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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 5
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Seydlitz, Reinhard von: Erkenntnis und Besitz: (der Künstler besucht den Sammler)
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221

Erkenntnis und Besitz.
(Der Künstler besucht den Sammler.)

Künstler: Nur zum Plaudern, liebster Freund,
komme ich in so später Stunde —
Sammler: Nichts Lieberes konnte mir geschehen,
nichts Glücklicheres dir einfallen! Setz dich dort, wo
meine Lampe dich nicht blendet —
K.: Doch sehe ich, dass ich dich störe.
S. .* Wer stört den andern nicht — ?
K.: Ich meine, im leisen, liebevollen Zwiegespräch
mit deinem kleinen elfenbeinernen Liebling dort, der
Perle deiner Schätze.
S.: Zwiegespräch?! O wäre es eins! — Dein
Eintreten löst erst aus, was zu sagen mir der kleinen
Figur gegenüber einfiel; aber sie wollte heut nicht
antworten. Ich schliesse sie weg —
K.: Nicht doch, lass sie da stehen, im halben
Lampenlicht, vor dem mattblauen Sammet. Sie soll
stumm aber beredt unser Gespräch beurteilen. So
haben auch unsere Augen während der Zeit ein Ziel,
die sonst wie unartige Kinder umherlaufen und nach
einer Unterbrechung suchen.
S.: In dem Sinne bin ichs zufrieden, besonders
da die Gewohnheit des Anschauens mir nicht mehr
schadet. Der ist noch kein Kenner, dem tägliches jahre-
langes Anschauen des Besitzes das Erkennen schwächt,
das Geniessen abstumpft. Besonders bei kleinen Dingen,
die man in der Hand halten, Beleuchtung und Stelle
wechseln, Gesichtswinkel und Hintergrund probieren
lassen kann.
K.: Das beweisen die Frauen mit ihrem Schmuck!
— Und bei grossen Stücken? Du hast doch die Frei-
heit, die grössten Bilder nach Gefallen alle Tage um-
zuhängen, damit sie dir täglich wieder frisch und neu
sind — ?
S.: Also sprach — ein Nichtsammler! — Nein,
dreimal nein, lieber Freund; — die haben nach und
nach ihre Stelle gefunden, die ihnen am meisten zusagt.
Du lächelst? Ja, fühlst du denn überhaupt nicht, dass
sie leben ? Dass sie imstande sind, vorwurfsvolle oder
zufriedene Mienen zu machen ?
K..‘ Hm! Was ich geschaffen, geht von mir, und
ich wende mein Herz neuen Kindern zu.
S.Schauderhaft herzlos! Aber bei reicher
Schaffenskrait wohl natürlich.
K.: Gewiss. Unter uns: nur der Dilettant sorgt
und äugelt seinen Werken nach.
S.So wie auch wir, Conservatoren von Privat-
museen verschiedensten Wertes. Sorgen und liebäugeln,
— ja auch bösäugeln, d. h. kritisch bleiben; das ist

unsere Aufgabe, wenn wir nicht den Erwerb aus äusseren
Gründen vollzogen haben und den Besitz absterben
lassen wollen, — und nicht, ums grob zu sagen, elende
Kislar Aga’s der Kunst werden sollen.
K.: Und das Bedürfnis empfinden, Sklave des Be-
sitzes zu sein — sagt Nietzsche. Nein, einen echten
Sammler denke ich mir als einen echten Künstler in
seinem Fach.
S. .* Ein solcher wird bald bemerken, dass dazu
zuerst eine besondere Art Sammeln gehört: wer sam-
meln will, sammle zuerst sich selbst. Wer sammelt,
um sich zu zerstreuen, bleibt Dilettant. — Und um
sich zu sammeln, dazu ist wieder zuerst not, sich zu
erkennen; denn dann erst wird er wissen können, was
und wie er sammeln soll, um fruchtbar zu wirken. Er
wird lernen, sein Feld zu beschränken, wird sein Inter-
esse nicht zersplittern —
K.: Kurz, — banal ausgedrückt, — er wird nur
sammeln, was ihm Freude macht, was ihn von Anfang
an zu sich zog —-
S.: Was ihm also adäquat ist! Und so ists recht.
K.: Unsereinem gehts da nicht so gut: das Be-
fehlswort »Auftrag« hat schon manchen vor eine lästige
Aufgabe gestellt.
S.Dafür verfallt ihr nicht so leicht der Gefahr,
spielerig einer Affenliebe nachzuhängen, wie wir. Ja,
wer uns missachtet, wirft uns allen vor, dass wir mit
der Kunst spielen. Mancher von uns hat zeitlebens
Not, sich dagegen zu wehren; wie viele von uns nimmt
man denn ernst? Weiss ich, ob ich ernst genommen
werde ?
K.: Da sieh du zu !
S.So ! — Und so rächt der Künstler am Kenner
das böse Wort aus Goethes Gedicht. Und, lieber rache-
voller Freund, jetzt gestatte auch mir, dass ich einen
Gegenhieb führe: was weisst du, was weiss überhaupt
jemals ein Schaffender von der Tiefe der Erkenntnis,
die ein Besitzender erreichen kann! Denn, dass ich
Kunstwerke besitze, kann mir wohl auch die Erkenntnis
schärfen für Werke, die ich nicht besitze, —■ aber,
magst du staunen, spotten oder zürnen, höre mein in-
timstes Bekenntnis: nur was ich besitze, öffnet sich mir
ganz, erschliesst ganz seine Schönheit, seine Eigenart,
— und zwar eben nur mir, dem Besitzer.
K.: Schön; aber doch eben nur, weil es dir kein
toter Besitz ist.
S.; Nein, — das Geheimnis liegt anderswo; sagen
wir, in der Ursache des Erwerbes. Geschah dieser
 
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