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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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Krauss, Ingo: Das Portrait Dantes, 2, Dantes Portrait in der Bildenden Kunst
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490

Das Portrait Dantes.
Von Dr. Ingo Krauss.
II.
DANTES PORTRAIT IN DER BILDENDEN KUNST.
§ 1. Der Dantekopf in der zeitgenössischen Kunst.

Das Bargellobild.
Dantes Zeitalter war die Epoche des geistigen Auf-
schwunges in Italien. Auch die Kunst erwachte aus
ihrem totähnlichen Schlummer und schüttelte die er-
starrten Formen byzantinischen Geschmacks ab. Zwar
hatte sich schon Niccolo Pisano (ca. 1206—1280) zur
Antike zurückgewandt, gleichsam als Vorläufer der
Renaissance. Jedoch diese Bewegung hätte, allein auf
die versteinerten Ideale des Altertums gestützt, ihre
spätere glanzvolle Höhe nicht erreichen können, wenn
nicht alsbald ein anderes Moment hinzugekommen
wäre, das Studium der Natur. Der Bildhauer Giovanni
Pisano (geb. um 1250) und der Maler Giotto di Bon-
done (1267— 1337) thaten zuerst diesen entscheidenden
Schritt. Durch sie empfing die Kunst frisches Leben,
und dieser ihrer Neugeburt verdankt auch die Nach-
welt die ältesten Danteportraits. Zunächst beschränkt
sich unser Material nur auf die Malerei. Die Plastik
hat, soweit unser heutiges Wissen reicht, im Trecento
nicht den Versuch gemacht, den grossen Dichter dar-
zustellen.
Das früheste Dantebildnis befindet sich zu Florenz
auf einem Fresko der Magdalenenkapelle im Palazzo
del Podestä, dem jetzigen Bargello. Es gehört dem
ersten Drittel des Trecento an. Länger als zwei Jahr-
hunderte war es unter einer Schicht weisser Tünche
verborgen. Bereits zu Anfang des neunzehnten Jahr-
hunderts ward der Wunsch rege, das Gemälde, von
dessen Vorhandensein man durch Filippo Villani und
Vasari wusste, von der verhüllenden Kalklage zu be-
freien. Jedoch Moreni und Scotti sowohl wie Missirini
(1832) bemühten sich ohne Erfolg1)- Erst als sich 1840
drei Verehrer Dantes, der Italiener Aubrey Bezzi, der
Amerikaner Henry Wilde und der englische Maler
Seymour Kirkup erboten, auf eigene Kosten die Reinigung
der Wände vornehmen zu lassen, erteilte die Regierung
nach einigem Zögern die Erlaubnis2). Am 21. Juli 1840,
nach einer Arbeit von mehreren Monaten, trat Dantes
Kopf als erster unter allen übrigen des Freskos ans
Tageslicht3 4).
Leider waltete gerade über diesem so wertvollen
Dokumente, das mit einem Sturm von Begeisterung be-
grüsst wurde, ein mehrfaches Missgeschick. Gerade
durch das Auge des Profilkopfes war ein Nagel ge-
schlagen worden, der von dem mit der Restauration
betrauten Florentiner Maler Antonio Marini so un-
geschickt herausgerissen wurde, dass auch die umliegen-
den Teile der Wange abblätterten. Marini war kurz
vorher wegen Unfähigkeit von den Auffrischungsarbeiten
im Campo santo zu Pisa ausgeschlossen worden. Das
erfuhren Kirkup und seine Genossen, als es zu spät
1) Jahrb. d. deutsch. Dantegesellsch. 1869. II Theodor Paur, Dantes
Portrait. p. 300. F. X. Kraus, Dantes Leben. Berl. 1897. p. 166.
2) Paur, loc. cit. p. 301.
3) Paur, loc. cit. p. 309. Anm. **

war'). Der Schaden war geschehen. Ausserdem scheute
sich dieser „Restaurator“ nicht, aus eigener Machtvoll-
kommenheit an dem Fresko herumzupinseln, so dass
heute von dem Originale des Portraits keine Spur mehr
zu sehen ist5). Er setzte nicht nur ein neues Auge ein,
das in keiner Weise dem Stile des Freskos entspricht,
sondern umriss auch von Neuem die Konturen. Da-
durch entstellte er die ursprüngliche Form und den
Ausdruck des Gesichtes. Seine Unverfrorenheit —
anders kann man sein Verfahren kaum nennen — gipfelte
schliesslich darin, dass er auch die Farben veränderte6).
Zum Glück sind wir in der Lage, uns eine an-
nähernde Vorstellung von dem unverfälschten Zustande
des Bildes zu machen. Es sind nämlich zwei Hand-
zeichnungen vorhanden, die noch kurz vor der Ueber-
malung aufgenommen worden sind und nur ganz ge-
ringe Abweichungen von einander aufweisen.
Als die Aufdeckungsarbeiten im Bargello von Er-
folg gekrönt wurden, hatte die Regierung von Florenz
die Kosten übernommen. Nunmehr legte sie Kirkup,
dem es um eine getreue Kopie nach dem Original zu
thun war, Hindernisse aller Art in den Weg7)- Trotz-
dem gelang es ihm durch List und Bestechung, drei
Studien aufzunehmen, eine Umrissdurchzeichnung auf
Marienglas, eine Helldunkel- und Farbstiftskizze. Ueber
den Charakter desselben lässt sich nichts sagen, da
mir weder die Originale noch Reproduktionen derselben
zur Verfügung stehen. Wer weiss, ob dieselben über-
haupt noch erhalten sind. In diesem Falle wäre es
wünschenswert, wenn sie ans Tageslicht kämen. Für
die Geschichte des Danteportraits dürften sie noch
wertvoller sein als die getuschte Zeichnung, die Kirkup
später nach ihnen anfertigte und die uns heute vorliegt.
Dieses Blatt wurde von der Arundel Society veröffent-
licht. Die Grösse des Kopfes entspricht der Natur; er
ist ausgeführt auf starkem gelbbraunem Papier8).
Der Zeichner hat im Gegensätze zu der ganzen
Figur des Freskos nur die obere Partie, etwa bis zur
Hälfte des Oberkörpers, wiedergegeben. Dante ist dar-
gestellt in jüngeren Jahren. Er schaut in reiner Profil-
stellung nach links, jedoch so, dass noch ein Stück
von dem abgewendeten rechten Auge zu sehen ist. Er
ist bekleidet mit einem weiten roten Obergewand, das
durch einen kurzen weiss abgesetzten Stehkragen am
Halse geschlossen wird. Auf der Brust ist das Ober-
kleid zurückgeschlagen und lässt zwischen den weiss-
gefütterten Aufschlägen ein grünes Untergewand vor-
4) Paur. p. 303. 305.
Vgl. Harry Quilter, Giotto. London 1880. — „All the fres-
coes in this chapel are very greatly injured by time and neglect, white-
wash and restoration, and especially the Dante portrait, which has
suffered most of all from the last mentioned cause.“
6) Crowe u. Cavalcaselle, Gesch. d. ital. Malerei. I. Lpz. 1869. p. 222.
— Paur, loc. cit. pag. 306. — F. X. Kraus.
’) „No signore. e una cosa troppo gelosa.“ Citat aus einem Briefe
Kirkups. Siehe Paur, loc. cit. p. 303 Anm. 75.
8) Die folgende Beschreibung stützt sich auf eine Reproduktion
des Blattes in F. X. Kraus, Dantes Leben.
 
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