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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 5
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Wiener Kunst. Die Todesfälle des Jahres 1900
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Wiener Kunst.
Die Todesfälle des Jahres 1900.

Die bildenden Künste haben im verflossenen Jahre
bedeutenden Aufschwung genommen, sei es durch
schärfere Ausprägung bestimmter Richtungen, sei es
durch steigenden Anwert beim Publikum oder durch
ein Anwachsen der Hervorbringung. Hie und da ist
sogar eine zweifellose Ueberproduction festzustellen.
Aber auch Verluste sind zu beklagen. Der Sensen-
mann hat der deutschen Kunst einen Leibi, der fran-
zösischen einen Falguiere hingemäht, und die Wiener
Kunst, mit der es die vorliegende Notiz zu thun hat,
beklagt neben anderen Verlusten auch den Hingang
mehrerer alter und junger Kräfte von Bedeutung. So
ist der Bildhauer T h e o d o r Fr ie d 1 dahin, der tapfere
Vorkämpfer einer frischen, modernen, bewegten Kunst-
auffassung. Friedl gehörte in eine Reihe mit V. Tilgner
und Weyr, von denen der erstere vor wenigen Jahren
vor der Zeit verstorben ist, der letztere aber noch bei
bestem Wohlsein und in voller Lebensblüthe schafft.
Friedl war ein Wiener Kind (er ist 1842 geboren) und
hat in Wien hauptsächlich unter Fernkorn seine Aus-
bildung erlangt. Reichste Phantasie stand ihm zur Ver-
fügung, und die Hände blieben nichts schuldig, wo es
etwas zu modellieren gab. So wurde er ein fruchtbarer
Künstler, dem viele Theater ihren Reliefschmuck ver-
danken, dessen flott bewegte Erfindungen viele Privat-
häuser zieren. Seine Rossebändiger bei den Hof-
museen gehören zu den bekanntesten Gruppen in Wien.
Friedl ist am 6. September zu Kirchau in Niederöster-
reich gestorben. Die reiche Thätigkeit des Mannes
würde eine zusammenfassende Arbeit verdienen, wohl
auch lohnen. Der Bildhauer Josef Gasser (nicht
selten verwechselt mit seinem berühmten Namensvetter
Hans Gasser) ist ebenfalls im Laufe des Jahres 1900
(am 28. Oktober) hingegangen. Er starb in seiner
Tiroler Heimat. Sein Geburtsjahr wird verschieden
angegeben mit 1816 oder 1826. Ohne Zweifel gehörte
Gasser mit seinem Denken und Fühlen dem Vormärz
an, obwohl seine Hauptthätigkeit erst nach 1848 fällt.
Gasser war ein tüchtiger Künstler, von dem zahlreiche
der österreichischen Hauptstadt an der Donau zur Zierde
gereichen. Für den Speyerer Dom arbeitete er im Auf-
trage des Kaisers von Oesterreich Sculpturen, die vielen
Beifall fanden. Für die Wiener Votivkirche modellierte
Jos. Gasser den segnenden Heiland im Hauptportal, die
Reliefs im Tympanon und noch vieles Andere*). Gasser
*) Vergl. M. Thausing ..Die Votivkirche in Wien“ S. 30 IT. Siehe
auch Kabclebo’s „Kunstchronik“ II, 156.

hat auch am Ferstel’schen Hauptaltar der Schottenkirche
in Wien mitgearbeitet. Seine Hauptthätigkeit galt jahre-
lang dem plastischen Schmuck des Wiener Stefans-
domes. Am 12. März verschied in Wien Professor
Alois Düll, dessen plastische Arbeiten an zahlreichen
Monumentalbauten Wiens zu finden sind. Die öster-
reichische illustrierte Zeitung vom 22. April brachte
einen mit vielen Abbildungen versehenen Nachruf für
den genannten Künstler, der als Wiener Kind im Jahre
1843 geboren ist.
Nach einigen Notizen in den Wiener Tagesblättern
verzeichne ich auch noch den Tod der Bildhauer Josef
Rudrich, Leopold Klima und Johann Schwarzer.
Schwarzer starb zu Wien gegen Ende 1900 nach An-
gabe des »deutschen Volksblattes« vom 25. Dez. 1900.
Nach Eisenberg »Das geistige Wien« ist Schwarzer 1842
zu Grulich in Böhmen geboren worden *).
Eine Reihe von Wiener Malern schloss sich dem
Zuge des Todes von 1900 an. Gottfried Seelos
dürfte darunter der bedeutendste gewesen sein. Er
verfügte über ein ungewöhnliches Können, was einzu-
gestehen ist, auch wenn es gerade jetzt schwer fällt,
die Stimmung wieder zu finden, aus der heraus die
vollendet durchgebildeten süssfarbigen Landschaften von
Seelos geschaffen sind. Seelos ist zu Wien am 13.
oder 14. März gestorben. Auf mehr Verständnis seiner
Kunst kann heute vielleicht Anton Mayer rechnen,
der am 7. Jänner zu Arco im 57. Lebensjahre ver-
schieden ist. Mayer, ein Schüler Rahl’s und bekannt
unter dem Namen der rote Mayer, ging mehr in’s
Breite und hatte den grossen Venezianern Manches
abgelauscht. Seit vielen Jahren siech, hat er nur
wenige Werke hinterlassen.
Ein sehr fruchtbarer Künstler war der Tiermaler
Gustav Ranzoni, der am 19. oder 20. Oktober ver-
schieden ist. Er war Oheim, nicht Vater, des jetzt
lebenden Malers Plans Ranzoni. Nach Angabe des Neuen
Wiener Tagblattes vom 27. Juni 1900 starb der Maler
Sigmund Dux am 26. Juni zu Wien mehr als 70 Jahre
alt. Dux war den Besuchern der Wiener Ausstellungen
in den 70er und 80er Jahren wohl bekannt durch seine
sauber behandelten Sittenbilder. Seither hatte sich der
Maler fast gänzlich zurückgezogen. Nur selten noch
sah man von ihm im Wiener Kunstverein kleine Ar-
beiten. Dux pflegte Bilder mit blutleeren, ärmlichen
*) Zu Rudrich’s Tod und Klima’s Selbstmord vergl. die „Neue freie
Presse“ vom 10. April und 5. März 1900.
 
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