Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Voll, Karl: Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris, 1
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0044

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 30 —

ein Fortschritt in der Zeichnung gegenüber den Klas-
sicisten, vor allem aber welch ein reiches Leben nicht
nur in der allgemeinen Auffassung, sondern auch in den
einzelnen Bewegungen! Ein einziger kleiner oriental-
ischer Reiterkampf von Delacroix hat mehr Frische und
Feuer in sich, gibt mehr vom unruhevollen Geist der
Romantiker als alle die vielen monumentalen Schlachten-
bilder, die in jener Zeit verbrochen wurden. In dieser
reich belebten Erzählungskunst liegt überhaupt das
grosse Moment der älteren französischen Schule für
unsere Wertschätzung und ausserdem für die Beurteilung
ihrer historischen Stellung. Die technischen Errungen-
schaften der Maler in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
sind nicht unmittelbar aus technischen Studien hervor-
gegangen, wie man heute glaubt. Sie sind einerseits
auf dem Umwege der romantischen erzählenden Bilder
entstanden, die den vollen Ausdruck des Lebens ver-
langten, anderseits aus jenen Farbenproblemen, die das
Studium der älteren englischen Aquarellisten mit sich
gebracht hat. Die Bedeutung der Romantiker ruht in der
Zeichnung, sie haben Frankreich die charaktervollsten
Zeichner des ganzen Jahrhunderts gegeben: Gavarni
und Daumier. Gerade bei Daumier können wir das auf
der Centennale gut studieren. Es sind eine ganze Reihe
seiner gemalten Karikaturen da, aber wie sehr stehen
sie den Zeichnungen und Lithographien dieses eminenten
Beobachters an unmittelbar einleuchtender Wirkung nach.
Mehr oder weniger gilt das Gleiche von der ganzen
romantischen Richtung, sogar von den Landschaften der
Schule von Barbizon, selbst von Millet und Theodore
Rosseau. Die Romantiker haben der Kunst einen mensch-
lich bedeutenden Inhalt verliehen, das ist ihr unbestreit-
bares Verdienst und da dieser Inhalt eine künstlerische
Ausdrucksform erhalten hat, so bleibt ihr Verdienst für
immer unantastbar. Dieses soll nicht geschmälert werden,
wenn auch im Rahmen der Jahrhundertsausstellung kon-
statiert werden muss, dass rein malerisch genommen
die spät romantische Schule für ihre wichtigsten Auf-
gaben nicht das nötige Verständnis gehabt hat. Den
unbefangen und doch ernsthaft nachgebildeten farbigen
Wiederschein der Natur wollte sie nicht geben und es
mag damit Zusammenhängen, dass sie sich von dem
bunten englischen Aquarell so sehr hat beeinflussen
lassen. Sie suchte den Wert des Kolorits bald in phan-
tastischer Pracht der Farben, bald in düsterer Einfach-
heit des dunklen Tones und kam zu Resultaten, die
entweder so ausschliesslich auf Linie und Stimmung
gestellt sind wie Millets Landschaften, oder die sich so
ausschweifend in ganz unhaltbarem Farbenspiel und
Lichtergefunkel ergehen wie die Capricen des Diaz und
des Monticelli: wie dem nun sei, jedenfalls sind beide
Richtungen sehr einseitig und die Wahrheit lag in der
Mitte, von beiden gleich weit entfernt. Gerade die letzt-
genannten Künstler sind in der letzten Zeit zu grossem
Ansehen gelangt und sie zählen wenigstens in Deutsch-
land unter die sogenannten Modernen. Hierin liegt, be-
sonders was Monticelli anlangt, ein doppelter Wider-
spruch, erstens gegen die historische Wahrheit, zweitens
aber gegen das harte und ganz ungerechte Urteil über
Makart; denn man kann von den sehr charakteristischen
und in ihrer Art ausgezeichneten Bildern Monticellis in
der Centennale sich nicht verhehlen, dass er in Bezug auf
Farbe durchaus unserem Makart gleicht, nur dass er
sozusagen in Miniaturen die Probleme ausführte, für die

dem ungebundenen Geiste des Oesterreichers die grössten
Flächen kaum gross genug gewesen sind.
Drei Künstler jener Epoche stellten sich innerhalb
der Centennale so ganz anders dar, als sie gewöhnlich ge-
schildert werden, dass es wohl verlohnt, einige Worte
auf sie zu verwenden. Da ist zunächst Theodore Rousseau,
dem man die Ehre erweist, ihn immer in einem Atem
mit Millet zu nennen. Es sind meistens kleine Arbeiten
von ihm zu sehen, die aber doch für ihn sehr charakte-
ristisch sind. Wenn wir diese nun historisch nachprüfen,
fällt es uns sehr schwer, zu begreifen, warum man so
viel von der Originalität seiner Auffassung und der
fortschrittlichen Kühnheit seiner Bestrebungen reden
konnte. Heute kommen uns diese detaillierten und doch
nicht studierten Bäume vor, wie übermalte Radierungen
von Ruysdael. Das ist gewiss kein herabsetzendes Ur-
teil, aber es liegt in dieser Thatsache so viel, dass man
bei Rousseau eher vom retrospektiven, als vom fort-
schrittlichen Elemente sprechen sollte. Und gar Dupre
will uns, die wir uns der Landschaft mit verständnis-
voller Liebe hinzugeben gewohnt sind, gar nicht mehr
recht in den Kopf. Was an den obendrein etwas stereo-
typen Farbenspielen ehrliche aber seinerzeit kurzsichtige
Schwärmerei gewesen sein mag, erkennen wir nicht mehr
an, sowie wir ganz aufrichtig sein wollen, und wir scheiden
von der Schule von Barbizon mit dem fatalen Bewusst-
sein, dass diese Männer, die sich ihrer Kunst mit heiligem
Eifer ergeben hatten, doch nicht das befreiende Wort
finden konnten. Sie sassen im Freien und vergassen
doch nie das Atelierlicht. Was sie malten, waren Bilder,
oft sehr stimmungsvolle Bilder, aber es war nicht die
Natur, die von ihnen doch so sehr vergöttert wurde.
Corot aber, der Greis mit dem Herzen eines feu-
rigen Jünglings, gewinnt immer mehr. Schon die letzte
Jahrhundertausstellung hatte durch eine grosse Kollektion
seiner Gemälde ein besonderes Relief erhalten; aber
damals bemerkte man im wesentlichen doch nur die
Landschaften. Den Damenbildnissen gegenüber blieb
man etwas gleichgiltig. Diesmal verschiebt sich das
Schwergewicht. Einzelne der Landschaften allerdings
entzücken noch immer durch den reinen Ton, aber wir
haben doch wohl stets die Empfindung, dass diese lichte
Helligkeit nicht die kühle, energische Frische der Natur
ist. Ueberraschend wirken dagegen einige Damenbild-
nisse, besonders das des Mädchens im blauen Gewände
vom Jahre 1874. Hier ist in Wirklichkeit das neuzeitliche
Element, das wir fälschlicherweise von Stevens gefunden
glaubten. Was aber bei diesem trotz der scheinbaren
Eleganz derb und dabei doch puppenhaft ist, stellt sich
bei Corot als feine Empfindung dar und es scheint mir,
dass die Würdigung des liebenswürdigen Mannes später-
hin einmal nicht nur von Poesie und Duft sprechen wird,
sondern auch von klarem Blick für das Leben, das um
ihn in den Strassen und Gesellschaften von Paris flutete.
Die Entwickelung der Kunst geht nicht so gleich-
mässig vor sich, dass gewissermassen horizontale Schichten
fein säuberlich und eben übereinandergelegt werden,
bis endlich eine stolze Terrasse entsteht. Es gehen
vielmehr stets mehrere Strömungen gleichzeitig neben
und untereinander her, derart, dass die einen bald zur
Grund-, die andern bald zur Oberströmung zusammen-
fliessen. Es ist nicht mehr als Afterweisheit, wenn
man so recht hübsch die Leistungen der berühmten
Künstler der zweiten Periode, aus denen der berühmten
 
Annotationen