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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 11
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Krauss, Ingo: Das Portrait Dantes, 1, Dantes Portrait in der litterarischen Ueberlieferung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0490

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455

Das Portrait Dantes.
Von Dr. Ingo Krauss.
I.
Dantes Portrait in der litterarischen Ueberlieferung.

Die vornehmste und zugleich älteste Quelle für
jede Kenntnis von Dante entspringt naturgemäss seinen
eigenen Werken. Aus ihr wird jede Forschung über den
Dichter zuerst schöpfen müssen. Jedoch gerade für die
Kenntnis des Danteportraits spendet sie nur spärliche
Tropfen.
Was Dante über seine äussere Erscheinung hinter-
lassen hat, beschränkt sich anf geringfügige Andeut-
ungen, die es nicht ermöglichen, sein Bild zu zeichnen.
Die bedeutsamste Angabe der Art enthält der
XXXI. Gesang des Purgatoriums. Dort liest man
Vers 61-^-75l *):
Nuovo augelletto due o tre aspetta
Ma dinanzi dagli occhi de’ pennuti
Rete si spiega indarno o si saetta. —
Quäle i fanciulli vergognando muti
Con gli occhi a terra, stannosi ascoltando
E se riconoscendo, e ripentuti,
Tal mi stav’ io. Ed ella disse: — „Quando
Per udir sei dolente, alza la barba,
E prenderai piü doglia riguardando.“
Con men di resistenza si dibarba
Robusto cerro, o vero al nostral vento,
O vero a quel della terra di Jarba,
Ch’io non levai al suo .cotnmando il mento;
E quando per la barba il viso chiese
Ben conobbi il velen dell’ argomento.
Zunächst ergiebt sich aus diesen Versen selbst,
dass hier dem Worte „barba“ eine besondere, tiefere
Bedeutung beigelegt ist.
Der Dichter hat seiner Beatrice die Irrwege seiner
Liebesleidenschaft gestanden. Nun steht er zerknirscht
und von Scham überwältigt vor ihr. Gesenkten Hauptes,
wie ein getadelter Schulknabe, lässt er die Vorwürfe
der Angebeteten über sich ergehen. Mit besonderer
Schärfe und Bitterkeit aber, so gesteht er, treffen ihn
die Worte: „alza la barba“. Dass die Geliebte an Stelle
des Antlitzes schlechthin den Bart bezeichnet, verrät
ihm, dass sie auf sein reiferes Alter anspielen will, das
ihn vor Thorheiten, die man der Jugend allenfalls nach-
sieht, hätte bewahren müssen. Ein junger Vogel zögere
wohl einigemale, der Gefahr zu entfliehen, die er noch
nicht kennt. Der Gefiederte aber wisse sich vor Netz
und Pfeil zu schützen.
Diese symbolische Deutung geht unstrittig aus dem
Zusammenhänge jener Verse hervor. „Barba“ ist in
demselben Sinne gebraucht wie „pennuti“. Beide Worte
sollen die Reife im Gegensatz zu der unerfahrenen
Jugend bezeichnen. Andrerseits aber ist vielleicht auch
nicht ausgeschlossen, dass Dante sich thatsächlich in
diesem Augenblicke bärtig gedacht hat. Der Dichter be-
i) Dante Alighieri. Divina Comedia. G. A. Scartazzini. Leipzig
1875, p. 697 ff.

findet sich seit nahezu sieben Tagen auf der Wanderung
durch das Inferno und Purgatorio. Während dieser
Zeit bot sich ihm keine Musse und Gelegenheit, auf
sein Aeusseres irgendwelche Sorgfalt zu verwenden.
Seine realistische Art, zu beobachten und zu schildern,
ist bekannt. Danach wäre es nicht undenkbar, dass er
sich vergegenwärtigte, das von keinem Scheermesser
berührte Kinn habe den Bart sprossen lassen.
Für die Annahme aber, dass Dante auch im täg-
lichen Leben unter gewöhnlichen Verhältnissen einen
Bart getragen habe, enthalten die angeführten Zeilen des
Purgatoriums keinen Beweis. In der Divina Commedia
findet sich kein weiterer Anhaltspunkt für das Bild des
Dichters. Denn die Verse im Paradiso XXV. 7 ff.1) be-
klagen nur allgemein die Veränderungen, die das herbe
Schicksal und die Jahre an Dantes Person bewirkt
haben, ohne dass die Worte „con altro vello“ einen
Schluss auf sein früheres Aussehen erlauben.
In den übrigen Schriften berühren nur noch zwei
Stellen die Frage der persönlichen Erscheinung.
In der Ekloge I2 3 *) überlegt der Dichter, ob er nicht
seine gebleichten Haare, die ehemals ein leuchtend
Goldblond färbte, verbergen solle, wenn er jemals in
die Heimat zurückkehren dürfe.
Nonne triumphales melius pexare capillos,
Et, patrio redeam si quando, abscondere canos
Fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?
Ferner schreibt der Dichter im Convivio I. 38)
E sono vile apparito agli occhi a molti, ehe forse per
alcuna fama in altra forma mi aveano immaginato; nel
cospetto de’ quali non solamente mia persona invilio,....
Diese und die vorerwähnte Aeusserung Dantes
lassen wenigstens zwei Thatsachen feststellen..
Einmal hat er in der Jugend blondes Haar gehabt,
zum Zweiten aber war seine Figur unscheinbar, so
dass viele Menschen enttäuscht waren, die sich auf
Grund irgendwelcher Gerüchte eine andere Vorstellung
von ihm gebildet hatten.
Das ist alles, was wir den Werken Dantes ent-
nehmen können.
Im Jahre 1321 war der grosse Florentinerin Ravenna
zur letzten Ruhe bestattet worden. Bald danach beginnt
er in der Litteratur des Trecento eine Rolle zu spielen.
Die ersten Zeilen über ihn fliessen aus der Feder des
grossen Florentiner Geschichtsschreibers Giov. Villani
(f 1348). Leider enthält die „rubrica dantesca“ seiner
Chronik keine Angabe, die für den vorliegenden Stoff
9 Loc. cit.
2) P. Fraticelli. Opere minori di Dante. I. p. 428. Fir. 1856. Le
opere latine di D. A. Giambatt. Giuliani. Vol. II p. 304, Vers 42—44.
Fir. 1882.
3) Fraticelli, loc. cit. III. p. 72. Giamb. Giuliani. Il convito di D. A.
Fir. 1874. p. 8/9, Zeile 27—30.
 
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