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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0530

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498

quente Individualisten auch für jede ihrer Hand-
lungen mit ihrer ganzen Persönlichkeit ein, „wie
der Vater für sein Kind“. So tritt auch in der
Karikatur „der Schöpfer neben sein Werk, der
Thäter neben seine That.“ Darum begegnen wir
von nun an auch in diesem Bereiche den Namen
der Künstler. Denn wie in den mittleren Zeiten
der Meister nach der Vollendung seines Werkes be-
scheiden wieder zurücktrat in die Allgemeinheit,
deren Gefühle Dolmetscher er ja lediglich sein wollte,
so tritt nun in den Zeiten der Renaissance der
Künstler stolz neben seine Schöpfung und drückt
ihr als dem Produkt seiner eigensten Empfindung,
seines eigensten Könnens mit seinem Namen den
Stempel seiner Persönlichkeit auf. Und welche
Künstlerindividualitäten treten uns in diesen Zeiten
auf dem Gebiete der gezeichneten Satire entgegen!
Leonardo da Vinci, Raffael, Titian, Caracci, Dürer,
Holbein, Hieronym. Bosch, Brueghel, Cranach, Callot
und selbst der grösste der Grossen — Michelangelo.
Jetzt wird die Karikatur selbständiges Kunstwerk;
sie konnte sich zu ausserordentlicher Höhe empor-
schwingen, „weil der Spott als legale Macht im
öffentlichen und gesellschaftlichen Leben anerkannt
war. Er bot einen der das Leben reicher ge-
staltenden Momente. Und wie der Italiener der
Renaissance sich in kritischen Situationen blitz-
schnell des Stilets bedient, so im gesellschaftlichen
Leben des Epigramms, im öffentlichen der Karikatur.
Aller drei Mittel aber zu demselben Zweck — den
Gegner zu vernichten.“
Die 2. Hälfte des Kapitels schildert in lebhaften
Farben die sittlichen Zustände der Hochrenaissance,
das Leben von Hof und Bürgerschaft in den
Tagen der Catharina von Medici und ihrer Söhne,
und giebt durch die Reproduktion einiger beson-
ders wichtigen Karikaturen jener Zeit eine treffliche
Charakterisirung dieser „bacchantischen Orgie, die
der grossen Entdeckung der Erde als der wahren
Heimat der Menschen folgte“ , dieses düsteren
Ausklangs des ersten Aktes der Geschichte der
modernen Menschheit. Auch „ihr satirischer Reflex“,
die Totentänze eines Holbein und Nikolaus Manuel
Deutsch, die das „mächtig und vernehmlich pochende
Gewissen der Zeit“, derZeit des grossen Sterbens,
der Pestepidemien und der ersten grässlichen Debüts
der Syphilis verkörpern — auch die Totentänze
hat der Autor in sein Bild aufgenommen, und mit
vollem Recht, stellen sie doch den grossen Stil
in der Karikatur jener Zeit dar. Das Kapitel
über gezeichnete Satire der Renaissance, dessen
Grundlinien ich hier naturgemäss nur ganz flüchtig
andeuten konnte, ist, wie bereits gesagt, eines
der interessantesten des ganzes Werkes und von
allen Freunden jener grossen Epoche der „Wiederge-
burt“ der europäischen Menschheit um so freudiger
zu begrüssen, weil es zum ersten Male eine der
wichtigsten Manifestationen des Geistes der Renais-
sance kritisch und genetisch untersucht und die
gewonnenen Resultate durch kunsthistorisch wie
kulturgeschichtlich gleich interessante Abbildungen
belegt. Während die grotesken und symbolistischen
Zerrbilder des Mittelalters schon oft Gegenstand

der kunstgeschichtlichen Forschung gewesen sind1),
war die Karikatur der Renaissance bisher noch nie
Gegenstand einer speziellen Studie; das hier be-
sprochene Werk hätte also schon durch dieses eine
Kapitel einen Anspruch auf allseitige Beachtung.
Ausserordentlich fesselnd, hervorragend in text-
licher, wie in Hinsicht auf das Bildermaterial ist so-
dann das Kapitel über die Karikatur im Dienste der
Reformation. Hat Fuchs mit üppiger Gestaltungskraft
die Rassemenschen der Renaissance in flüchtigen,
lebendigen Strichen zu charakterisieren gewusst,
so entrollt er jetzt ein eben so imposantes,.pittoreskes
Bild der Parteikämpfe der Reformationszeit. Die
interessanten, das Kapitel einleitenden Ausführungen
über Ursprung und Wesen der Reformation auch
nur zu streifen, fehlt mir hier der Raum. Ich kann
nur ganz flüchtig resümieren, was Fuchs über die
Rolle sagt, die der Karikatur damals zufiel: „Wenige
Führer grosser Volksbewegungen haben die Bedeut-
ung der. . . Wirkung der Karikatur so klar begriffen,
wie Luther. Er wusste, dass die Wunden, die sie
schlägt, die gefährlichsten für den Gegner sind, und
es besonders für den seinigen waren; er erkannte,
dass die volkstümliche Karikatur in erster Linie
dort ihre zerstörende Wirkung äussert, wo alte,
ehrwürdige Institutionen immer ihren Hauptstütz-
punkt haben, in dem Ansehen und der Ehrfurcht
bei den Massen. Und Luther wusste auch die
Konsequenz aus dieser Erkenntnis zu ziehen: offen
forderte er in einer Schrift aus dem Jahre 1526 seine
Anhänger auf, „das edle Götzengeschlecht des
Antichrists“ auch mit Malen anzugreifen; man
müsse „den Dreck, der so gern stinken wolle,
weidlich rühren bis sie Maul und Nasen voll kriegen:
unselig sei, der hie faul ist, weil er weiss, das er
Gott einen Dienst daran thut.“ — Dieser Auffor-
derung Luthers wurde eifrig entsprochen, die Kari-
katur damit offiziell zum Kampfmittel erhoben, zum
erstenmal in den Dienst einer Volksbewegung ge-
stellt. Dazu kam, dass die Karikatur in jenen
Tagen eine ganz besondere Mission zu erfüllen
hatte: „Die Karikatur hatte alle diejenigen in ihrer
Stellungnahme bei den Kämpfen zu bestimmen,
die dem geschriebenen und gedruckten Wort absolut
unzugänglich waren: die grosse Masse des nicht
lesen könnenden Bauernstandes. Das heisst: die
Karikatur war in der Reformation ge-
genüber dem grössten Teil desVolkes
das einzige neben dem gesprochenen
Wort mögliche Agitations mittel. Und
gerade diese Aufgabe hat die Karikatur erschöpfend
gelöst. Nichts belegt dies treffender, als das, was
Luther bereits am 2. Juni 1525 an den Erzbischof
Albrecht von Mainz schreiben konnte: „Der gemeine
Mann ist nun so weit berichtet und in Verstand
kommen, wie der geistliche Stand Nichts sei: an
alle Wände malete man auf allerlei Zettel, zuletzt
auch auf den Kartenspielen, Pfaffen und Mönche“,
darum ist es „gleich ein Ekel worden, wo man
eine geistliche Person sieht oder hört.“ Das war
*) Vorzüglich ist hier immer noch was die gelehrten Benediktiner
C. Cahier und A. Martin in dem Abschnitt Curiosites mysterieuses ihrer
Nouv’eaux mdlanges d’archeologie et de litterature sur le moyen-äge in
Wort und Bild gegeben haben.
 
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