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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 7
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Voll, Karl: Die Velburger Altarflügel
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0331

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295

Die Velburger Altarflügel.

Von Karl Voll.

Die Pfarrkirche von Velburg in der Oberpfalz be-
sitzt zwei gotische Altarflügel aus der Mitte des 15. Jahr-
hunderts, die auf Holz mit Goldgrund gemalt sind und
der süddeutschen Malschule angehören. Künstlerisch
von nicht gerade grosser Bedeutung, haben sie gegen-
ständlich ein so hohes Interesse, dass sie hier abgebildet
und kurz besprochen werden mögen. Der unbekannte
Maler hat auf ihnen das Interieur eines Miniators dar-
gestellt und zwar in so reicher Ausführlichkeit, wie sie
kaum bei einem anderen Denkmal der alten Kunst zu
finden ist. Die zwei Flügel geben auf vier Tafeln die
Figuren der vier Evangelisten, wie sie gerade an der
Niederschrift ihrer Werke arbeiten.
Die Verherrlichung der heiligen Männer ist dem
Maler ein Vorwand gewesen, möglichst eingehend zu
schildern, wie das Studio eines gelehrten Mönches oder
Schriftstellers im Ausgang des Mittelalters ausgesehen
hat und er hat genug Beweglichkeit, wohl auch Liebens-
würdigkeit des Geistes besessen, um jede der vier Szenen
durchaus neu zu gestalten. Er lässt jeden der vier
Evangelisten in einem anderen Gemach arbeiten und
in anderer Weise thätig sein, so dass ein Zug von ge-
mütlich breitspuriger Erzählung in seine Bilder kommt,
die doch eigentlich nur die Bedeutung von Interieurs
besitzen; ausserdem aber wird dadurch die kultur-
historische Wichtigkeit erheblich gesteigert, weil das
Material ja ungeahnt reich wird.
Der heilige Marcus sitzt vor einem schmalen
Schreibtisch mit ziemlich steil gestellter Platte, über den
ein geschnitzter und mit zierlichem Ornamentfries ge-
schmückter Baldachin emporragt. Der Heilige ist etwas
zur Seite gerückt, damit die schön profilierte Thüre
frei wird, die den als Schrank benützten Unterbau des
Tisches verschliesst. Auf der Schreibplatte liegen in
sorglicher Ordnung einige Pergamentbtätter; auf einem
schmalen Bord steht über ihr ein aufgeschlagenes Buch,
das wohl den zu kopierenden Text enthält und vor
dem Umfallen durch eine quer vorgezogene Schnur ge-
hindert wird. Der Heilige giesst eben Tinte aus einer
Kolbenflasche in ein kleines büchsenartiges Gefäss;
hinter dem Ohre steckt der schon benützte Gänsekiel.
Neben ihm steht auf einem Eckbrett das übliche, sehr
schön gefasste Horologium mit rundem Zifferblatt und
weiter rechts ein Leuchter mit einer Kerze.
Wenn hier die Möbel noch alle geschlossen sind,
so werden auf der Tafel des heiligen Lucas die Thüren
von Tisch und Schrank geöffnet, damit wir sehen wie
das Innere eingerichtet ist. Lucas sitzt seitlich vom

Schreibtisch, über dem ein Baldachin aus Stoff hängt;
er hebt mit seiner rechten die einfache Platte, um mit
der Linken einige Notenblätter herauszunehmen. An
der hohen Rückwand des Faches hängt der bekannte
Hornzwicker; auf dem Boden sieht man ein Streusand-
fässchen und ein Buch; auf einer niederangebrachten
Platte stehen rechts vom Schreibtisch einige kleine Ge-
fässe, darunter das Futtertröglein für den frei herum-
spazierenden Stieglitz, über dieser Platte steht ein
Leuchter, wie beim heiligen Marcus; diesmal ist aber
die Kerze durch einen kreisrunden, schöngefalteten
Lichtschirm verdeckt, der in den Hals des Leuchters
gesteckt ist. Die offene Thüre des nebenanstehenden
Schrankes zeigt einen an ihre Innenseite befestigten, un-
gemein genau gezeichneten Kupferstich, den Schmerzens-
mann darstellend; im Inneren sieht man eine Kanne,
ein Messer und andere Haushaltsgeräte. An der äusseren
Schrankwand trägt ein mächtiger Haken ein Kleidungs-
stück.
Nachdem Marcus die Tinte eingegossen und Lucas
die Blätter geholt hat, kann Matthäus die letzte Ver-
richtung vornehmen, die der Arbeit selbst vorangeht.
Er spitzt mit einem Messer von kurzer Klinge und
langem bequemem Heft den Gänsekiel. Während Marcus
auf einem massiven Armstuhl, Lucas aber auf einer
schmalen Bank sitzt, hat Matthäus einen reich durch-
brochenen, prachtvoll geschnitzten Stuhl. Auch über
seinem Schreibtisch ist ein Baldachin angebracht; aber
der Aufbau des Tisches ist viel reicher gegliedert als
bei den zwei ersten. Er ist als Pult gedacht; ziemlich
hoch über der steilen Platte springt ein Wandbrett mit
schöner Leiste vor, auf der einige Fläschlein stehen;
unterhalb des Pultes ist ebenfalls eine Platte angebracht,
auf der ein Buch liegt. Rechts von der Platte aber
stecken in einem mit vier Löchern versehenen Brette
ebensoviele Behälter für bunte Tinte; dieses Brett ist
entgegen der sonstigen Reinlichkeit mit zahlreichen
Tintenflecken bedacht, über ihm hängt die lange Papier-
scheere. Auf dem Pulte liegen wieder einige Blätter;
die Vorlage für den Schreiber aber ist wie bei der
Tafel des heiligen Marcus durch eine Schnur an der
Wand festgehalten. Hinter dem Heiligen sieht man
den bekannten gotischen Waschtisch mit dem an die
Wand befestigten Wasserbehälter.
Der heilige Johannes sitzt an einem sehr einfachen
Schreibpult, dessen Untergestell wieder als Schrank
behandelt ist. Hier ist nun endlich die Handlung des
Schreibens selbst dargestellt; das Messer, mit dem noch
 
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