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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 5
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Seydlitz, Reinhard von: Erkenntnis und Besitz: (der Künstler besucht den Sammler)
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222

aus tiefster Erkenntnis des Wertes — nicht also aus
dilettantischer Affenliebe, aus Imagination des Wertes,
-—- dann gibts eine gute Ehe zwischen Besitzer und
Besitz; besonders wenn die Erkenntnis langsam und
zögernd kam. Da gibt es vielleicht äusserliches, neben-
sächliches zu überwinden, zu vergessen, was einem im
Zustande erster Naivetät vielleicht herb, persönlich un-
sympathisch war; desto köstlicher schmeckt dann aber
dem geläuterten, gereiften Sinn die erworbene Erkenntnis
der Vorzüge. — Denn das plötzliche Zugreifen ist nur
ausnahmsweise heilsam; Liebe auf den ersten Blick
gibt keine sichere Garantie für lange Dauer.
K.: Du legst also mit Recht Wert auf die Dauer
des guten Einvernehmens zwischen dir und dem was
du hast; du fragst dich wohl nicht nur: wie gefällt
mir dies Bild, — sondern insgeheim auch: wie gefalle
ich meinen Bildern?
S.: Gewiss, — da ich in vornehmer Gesellschaft
bin; — Meisterwerke sind alle adlig ! — Ach und wenn
du wüsstest, wie anspruchsvoll sie sind. Bis zu dem
Punkt, dass das gute Einvernehmen für immer gestört
wird, wenn nicht —
K.: Wärs möglich? Untreue, — Trennung?
S.: Scheidung und Bruch sogar! Denn sieh, auch
die Erkenntnis hat ihre Schwankungen. Der allmähliche
Wechsel in der Achtung vor einem Stück, einem
Meister, einer Stilgattung, einer Zeitepoche, — herbei-
geführt vielleicht durch die Jahre, das eigene Alter,
das ausgedehntere Studium — wird sich wohl im Laufe
eines langen Sammlerlebens immer einstellen, wenn
auch nicht eklatant merkbar. Und wie einen plötzlichen
Erwerb, so gibts auch ein plötzliches Verstossen.
K.: Gott sei Dank; also auch du bist unter Um-
ständen »schauderhaft herzlos.«
S.Unter Umständen mit Recht. Ein Stück kann
mir verleidet werden durch unerwarteten Erwerb von
etwas Besserem; durch plötzliche Erkenntnis eines
Fehlers; durch — ja, ich gestehe es errötend! —
durch thörichte Lobsprüche eines Geschmacksarmen;
und wer weiss, — vielleicht auch durch Eifersucht ....
Wer ergründet ein Sammlerherz? Und wer möchte,
wie Goethe sagt, mit ganz gereinigten Neigungen leben?
Selbst wenn man sich noch so sehr in der Zucht hat,
nichts gewaltsam fördert oder beschneidet, seine Eigen-
art nur lenkt, nicht beugt, — so dass der Sammler
und das Seinige einander immer ähnlicher werden, hat
man immer noch darüber zu wachen, dass einem nichts
bleibt worüber man hinausgewachsen ist, oder was sich
mit später erworbenem Besseren nicht verträgt, — kurz,
es ist für Stoffwechsel zu sorgen. — Aber wie bedäch-
tig, wie selbstkritisch! Denn du weisst aus eigener
Erfahrung, dass Porträts z. B. alle Tage ein anderes
Gesicht machen, freundlich oder zürnend; und ist dies
Selbsttäuschung: in wie vielen Fällen kann ähnliches
unbewusst vorkommen. — Dann erstaunt man wohl
gleich dem naivsten Neuling über den hohen Preis, in
dem zuweilen das Hässlichste steht, und bedenkt nicht,
dass man zu denen gehört, die Preise machen helfen;
dass im letzten Grunde doch unsere, der Kenner und
Sammler, Erkenntnis des Wertes, der Seltenheit, der
kunsthistorischen Wichtigkeit des betreffenden Meisters
oder Werkes den Masstab gibt für die dauernde oder
vorübergehende Bewertung; denn leider, auch an den

Moden in der Sammelwelt sind wir zum grossen Teil
Schuld.
K.: Ich höre dir lächelnd zu und freue mich, dass
wieder einmal Goethe eine Umkehrung erfährt: die
heimliche Tücke des Besitzers, der den Besucher sich
müde schwatzen lässt, übe jetzt ich, der Besucher.
S.: Boshaft! Aber wer weiss denn, wer von uns
Zweien jetzt der Besucher war ? Mir deucht, ich be-
suchte jetzt dich, denn ich suchte dich. Ich will von
dir etwas erfragen, aber du gibst ebensowenig Ant-
wort wie jene kleine Figur, die doch so geschwätzige
Augen hat.
K.: Noch weiss ich nicht, was du fragen wolltest,
aber ehe du fragst, bedenke, dass ein Sammler einen
Künstler fragen will, ein Conservativer einen Revo-
lutionär, einen Schöpfer neuer Werte —
S.: Oho, Liebster, nicht zu stolz. Auch wir
schaffen neue Werte, wenn wir alte Werte vor Zu-
fallsgefahren retten. — Aber zu meiner Frage: wie
könnte ich zeitweilig einmal aus meiner Sammlerhaut
herausfahren, um mir diese von aussen her eine zeit-
lang recht hübsch objectiv zu betrachten? Zu sehen,
ob sie keine Runzeln, keine Risse bekommen hat?
K.: — — Hm. Darauf könnte wohl nur Antwort
geben, wer genau wüsste, wie es in der Haut aussieht.
Da ich aber als productiver Mensch das Gegenteil
eines Sammlers bin, so kann ich nur in Gleichnissen
reden, die von meiner Kunst herstammen. —• Überleg
ich das nun recht, so könnte ich dir für jenes Experi-
ment nur empfehlen, — Copist in einer Galerie zu
werden. Denn Copieren und Sammeln : das sind stärkere
Gegensätze als Himmel und Hölle —
S. .* Und welches wäre hier der Himmel — ?
K.: Nicht so; höre zu. — Indem das Besitzen
nur Betrachten (im weitesten Sinne also Erkenntnis)
verlangt, dafür aber der Mühsal überhebt, technische
Arbeit zu verrichten, gibt das Besitzen stets anfangs
den Totaleindruck, nach und nach erst das Detail eines
Werks, eines Meisters ; das Copieren umgekehrt. Ferner:
der Copist muss andauernd betrachten, der Sammler
darf betrachten wann er will.
S.: Sehr klug; aber ist das dein Ernst, das Co-
pieren als Heilmittel ?
K.: Völlig.
S.: Sonderbar. —-
K.: Nicht so sonderbar, als du denkst. —
<S.; Nein; denn ich wollte sagen: sonderbar, dass
auch ich öfters schon mich auf dem Seufzer ertappt
habe: ich wollt, ich wäre Copist in — —
K.: — »ein kecker Ferge« — —
S.: Ah! »Ne faites pas d’esprit dans ce moment
supreme!« um mit einem Citat aufs Citat zu schlagen.
K.: Esprit ist eine Sprungstange, die uns über
den tiefen Graben trägt —
S.: Und wo läge hier der Abgrund, die Gefahr?
K.: Darin, dass du fremdes Schicksal dem eignen
vorziehst. Solche Wünsche sind immer verdächtig.
Was fehlt dir, dass du aus der Haut des Sammlers in
die des Künstlers, noch dazu des in bescheidenster,
beschränktester Arbeit tagelöhnernden Künstlers hinein-
fahren willst? — Und zuletzt, so probiere es doch;
du copierst dann eben nicht aus Zwang, sondern so-
lange es dir gefällt —
 
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