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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 7
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Seydlitz, Reinhard von: München im 18. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0330

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294

München im 18. Jahrhundert.

Mitte April wurde in den westlichen Anbauten des
Nationalmuseums zu München eine sehr erfreuliche
kleine intime Ausstellung eröffnet. Prof. G. v. Seidl
und Prof. R. v. Seitz haben einen glücklichen Ge-
danken aufs glücklichste in Scene gesetzt: eine Reihe
von Stimmungsbildern kunst- und kulturhistorischer Art,
die das Leben Münchens im 18. Jahrhundert, — ge-
nauer gesagt in der Epoche vom späten Barock bis
zur Revolution, — uns vor Augen führen. Die beiden
grossen Meister konnten sich dabei aufs neue auf ihr
eignes Werk, das Museum selbst, stützen. Denn es
wäre kein andrer Raum, kein andrer Bau denkbar, der
in so glücklicher Art den passenden Rahmen für die
Aufstellung der Gegenstände böte; die Räume waren
wie ad hoc construiert: stolze Palastsäle wechseln mit
kleinen behaglichen Gemächern, Winkeln, Treppen und
Gängen, dass man sich in alte Bauten zurückversetzt
glaubt; jeder Raum wieder ein charakteristisches, leben-
diges Individuum für sich. Und wie geschickt, wie
reizvoll und »wahr« jede Gruppierung, jedes Bild! Über-
all der für die echte Meisterschaft so bezeichnende
Anschein leichter Mühelosigkeit.
Es ist etwas eignes ums Zusammenstellen: alt-
bekanntes wirkt neu, erhält seinen richtigen Wert,
greift harmonisch in einander, erhält und gibt ringsher
und ringsum Leben und Bedeutung. Noch unbekanntes
ordnet sich ein, als sei es nicht anders möglich, er-
klärt und verdeutlicht nicht nur sich selbst, sondern
das Ganze; die Zeit unsrer Vorväter wird uns ver-
ständlich, freundlich und menschlich mutet alles an.
Interieurs aus den Kreisen des Hofes, der Geistlichkeit,
des Adels und der Bürgerschaft (letztere naturgemäss
in der Überzahl), wechseln mit einander ab; und was
nicht in corpore vorhanden, studiert man in effigie an
den Wänden. Denn eine Reihe äusserst interessanter
zeitgenössischer Gemälde von P. J. Horemans (1700
bis 1776, Hofmaler des Kurfürsten Karl Albert), Des-
mares, Edlinger, Hauber u. a. m., stellen Por-
träts und Scenen aus dem Hof-, Jagd- und Volksleben
dar, an welchen bis ins Detail eines nebensächlichen
Stilllebens hinein kleines und kleinstes studiert werden
kann. Auch das Waffenhandwerk ist ausgiebig ver-
treten; das Armeemuseum hat prächtige Waffen, Stand-
arten, Pauken mit Stickereien von fürstlicher Hand, da-
neben aber auch Kleinigkeiten gestiftet, die weniger ins
Auge fallen, dafür aber fürs Studium desto wichtiger,
weil schwerer zu beschaffen sind : Uniformbesätze und
Knöpfe sowie colorierte Figurinen belehren bis ins
Einzelste.

Wirtsstube und Küche sind vielleicht die an-
heimelndsten Räume des Ganzen, die Sammlung aller
Gegenstände die zu beiden gehören, scheint hier am
vollkommensten. In der Wirtsstube fehlen weder das
Kruzifix noch die Bilder der Wirtsleute, weder die in-
teressanten Spielkarten noch die heut ganz verschwun-
denen Methflaschen; auch eine besondre Seltenheit, ein
hoher zierlich gedrechselter Fidisbusständer illustriert
uns, wie man damals sich im Kleinen bescheidnes aber
reichliches Behagen zu verschaffen wusste. Auf Bildern
von Horemans und Zäche nberger finden wir
dann viele dieser Geräte wieder, und sehen, wie man
sie gebrauchte. — In der Küche fehlt kein Stück: bis
herab zum zierlich geschnitzten Backmodel; »auch noch
die Wage liegt hier, sehet, es fehlt kein Gewicht«,
möchte man aus Schillers »Pompeji« zitieren.
Die Wände des Treppenhauses sind mit Stichen
und Aquarellen bedeckt, die Münchener Bauten und
Ansichten jener Epoche darstellen. Oben gelangt man,
an einem finstern Badstübchen mit geschnitzter, bläulich
angestrichner Kufe vorüber in eine Reihe von Zimmern,
welche in Mobiliar, Ausstattung und Schmuck das be-
hagliche Durchschnitts-Bürgerheim darstellen sollen;
Betten, Kommoden, Schränke, eine grosse Zahl (zum
Teil nie getragner, wie neu aussehender) gestickter
Kleider, dazu Figuren, ins Gewand der Zeit gekleidet,
illustrieren aufs Wirksamste damaliges Leben ; ein reizen-
des Bürgermädchenkostüm lässt Betrachtungen anstellen,
die unserer modernen Tracht ein böses Urteil erwecken.
— Alles in allem vermisst Mancher hier vielleicht eine
grössere Fülle von Möbeln. Aber — und das ist er-
freulich bezeichnend für unsre Münchener Bevölkerung
— obwohl im Privatbesitz massenhaft vorhanden, waren
z. B. Schränke nicht leicht zu beschaffen: sie werden
eben da noch heut täglich gebraucht, und sind unent-
behrlich. Das Münchener Leben hat eben noch seine
lebendigen Wurzeln in seiner eignen Vergangenheit.
Darum auch hat die Ausstellung reichen Anklang
bei Denen gefunden, die sie zunächst betrifft: den
Münchenern. Mögen aber nun auch Alle, die kunst-
historisches und kulturgeschichtliches Interesse nach
der Isar führt, sich die ganz unvergleichliche Aus-
stellung nicht entgehen lassen: etwas in seiner Art
Vollendetes zu sehen, lohnt sich für jedermann, direkt
oder indirekt; und wohl jeder wird froh sein, dass nun
derlei Vorführungen uns überhaupt ermöglicht sind
durch den einzigartigen Bau des Nationalmuseums, das
eben damit jetzt sozusagen die Probe auf sich selbst
gemacht, und glänzend bestanden hat. v. Seydlitz.
 
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