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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Voll, Karl: Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris, 2
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Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris.
Von Karl Voll.
II.
(Schluss.)

Die französische Malerei des 19. Jahrhunderts hatte
bis zum Auftreten Courbets zwar bereits schon ver-
schiedene Stadien durchlaufen, war aber immerhin noch
nicht weit von jenem Standpunkt der Ursprünglichkeit
weggekommen, wo die Thätigkeit der einzelnen Meister
sich fast zum Verwechseln ähnlich sieht. Es hat gewiss
bis dahin bestimmte und führende Individualitäten ge-
geben, die über die Masse hervorragten und neue Ideen
brachten: aber die Ausdrucksformen der jeweiligen
Zeitgenossen waren so ziemlich die gleichen. Was die
Künstler zu sagen hatten, war je nach der Bedeutung
ihrer Persönlichkeit stets das klar erkennbare Eigen-
tum des Einzelnen; aber wie sie ihre Gedanken, Ge-
fühle und Vorstellungen äusserten, das hing mehr als
gut war, von allgemein anerkannten Vorschriften und
Geschmacksurteilen ab. So hoch das künstlerische
Empfinden eines Delacroix und Daumier steht, so war
die Kunst selbst doch noch gebunden. Gegen die
Mitte des Jahrhunderts wurde das anders. Mit jedem
Jahrzehnt mehrten sich die technischen Mittel. Immer
mehr neue Probleme wurden aufgeworfen, seitdem man
sich von der Herrschaft des antiken und klassischen
Ideals emancipiert hatte und dasselbe schwere Jahr
1870, das Frankreich in den blutigen Krieg verwickelte,
sah eine stattliche Reihe von Künstlern, die sich nur
noch in der gemeinsamen Liebe zu ihrem Vaterlande
verstanden, im übrigen aber auf getrennten Wegen
nach neuen und bereits klar erkannten Zielen der
Kunst zogen. Meissonnier und Manet, Bonnat und
Carriere, Cazin und Monet, Bastien Lepage und Ribot,
Roybet und Puvis de Chavannes, sie alle waren damals
schon fertige Künstler und verfolgten Richtungen, die
wie die gegenübergestellten Namen zeigen, nicht selten
diametral auseinander wichen. Das ist eine Fülle von
Erscheinungen, die schwer zu übersehen, schwerer noch
zu beurteilen ist: aber sie hat existiert, hat zur gleichen
Zeit ihre Existenz gewonnen und ist in dieser Hinsicht
das gerade Gegenteil von der Einförmigkeit, die bis
gegen 1850 geherrscht hatte.
Diesen Umschwung auf Rechnung eines Einzigen
zu setzen, geht wohl nicht an. Aber auch wenn man
die sogenannten Naturalisten ausscheidet und lediglich
ihre Thätigkeit aus der Lehre Courbets ableitet, so
wird man die epochemachende Kraft, die selbst ein
noch so gewaltiger Erfinder auf künstlerischem Gebiete
haben kann, wohl viel zu hoch einschätzen. Schon
aus diesem Grunde scheint es mir geboten, wie bereits am
Schlüsse des ersten Artikels gesagt, neben Courbet nach
anderen Findern neuer Formeln und Formen zu suchen.
Die Centennale hat uns hierüber auch reichliche
Aufklärung gegeben. Das Resultat war freilich in

Fachkreisen schon seit einiger Zeit bekannt; aber es
ist doch eigentlich erst heuer für ein weiteres Publi-
kum promulgiert worden. Mehr noch als Courbet haben
Cezanne und Degas für die Erweiterung der Grenzen
ihrer Kunst gethan. Cezanne war bis jetzt nur sehr
wenig genannt worden und auch die Centennale hatte
sich nur des Besitzes sehr weniger Arbeiten von ihm
rühmen dürfen; aber es war darunter eine Gartenland-
schaft von ungewöhnlicher Raumbeobachtung. Hier
arbeitete nicht mehr die zeichnerische Perspective auf
eine doch nur im allgemeinen wirkende Raumillusion
hin, sondern jedes einzelne Fleckchen hatte den Wert
in Ton und Stimmung der Farbe erhalten, der ihm
gemäss seines Verhältnisses zur Tiefe des darzustellen-
den Raumes zukam. Einige Ungelenkigkeit im Vortrag
kann freilich nicht übersehen werden, aber sie kommt
nicht in Betracht gegen die wahrhaft befreiende Wirk-
ung, die Cezannes Princip mit sich brachte. Daneben
war ein noch halb altmeisterliches, recht befangenes,
viel mit schwärzlichem Stimmungsdüster arbeitendes
Stilleben von Cezanne ausgestellt, das ohne besonderen
künstlerischen Wert an sich, doch historisch von grossem
Belang ist. Es zeigt den Zusammenhang des Führers
der noch heute so genannten Impressionisten mit der
Kunst ihrer jüngeren und älteren Vorgänger. Was
hier der Vollendung entgegen reifte, war wohl etwas
ganz Neues, aber es wuchs auf demselben Boden, dem
die alte Kunst entsprossen war Die Schule Cezannes ist
der Impressionismus. Wir erkennen an dem Stilleben
gerne, um nicht zu sagen mit Beruhigung, dass die Im-
pressionisten noch viele Berührung mit ihren Vorgängern
hatten, dass sie keineswegs masslose Revolutionäre
gewesen sind. Aber wie immer wir auch durch die
Erkenntnis der organisch erfolgten Entwickelung be-
ruhigt sein mögen, höher schlagen wir es an, dass
die Centennale uns gezeigt hat, welche Thaten von
einwandfreier Selbständigkeit die Kunst am Ende des
19. Jahrhunderts geschaffen hat. In den Sälen der Im-
pressionisten, wo Gemälde hängen, die fast 40 Jahre
alt sind, geht uns gewissermassen eine neue Welt auf
und sie sind darum so gut wie allgemein als der
wichtigste Teil der Centennale betrachtet worden.
Namen wie Manet, Degas, Sisley, Pissaro und Monet
sind zwar schon vorher weithin bekannt gewesen, aber
man hat doch eigentlich noch niemals Gelegenheit ge-
habt, sich im grossen, öffentlich beigebrachten Ver-
gleichsmaterial darüber zu orientieren, ob das Verdienst
dieser Männer wirklich so gross sei, wie einige sagen.
Es erübrigt nun noch, über einzelne der Impressi-
onisten ein Wort zu sagen. Das Ausstellungs-Comite
hat Sorge getragen, dass Eduard Manet möglichst
 
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