Kunst in den Hintergrund gedrängt
haben. Seine letzten wichtigen Vertreter des Rokoko,
Fragonard und Greuze, sind noch im ersten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts thätig gewesen; die Vigee Lebrun hat
aber gar bis gegen 1840 ihre sympathische Weise erhalten,
mit der sie seinerzeit die berühmten Bildnisse von Marie
Antoinette geschaffen hatte.
An künstlerischer Kraft war vielleicht Greuze der
wenigst bedeutende der Führer des französischen Rokoko;
aber es sind sehr viele, Anregungen von ihm ausgegangen.
Sein Einfluss ging weiter und hielt länger an als der

des Watteau. Greuze hat das moralisierende, dabei
theatralisch erzählende Volksstück in die Malerei ein-
geführt ; er ist hiemit freilich nur dem Zeitgeschmack
entgegengekommen und hat nur eine Bewegung be-
günstigt, die ohnehin nicht mehr aufzuhalten war: aber
das lehrhafte Anekdotenbild rührt nun doch einmal
von ihm her und gerade weil dieses Genre in der Kunst
des 19. Jahrhunderts eine so grosse Rolle gespielt hat,
so ist es löblich, das in der Centennale mehrere Greuze
aufgenommen wurden. Das meiste Interesse wird
wohl das berühmte aber durchaus gleichgültige Bildnis
Napoleons finden, obwohl das nicht minder berühmte
Milchmädchen Greuze eigentlich besser vertritt. Ein weib-
liches Porträt der Vigee Lebrun ist von solch anspruchs-
loser Natürlichkeit, dassmanwohlbegreift, warum in Frank-
reich auch in den öden Tagen der Classicisten das Porträt
eine nicht zu bestreitende Bedeutung besessen hat.
Der angesehenste Maler des Kaiserreiches, David,
zieht noch heute nicht wenig Nutzen aus dem Glanz
der napoleonischen Legende. Alle Widerwärtigkeiten
seines Charakters und seiner Kunst werden vergessen
über dem Umstand, dass Napoleon so viel von ihm
gehalten hat. Seinen grossen historischen Scenen bringt
man zwar trotzdem sehr geringe Gegenliebe entgegen,
aber seine Porträts, die in der Zeichnung sehr antikisieren,
dafür jedoch im hellen Emailvortrag noch lebendige
Erinnerungen an das Rokoko haben, werden noch immer
sehr geschätzt, zumal sie den Eindruck grosser Ge-
wissenhaftigkait machen. Dieses scheinbar so gerechte
Urteil dünkt mich etwas widersinnig zu sein; denn Davids
Einzelporträts sind in keiner Hinsicht verschieden von
den Figuren auf seinen grossen Historien und sind in
malerischer Hinsicht durchaus gleich behandelt mit den
Gruppenbildern. Man sollte darum nicht die einen an-
preisen und die andern tadeln. Alles was sich sagen
lässt, ist das, dass bei Davids Einzelporträts naturgemäss
die Frostigkeit und Unnatur nicht so sehr zum Ausdruck
kommt wie in den Paradestücken; aber auch sie hielten
sich innerhalb der Jahrhundertausstellung nicht sehr gut.
Jedenfalls gab es unter Davids Zeitgenossen Por-
trätmaler von feinerem Geschmack und reinerem künst-
lerischen Empfinden. So ist von Gerard das Bildniss
einer Dame in Weiss ausgestellt, das in der Behandlung
des eleganten Kostüms sehr günstig auffällt; ferner
gehört ein weibliches Porträt von Proudhon in der feinen
Bewegung zum Interessantesten, was aus jener Zeit auf
der Centennale zu sehen ist; hier siegt ausnahmsweise
einmal der Rhythmus des Lebens über den der Schablone.
Was malerische Unnatur anlangt, so erscheint Ingres
als der Nachfolger Davids; wie hoch sein Ansehen auch
sein mag, so ging von seinen zahlreichen Bildnissen eine
Kälte aus, dass gerade sein Saal nicht zu den anziehen-
sten Abteilungen gerechnet werden kann. Selbst die
vielgerühmte klare und wohl auch abgeklärte Zeichnung
scheint wenig Anklang mehr zu finden bei dem heutigen
Geschlecht, das in Bezug auf Farbe so anspruchsvoll
geworden ist. Um so interessanter war die Kollektion
von Skizzen und Gemälden des Delacroix; das Kolorit
wirkt vielleicht ungleichmässig, aber es ist nicht selten,
zumal bei Stillleben, fast pikant und ausserdem welch
 
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