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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 1
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Furtwängler, Adolf: Die knidische Aphrodite des Praxiteles
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Gaupp, Otto: Die Wallace-Ausstellung in Hertford House
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0041

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— 27 —

zu setzen, um die ursprüngliche Komposition wieder-
zugewinnen. Dies ist neuerdings an dem Münchner
Abguss der vatikanischen Statue geschehen, indem hier
mit aller Sorgfalt der von Kaufmannsche Kopf mit dem
vatikanischen Körper vereinigt worden ist. Das Resul-
tat stellt unsere Abbildung b dar.*)
Die Wirkung der veränderten und richtig gestellten
Haltung des Kopfes ist erstaunlich: man glaubt kaum,
dass dieselbe Statue vorliegt. Ein wunderbarer Rhyth-
mus durchströmt mit einem Male, alles belebend, die
Figur. Nur die plumpe Ergänzung der rechten Hand
wirkt jetzt noch störend; sonst ist alles von lebendigster
Anmut erfüllt. Erst jetzt schliessen sich die Linien
zu vollkommener Harmonie zusammen. Obwohl der
Körper in Abbildung b doch ganz derselbe ist wie in <2,
so wird doch die Haltung mit der emporgezogenen
*) Derselbe Versuch ist auch schon im Abguss-Museum zu Prag
gemacht und eine Abbildung von Klein, Praxiteles S. 255, Fig. 40, publi-
ziert worden; allein diese Abbildung, ein abscheuliches Zerrbild, gehört
zu dem Schlechtesten in diesem schlechten Buche und gibt gar keinen Be-
griff von dem, worauf es ankommt, der Haltung und Wendung des Kopfes.

linken Schulter, der heraustretenden rechten Hüfte, dem
so reizvoll natürlichen linken Beine erst hier recht ver-
ständlich und lebendig. Der gesenkte Kopf von a ist
gleichgiltig, stumpf; doch in dem gehobenen von b
schlagen des Lebens frische Pulse.
Die Göttin lässt das Gewand über die das Bad
andeutende Hydria herabgleiten; sie deckt schamhaft
mit der Rechten den Schooss und blickt ins Weite
hinaus, ob keine Störung drohe. Dies der einfache
Sinn der Bewegungen der Statue. Alles weitere Prä-
zisieren des dargestellten Momentes, alles Schildern der
Gedanken und Empfindungen der dargestellten Göttin
wäre verkehrt; denn man läuft mit dergleichen immer
nur Gefahr, sich von dem Sinne des Schöpfers des
Bildwerks zu entfernen. Dagegen wir sicher in seinen
Spuren gehen, wenn wir, in die einfache Natürlichkeit
der Bewegungen uns versetzend und sie verstehend,
die Harmonie und den Rhythmus der Linien, die Wahr-
heit, die Ruhe und Grösse der Formen geniessen.
A. Furtwängler.

Die Wallace-Ausstellung in Hertford House.
London, 17. August.

Die Geschichte der berühmten Wallace-Sammlung,
die Ende Juli in London der Oeffentlichkeit übergeben
wurde, ist allen Kunstfreunden wohlbekannt. Wir brauchen
sie daher nur kurz zu rekapitulieren. Die Sammlung
ist in der Hauptsache das Werk des dritten und vierten
Marquis von Hertford ; dieser hinterliess sie seinem un-
ehelichen Sohn Sir Richard Wallace, der sie besonders
durch Anlegung einer Waffensammlung erweiterte und
zu Beginn des deutsch-französischen Krieges von Paris
nach London zurückbrachte. Sir Richards Witwe, Lady
Wallace, hat die Sammlung dann 1897 der Nation hinter-
lassen unter der Bedingung, dass sie nicht auseinander-
gerissen, sondern in ihrer Gesamtheit in einem eigenen
Museum untergebracht werde. Die Kronjuristen ent-
schieden, dass der Ankauf von Hertford House, dem
alten Heim der Sammlung, und seine Umbildung in ein
Museum dieser Bedingung genügen würden, und nach
ihrer Entscheidung handelte die Regierung. Hertford
House, ein grosses freistehendes Gebäude am Manchester-
square in der Nähe von Marble Arch ist nicht ein ge-
wöhnliches Museum ; der Charakter des privaten Palastes
eines kunstverständigen Edelmanns ist vielmehr soviel
als möglich gewahrt. Die Erzeugnisse der verschiedenen
Künste sind nicht willkürlich getrennt; die herrlichen
Bilder, die kostbaren französischen Möbel, das prächtige
Sevres-Porzellan, die Uhren, die Majolika- und Elfen-
beinschnitzereien bilden ein harmonisches Ensemble, bei
dessen Anordnung überall das ästhetische Motiv aus-
schlaggebend war. Hertford House kann sich natürlich,
was Reichtum des Inhalts betrifft, mit den grossen Kunst-
sammlungen in Southkensington und der Nationalgallerie
nicht messen; es übertrifft sie aber, wenn es sich um
reinen Kunstgenuss handelt, da es schöne Dinge in
schönen Räumen und schöner Umgebung zeigt, was
jenen nicht nachgesagt werden kann. Hertford House
ist als Ganzes selbst ein Kunstwerk.
Die Schätze, die Hertford House birgt, zerfallen
in drei Kategorien: Gegenstände des Kunstgewerbes,

Waffen und Rüstungen, und Gemälde. Werke der Bild-
hauerkunst sind nur schwach vertreten; was allerdings
da ist, ist erster Qualität und schliesst hervorragende
Werke Houdons, Falconets und anderer ein. Von den
drei Kategorien ist die Sammlung von einigen 750 Ge-
mälden die wichtigste, und nur auf sie kann ich hier
etwas näher eingehen, wobei allerdings auch dieses
»Nähereingehen« in Wirklichkeit gegenüber dem ge-
radezu erdrückenden Reichtum des gebotenen Materials
nur einen sehr kursorischen Charakter tragen kann.
Mein Ziel kann nur sein, den Lesern der »Monatsbe-
richte« wenigstens einen allgemeinen Begriff von dem
Inhalt des neuesten Londoner Museums zu geben. Wenn
mein Bericht dabei einen katalogähnlichen Charakter
erhält, so lässt sich das kaum vermeiden, wenn dieses
Ziel erreicht werden soll.
Die Marquise von Hertford waren Männer von
katholischem Geschmack, und es sind daher in Hert-
ford House beinahe alle grossen Kunstschulen durch
mehrere Meisterwerke vertreten. Sie waren keine Pfad-
finder, die ihre Patronage noch »unentdeckten« Künst-
lern zugewandt hätten, sondern hielten sie beinahe ängst-
lich an das, was der Consensus communis ihrer Zeit
für gross und schön erklärte. Innerhalb dieser Grenzen
wählten sie aber beinahe immer mit sicherem Geschmack,
und ihre Sammlung enthält daher relativ wenig, was
man lieber vermisst hätte, und lässt wenige Künstler
vermissen, die zweifellos hätten vertreten sein sollen.
Die intimen Beziehungen, die der vierte Marquis und
sein Erbe Richard Wallace zu Frankreich unterhielten,
bringen es mit sich, dass die französische Kunst am
vollkommensten repräsentiert ist, und darin liegt gerade
für England der Hauptwert des neuen Museums. Es
füllt eine Lücke in unsern nationalen Museen aus, die
immer tief beklagt wurde. Für unsere Nationalgallerie
hört die französische Kunst mit Claude und Poussin auf
oder ist, um ganz korrekt zu sein, durch Grenze, Ma-
dame Vigee Lebrun und Rosa Bonheur repräsentiert!
 
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