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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0531

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gewissermassen das äusserliche Ziel der Refor-
mation, die Karikatur hat dahin geführt.“
Das folgende Kapitel ist der Karikatur Hollands
gewidmet, „der bürgerlichen Insel der Freiheit in-
mitten eines von selbstherrlichen Leidenschaften
durchwühlten Ozeans.“ Fuchs erörtert in ein-
gehender Weise die Entwicklung der holländischen
politischen Karikatur, sie bedeutet eine wichtige
Episode der Gesamtgeschichte der gezeichneten
Satire, da wir hier zuerst das karikierte persönliche
Portrait und die erste politisch-satirische Zeitschrift
finden. Die gesellschaftliche Karikatur ist dagegen
nur ganz aphoristisch gestreift. Das ist sehr zu be-
klagen und es ist zu wünschen, dass der Autor bei
einer neuen Auflage, dieses Kapitel erweitere (event.
auf Kosten des Abschnittes über Hogarth), die Ent-
wicklung der gesellschaftlichen Satire aus dem nieder-
ländischen Sittenbild in der gleichen oder doch an-
nähernd gleichen Ausführlichkeit darstelle wie die der
politischen Karikatur Hollands. Das in Rede stehende
Kapitel bekundet so genaue Kenntnis der damaligen
holländischen Zustände, dass Fuchs leicht eine
kurze Charakterisierung der gleichzeitigen Posse
und Komödie zum Ausgangspunkt machen kann
für eine Würdigung des derben Humors, der komi-
schen Charakterfiguren, denen wir in den Gemälden
des Franz Hals und der von ihm beeinflussten
Schüler und Meister immer und immer wieder be-
gegnen. Namentlich verdiente auch der launige,
sarkastische Humor, mit dem Jan Steen die ver-
schiedensten Stände zu geisseln verstanden hat, eine
eingehendere Erwähnung. Auch Adriaan van Ostade
möchte ich nicht missen, sind seine Bauern
doch typischer und, wie bereits W. Bode betont,
mehr Karikaturen als die Gestalten des Adriaan
Brouwer. Von Dusarts Meisterhand möchte ich
nicht nur die ihm zugeschriebenen, von I. Gole
verlegten politischen Karikaturen, sondern auch die
für sein Können weit charakteristischeren stark kari-
kirten bäuerischen Typen vertreten finden; und als
letzter, schon dem Verfall angehörender könnte
vielleicht noch Nicolaus van Haeften erwähnt
werden. Ueberhaupt würde ich die gesellschaft-
liche Satire vor der politischen behandeln, denn
letztere gehört doch mehr der Zeit des Verfalls
an, der Zeit, da Holland mehr und mehr in be-
häbiges Philistertum und kleinlichen Eigennutz
verfiel und schon immer mehr sich von England
überflügeln liess.
Das nächste Kapitelbeschäftigt sich mitder „Geburt
der modernen gesellschaftlichen Karikatur,“ d. h. mit
Hogarth. Auch hier ist der Autor mit anerkennens-
wertem Eifer bestrebt, den Künstler in den Rahmen
seinerzeit zu stellen,ihn uns auf dieseWeise begreiflich,
verständlich zu machen. Das ist gerade bei Hogarth
keine leichte Aufgabe. Um eine pragmatische Er-
läuterung der Hogarth’schen Kupfer geben zu
können, musste der Autor zurückgreifen auf die
übertriebene Sittenstrenge der Tage des grossen
Lord-Protektors, auf das England der Puritaner.
Dann musste er die Reaktion schildern, die mit
der Ablösung des puritanischen Regiments, mit der
Restauration Karls II. naturgemäss eintreten musste.
Die Polhöhe der jetzigen Ausschweifungen ent-

sprach genau jener des einstigen „gottgefälligen“
Wandels. „Aber es waren nicht die Ausschweifungen
eines Uebersättigten, die nun jählings ans Tages-
licht traten, sondern die Saturnalien eines Hung-
rigen, die Orgien des Plebejers, dessen Tisch plötz-
lich mit einem Schwelgermahl bedeckt war. Der
Parvenü unter den Klassen tobte sich aus. Ob es
den Gebrauch seiner Sinne unter dem düstern
Puritanerregiment bewahrt hatte, das wollte das Volk
erproben, und es missbrauchte sie. Jede Einzelheit
dieses Bildes, von welcher Seite man es auch an-
schaut, ist schauerlich und Entsetzen erregend.
Ganz London wimmelte von Taschendieben, Falsch-
spielern, Mädchenfängern und Strassenräubern. Die
Hazardspiele erreichten eine schwindelhafte Höhe.
Nabobs, die in Indien reich geworden, errichteten
orientalische Harems. Ob sich das Leben öffent-
lich oder privat vollzog, immer war es mit dem
Schmutz der Gosse bedeckt. Das Hauptvergnügen
des Volkes, das Theater, war eine einzige Kloake.
. . . Von der schmutzigen Hefe des Volkes bis
hinauf zu den Höhen der Gesellschaft ist das Bild
dasselbe. Auch hier war, wie Macaulay schreibt,
ausschweifende Zügellosigkeit die natürliche Folge
naturwidriger Strenge. . . . Mit der Sinnlichkeit
geht immer die Grausamkeit Hand in Hand. . .
Von der Unversöhnlichkeit feindlicher Faktionen
können wir uns kaum eine Vorstellung machen;
Whigs murrten, weil man duldete, dass Stafford
sterbe, ohne gesehen zu haben, wie seine Einge-
weide vor seinen Augen verbrannt würden. Eben-
sowenig Erbarmen bewies das Volk gegen die
Dulder von geringerem Rang. Wenn der Ver-
brecher an den Pranger gestellt ward, konnte er
von Glück sagen, wenn er unter einem Schauer
von Ziegelstücken und Pflastersteinen sein Leben
rettete. Gentlemen unternahmen an Gerichtstagen
Vergnügungstouren nach Bridewell, um zu sehen,
wie die schlechten Weiber, welche Hanf krazten,
„gestäupt werden.“ etc. etc. Diese wenigen Citate
mögen genügen, die detaillierte Schilderung zu
charakterisieren, die Fuchs auf 6 Seiten den Zu-
ständen widmet, die die sittliche Reaktion hervor-
riefen, aus der heraus die moderne gesellschaft-
liche Satire geboren wurde. „Das durch die Um-
wälzungen des 17. Jahrhunderts zur Herrschaft
berufene neue Menschengeschlecht musste erzogen
werden, wollte es seine Herrscherrechte dauernd
ausüben“ . . . Aber diese Erziehung musste aus
sich selbst heraus erfolgen. „Ein freies Land
kann nicht mehr durch polizeiliche
Massregeln die wilde Flut des ent-
fesselten Volksgeistes eindämmen.
Auf pädagogischem Wege musste die
Besserung erzielt werden.“ „An dieser
Aufgabe der Erziehung sollte alles mitarbeiten,
Litteratur, Theater, Wissenschaft und Kunst. Und
in der That arbeitete alles mit. Alles wurde zur
Moralpredigt: der Roman, das Lehrbuch, die
Zeitung, das Theaterstück, das Bild.“ . . . Aber nur
einer war da, „der die Forderung derZeit, die Kunst
mit erzieherischem Inhalte zu füllen, zu lösen ver-
mochte“: William Hogarth. Die nun folgende um-
fassende Charakteristik der Hogarth’schen Schöpf-

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