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Lose Blätter zur Geschichte der vervielfältigenden Künste.
Unter Benützung der einschlägigen Literatur bearbeitet
von Hugo Helbing.
I.
Der Meister E. S.
Christus am Kreuz mit der hl. Maria und dem hl. Johannes und zwei Engeln mit Kelchen.
Passavant 132.
Der Meister E. S.*) ist für die Geschichte des
frühesten Kupferstichs deshalb ein sehr wichtiger
Markstein, weil mit ihm sich auf diesem Gebiete der
Uebergang vom Handwerksmässigen zur wahren Kunst
vollzieht. Die vielen Härten der Technik, die in den
Arbeiten seiner Vorgänger zu finden sind, beginnen
zu schwinden und jede Linie verrät die absolute
Sicherheit in der Führung des Grabstichels, wie auch
jedes einzelne Blatt das Hinzielen auf eine einheitliche
Wirkung erkennen lässt: durch diese Vorzüge erhebt
der Meister E. S. die junge Kunst aus dem Zustand
der Unbeholfenheit auf die Stufe der Vollkommenheit.
Wie bei vielen anderen Meistern dieser frühen
Zeit fehlen auch über E. S. alle näheren Nachrichten,
und auch bei ihm haben Hypothesen die historische
Ueberlieferung ersetzen müssen. So hat Wessely den
Meister wegen seiner »Madonna von Einsiedeln« unter
den frommen Brüdern dieses berühmten Klosters
suchen zu können geglaubt, während Lippmann darauf
hinweist, dass die Darstellung dieses Blattes keine
Aehnlichkeit mit dem Bau der Kapelle zeigt, also
wahrscheinlich nicht am Orte gefertigt ist.
In Ermangelung sicherer aus der Zeit stammender
Berichte hat die bisherige Forschung nur Folgendes
feststellen können:
E. S. zeigt in seinen Arbeiten so markante Einzel-
heiten, neben der Technik vor allem in der Zeichnung
der Figuren, in der Behandlung der weiteren und
engeren Staffage, dass es den Forschern seit Bartsch
gelungen ist, eine grosse Anzahl Blätter, die das
Monogramm des Meisters nicht tragen, als Arbeiten
von ihm zu bestimmen. Das grösste Verdienst hat
sich in dieser Hinsicht der Director des kgl. Kupfer-
stichkabinets in Dresden, Herr Professor Dr. Lehrs
erworben, dem es gelang, die Zahl der dem E. S.
zuzuschreibenden Blätter, die bei Passavant 212 betrug,
auf die ansehnliche Summe von 400 zu bringen.
*) Vgl. Bartsch VI, p. 1, Passavant II p. 33, Lehrs im Repertorium
für Kunstwissenschaft IX, 150 u. XI, 51, Schmidt, ebd. VII 490 u. X, 130,
ferner Lehrs, Die ältesten deutschen Spielkarten des Kgl. Kupferstich-
kabinets zu Dresden. Desselben Verfassers: Die Spielkarten des E. S. 1406.
(1891). S. 9 ff. Dann Alfred von Wurzbach in Zeitschrift für bild. Kunst
1884, 124 11. Wessely, Geschichte der graphischen Künste 1891, Lipp-
mann, der Kupferstich 1893 p. 14, Lützow, Geschichte des Kupferstichs
und Holzschnitts 1893.
Für die Datierung der Thätigkeit des Meisters
E. S. hat man einerseits die Jahreszahlen 1465, 1467
und besonders 1466 — woher er oft der Meister
von 1466 heisst —, anderseits kommt in einem seiner
Kartenspiele das Porträt des am 22. Juli 1461 ver-
storbenen Königs Karl VII. von Frankreich vor.*) Am
schwerwiegendsten ist indessen die Erwägung, dass
ein so umfangreiches Werk eine entsprechend lange
Wirksamkeit voraussetzt: wir werden daher annehmen
dürfen, dass die Thätigkeit des Meisters wohl schon
vor 1450 begonnen hat. Gerade die von 1466 und
1467 datierten Blätter zeigen eine so grosse Meister-
schaft in den einzelnen Partien, dass die Schlussfolge-
rung sich aufzwingt, sie vielmehr der letzten Periode
seines Schaffens als der Zeit seiner Anfänge zuzuer-
kennen, ja Lehrs glaubt das Jahr 1467 geradezu als
Todesjahr des Meisters annehmen zu können.
Ueber Abstammung und Schule wissen wir nichts,
doch weist mancherlei darauf hin, den Schauplatz der
Thätigkeit unseres Meisters im Breisgau zu suchen.
Zunächst fallen die vielen bei E. S. vorkommenden
Wappen schwäbischer und oberrheinischer Geschlechter
auf; dass man das österreichische Bindenschild bei
unserem Meister findet, ist nur eine Bestätigung der
auf den Oberrhein weisenden Hypothese, denn zu
jener Zeit reichten Oesterreichs Besitzungen bis in
jene Gegend. Auch die Trachten auf den Blättern
unseres Meisters (vgl. Lehrs. Die Spielkarten des E. S.
Figur 1—7) erinnern an schwäbische Kostüme jener
Zeit. Die wichtigste Stütze findet diese Annahme aber
in der mittelhochdeutschen Schreibweise der Inschriften
auf seinen Stichen, denn in dem übrigen Süddeutsch-
land war diese Schreibweise damals schon nicht mehr
im Gebrauch. Die altflandrischen Einflüsse, die in den
Arbeiten des E. S. zu Tage treten, stören die Voraus-
setzung eines dauernden Aufenthaltes im Breisgau durch-
aus nicht, stempeln ihn noch viel weniger zum Nieder-
deutschen. Denn die neue Weise der niederländischen
Meister hatte damals schon längst Eingang und Ver-
breitung in Oberdeutschland gefunden; zuerst treffen wir
ihre Spuren in der Bücherillustration, diese wirkte dann
*) Vgl. Passavant vol. II. p. 33., dazu Lehrs, die ältesten deutschen
Spielkarten S. 14.
Lose Blätter zur Geschichte der vervielfältigenden Künste.
Unter Benützung der einschlägigen Literatur bearbeitet
von Hugo Helbing.
I.
Der Meister E. S.
Christus am Kreuz mit der hl. Maria und dem hl. Johannes und zwei Engeln mit Kelchen.
Passavant 132.
Der Meister E. S.*) ist für die Geschichte des
frühesten Kupferstichs deshalb ein sehr wichtiger
Markstein, weil mit ihm sich auf diesem Gebiete der
Uebergang vom Handwerksmässigen zur wahren Kunst
vollzieht. Die vielen Härten der Technik, die in den
Arbeiten seiner Vorgänger zu finden sind, beginnen
zu schwinden und jede Linie verrät die absolute
Sicherheit in der Führung des Grabstichels, wie auch
jedes einzelne Blatt das Hinzielen auf eine einheitliche
Wirkung erkennen lässt: durch diese Vorzüge erhebt
der Meister E. S. die junge Kunst aus dem Zustand
der Unbeholfenheit auf die Stufe der Vollkommenheit.
Wie bei vielen anderen Meistern dieser frühen
Zeit fehlen auch über E. S. alle näheren Nachrichten,
und auch bei ihm haben Hypothesen die historische
Ueberlieferung ersetzen müssen. So hat Wessely den
Meister wegen seiner »Madonna von Einsiedeln« unter
den frommen Brüdern dieses berühmten Klosters
suchen zu können geglaubt, während Lippmann darauf
hinweist, dass die Darstellung dieses Blattes keine
Aehnlichkeit mit dem Bau der Kapelle zeigt, also
wahrscheinlich nicht am Orte gefertigt ist.
In Ermangelung sicherer aus der Zeit stammender
Berichte hat die bisherige Forschung nur Folgendes
feststellen können:
E. S. zeigt in seinen Arbeiten so markante Einzel-
heiten, neben der Technik vor allem in der Zeichnung
der Figuren, in der Behandlung der weiteren und
engeren Staffage, dass es den Forschern seit Bartsch
gelungen ist, eine grosse Anzahl Blätter, die das
Monogramm des Meisters nicht tragen, als Arbeiten
von ihm zu bestimmen. Das grösste Verdienst hat
sich in dieser Hinsicht der Director des kgl. Kupfer-
stichkabinets in Dresden, Herr Professor Dr. Lehrs
erworben, dem es gelang, die Zahl der dem E. S.
zuzuschreibenden Blätter, die bei Passavant 212 betrug,
auf die ansehnliche Summe von 400 zu bringen.
*) Vgl. Bartsch VI, p. 1, Passavant II p. 33, Lehrs im Repertorium
für Kunstwissenschaft IX, 150 u. XI, 51, Schmidt, ebd. VII 490 u. X, 130,
ferner Lehrs, Die ältesten deutschen Spielkarten des Kgl. Kupferstich-
kabinets zu Dresden. Desselben Verfassers: Die Spielkarten des E. S. 1406.
(1891). S. 9 ff. Dann Alfred von Wurzbach in Zeitschrift für bild. Kunst
1884, 124 11. Wessely, Geschichte der graphischen Künste 1891, Lipp-
mann, der Kupferstich 1893 p. 14, Lützow, Geschichte des Kupferstichs
und Holzschnitts 1893.
Für die Datierung der Thätigkeit des Meisters
E. S. hat man einerseits die Jahreszahlen 1465, 1467
und besonders 1466 — woher er oft der Meister
von 1466 heisst —, anderseits kommt in einem seiner
Kartenspiele das Porträt des am 22. Juli 1461 ver-
storbenen Königs Karl VII. von Frankreich vor.*) Am
schwerwiegendsten ist indessen die Erwägung, dass
ein so umfangreiches Werk eine entsprechend lange
Wirksamkeit voraussetzt: wir werden daher annehmen
dürfen, dass die Thätigkeit des Meisters wohl schon
vor 1450 begonnen hat. Gerade die von 1466 und
1467 datierten Blätter zeigen eine so grosse Meister-
schaft in den einzelnen Partien, dass die Schlussfolge-
rung sich aufzwingt, sie vielmehr der letzten Periode
seines Schaffens als der Zeit seiner Anfänge zuzuer-
kennen, ja Lehrs glaubt das Jahr 1467 geradezu als
Todesjahr des Meisters annehmen zu können.
Ueber Abstammung und Schule wissen wir nichts,
doch weist mancherlei darauf hin, den Schauplatz der
Thätigkeit unseres Meisters im Breisgau zu suchen.
Zunächst fallen die vielen bei E. S. vorkommenden
Wappen schwäbischer und oberrheinischer Geschlechter
auf; dass man das österreichische Bindenschild bei
unserem Meister findet, ist nur eine Bestätigung der
auf den Oberrhein weisenden Hypothese, denn zu
jener Zeit reichten Oesterreichs Besitzungen bis in
jene Gegend. Auch die Trachten auf den Blättern
unseres Meisters (vgl. Lehrs. Die Spielkarten des E. S.
Figur 1—7) erinnern an schwäbische Kostüme jener
Zeit. Die wichtigste Stütze findet diese Annahme aber
in der mittelhochdeutschen Schreibweise der Inschriften
auf seinen Stichen, denn in dem übrigen Süddeutsch-
land war diese Schreibweise damals schon nicht mehr
im Gebrauch. Die altflandrischen Einflüsse, die in den
Arbeiten des E. S. zu Tage treten, stören die Voraus-
setzung eines dauernden Aufenthaltes im Breisgau durch-
aus nicht, stempeln ihn noch viel weniger zum Nieder-
deutschen. Denn die neue Weise der niederländischen
Meister hatte damals schon längst Eingang und Ver-
breitung in Oberdeutschland gefunden; zuerst treffen wir
ihre Spuren in der Bücherillustration, diese wirkte dann
*) Vgl. Passavant vol. II. p. 33., dazu Lehrs, die ältesten deutschen
Spielkarten S. 14.