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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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Krauss, Ingo: Das Portrait Dantes, 2, Dantes Portrait in der Bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0518

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— 491 —

scheinen. Der Kopf ist ganz umhüllt von einer weissen
Kappe, die auch den Nacken bedeckt. Darüber sitzt
eine ebenfalls weisse Zipfelmütze, deren rotes Futter
am unteren Ende umgeschlagen ist und die Stirn wie
ein Diadem umgiebt. In den Fingern der erhobenen
rechten Hand, die nur zum Teile sichtbar ist, hält Dante
einen Zweig mit drei Granatäpfeln. Ein Buch unter dem
linken Arm ist nur schwach angedeutet.
Die Formen des Gesichtes sind weich und zart,
von fast weiblicher Rundung. Die hohe, edelgewölbte
Stirn schliesst nach unten mit feinen, dunklen Brauen
ab. Diese und die Wimpern des oberen Augenlides ver-
laufen in gerader Linie. Die Nase senkt sich in sanft
gebogenem Profil, sodass die Spitze etwas überhängt,
während der sehr fein geformte Nasenflügel sich wieder
ein wenig hinaufzieht. Der vorstrebende Mund ist ziem-
lich klein und in den Winkeln etwas gesenkt, wodurch
der Gesichtsausdruck einen leisen Anflug von Schwer-
mut erhält. Die voll entwickelte Unterlippe legt sich
vor die obere, das Kinn dagegen geht in weicher
Rundung zum Halse über. Einige Glanzlichter auf dem
Backenknochen und der Stirn oberhalb des Auges lassen
auf die energische Entwicklung dieser Teile schliessen.
Ohr und Haar sind nicht sichtbar. Ein zartes Rot auf
der Wange verleiht dem Anditze eine frischere Farbe.
Neben dieser Zeichnung des englischen Malers
tauchte alsbald eine zweite auf, die den Namen des
Grafen Perseo Faltoni mit der Jahreszahl 1840 trug.
Das Original derselben befindet sich im Berliner Kupfer-
stichkabinet. 1850 erhob sich ein Streit um die Authen-
ticität dieses Bildes1)- Kirkup schrieb auf Karl Wittes
Anfrage, er habe trotz seiner 44jährigen Anwesenheit
in Florenz niemals den Namen dieses Grafen gehört..
Später jedoch hatte Witte selbst Gelegenheit, den „Un-
bekannten“ persönlich kennen zu lernen. Faltoni war
Civilingenieur und hatte bei der Restauration des Bar-
gellofreskos, als ganz junger Mann, Marini als Gehilfe
zur Seite gestanden2)- Es ist also anzunehmen, dass
seine Zeichnung noch genauer der Vorlage entspricht,
da er genügend Musse hatte, seine Kopie anzufertigen.
Und das ist in der That der Fall; sein Bild ist detaillierter
ausgeführt. Auch er hatte zuvor eine Durchzeichnung
gemacht, die ebenfalls verschollen zu sein scheint. Seine
Arbeit wurde dem Könige von Preussen geschenkt, der
sie dem Museum überwies. Faltoni hat auch nur die
halbe Figur und zwar gleichfalls in Lebensgrösse wieder-
gegeben. Das Bild ist auf festem, braunem Papier von
ovalem Format in schwarzer und weisser Kreide aus-
geführt.
Zum Teil sind die Konturen mit Sepia nachgezogen3).
Auch diese Aufnahme ist an einigen Stellen leicht ge-
tuscht, um die Farben des Originals anzudeuten. Das
Unterkleid und der Schnitt des Buches sind grün,
während ein rötlicher Ton auf dem Obergewande und
dem diademartigen Umschläge des cappuccio liegt.
Dieses selbst aber ist durch.reichliche Anwendung von
Weiss als weiss charakterisiert.
Crowe und Cavalcaselle dagegen glauben Anzeichen
dafür entdeckt zu haben, dass die ganze Kopfbedeckung
mit Ausnahme der weissen Unterkappe rot gewesen
sei, und berufen sich zur Erhärtung ihrer Behauptung
auf das Tafelbild des Michelino im Dom zu Florenz4).
Sie behaupten, dass der ungeschickte Restaurator beim
Abkratzen der Tünche die Farbe am Hinterkopf Dantes
mit fortgenommen hätte, dass aber auf einigen stehen
gebliebenen Stellen noch rote Farbe erkennbar sei. Paur
p Paur. p. 301.
2) Karl Witte im Jahrbuch der deutschen Dantegesellschaft II-
1869. p. 440.
s) Für die Beschreibung ist das Original im Berliner Kupferstich-
kabinet massgebend.
Crowe und Cavalcaselle, loc. cit. p. 222. Anm. 66. 67.

weist diese Ausführungen zurück und giebt der Ver-
mutung Raum, dass Crowe und Cavalcaselle sich durch
Flecken auf dem Fresko haben täuschen lassen5)- Paur
war allerdings gut unterrichtet. Ihm standen durch
Karl Witte unter Anderem Briefe Kirkups zur Verfügung.
Früher als dieser können Crowe und Cavalcaselle das
Gemälde unmöglich gesehen haben. Dass Kirkup nicht
Gelegenheit genommen hätte, das auf sein Betreiben
neu entdeckte Bild eingehend zu betrachten, ist kaum
anzunehmen. Selbst vorausgesetzt, Kirkup hätte infolge
der Intriguen der Florentiner Verwaltung nicht die nötige
Musse dazu gehabt, so wird doch Graf Faltoni das
Fresko sicherlich ganz genau studiert haben. Wenigstens
gebrach es ihm weder an Zeit noch Gelegenheit. Marini
schliesslich stimmt mit Kirkup und Faltoni auch über-
ein6). Er ist freilich kein unverdächtiger Zeuge, doch
scheint es, als ob er die Farben der Mütze unver-
ändert gelassen habe. Diese Erwägungen scheinen
angethan, Crowe und Cavalcaselle zu widerlegen.
Immerhin ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
dass sich die beiden Zeichner und, wenn man so will,
der Restaurator versehen haben. Ein absolut zwingender
Beweis lässt sich heute nicht mehr führen.
Faltoni hat, wie erwähnt, das Portrait im Detail
sorgfältiger charakterisiert. Auch der Gesichtsausdruck
Dantes ist bei ihm ein anderer als bei Kirkup. Der
Mundwinkel ist in die Höhe gezogen und verleiht da-
durch dem ganzen Kopf etwas Heiteres. Ausserdem
ist der obere Teil des linken Augensternes sichtbar,
während ein ganz winziger Schatten im Mundwinkel ein
kaum sichtbares Fältchen anzudeuten scheint.
Was die Uebermalung Marinis angeht, so ist es
schwer, nur auf Photographien7) gestützt, ein bestimmtes
Urteil abzugeben. Im Berliner Kupferstichkabinet be-
findet sich auch eine kolorierte Kreidezeichnung von
Mussini. Diese wurde 1844 in Originalgrösse nach dem
restaurierten Portrait aufgenommen.
Die Gesichtszüge des Dichters sind hierauf noch
weichlicher als bei Kirkup, ohne die geringste Spur
von Willenskraft in den Mienen. Die blaugrauen grossen
Augen blicken sanft und schwärmerisch, gleichsam'
traumverloren in die Ferne. Der Mundwinkel senkt
sich tieftraurig nach unten. Wie bei Marini8) ist die
Farbe des Gewandes aus dem Rot und Grün in ein
warmes, ins Violette spielendes, Braun verwandelt
worden.
Obgleich die Zeichnungen des Barons Kirkup und
■des Grafen Faltoni die einzigen relativ authentischen
Urkunden für das Dantebildnis im Bargello darstellen,
ist auch ihr Wert- nur beschränkt. Schon dass sie
untereinander abweichen, beweisst, dass sie nicht absolut
getreue Kopieen sind, und das ist ja auch schlechter-
dings unmöglich. Etwas von der Eigenart des Kopisten
schleicht sich stets in seine Arbeit ein. Kirkup und
Faltoni haben durch ihre zaghafte Manier ihre Vorlage
verweichlicht. Daher erscheinen die Züge Dantes auf
ihren Blättern so unendlich jugendlich und unmännlich.
Wir haben uns aber einen Mann von mindestens
35 Jahren vorzustellen, wofür der Beweis im Folgenden
erbracht werden wird. Die Technik der Bilder verrät
den süsslichen Geschmack der Nazarener. Einen Grad
kraftvoller erscheint Faltoni, und aus diesem Grunde,
verbunden mit dem Umstande, dass er nach eingehendem
Studium seine Zeichnung herstellen konnte, gebührt
seiner Arbeit der Vorrang. Das ist bisher nicht an-
erkannt worden.

6) Paur p. 305. Amm. 87.,
6) Allerdings hat er den roten Streifen verbreitert und eine ziem-
lich unhistorische Mütze daraus gemacht.
’) Photogr. Alinari. No. 4352.
8) Paur, loc. cit. p. 303.
 
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