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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Bassermann-Jordan, Ernst von: Hundert Jahre altbayerischer Kunstgeschichte: Resumé des Inhalts eines soeben erschienen Werkes: Die dekorative Malerei der Renaissance am bayerischen Hofe
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0102

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88

seinem heutigen Zustande als zerstört bezeichnet werden.
Nach 1602 beginnt Candid eine umfassende Thätigkeit
für den herzoglichen Hof. In den nächsten Jahren
entstehen die Gobelinentwürfe, von denen die Zeich-
nungen für die Wittelsbacher Gobelins eher etwas
früher, gegen 1600, vollendet zu sein scheinen. Die
Gobelinentwürfe (vgl. Manfred Meyer, Geschichte der
Wandteppichfabrikation des wittelsbachischen Fürsten-
hauses. 1892) gehören zu den wichtigsten Arbeiten
unseres Künstlers. Auch der 1604 errichtete Benno-
bogen in der Frauenkirche ist hier zu erwähnen, dessen
noch erhaltene Reste der malerischen Ausschmückung
(Bayer. Nationalmuseum) Arbeiten aus der Werkstatt
Candids sind. Bei der Ausstattung der Trierzimmer der
Residenz (1612) verwendet Candid das venetianische De-
corationsprincip bei Herstellung der Plafonds: unter der
Decke ein Fries mit eingelassenen kleinen Gemälden,
die Decke selbst dunkel gebeizt, stellenweise vergoldet
und durch grosse Gemälde belebt. Bei diesen Ge-
mälden beobachtet Candid stets eine originelle Behand-
lung der Untersicht. Er malt nicht Deckenbilder im
eigentlichen Sinne, wie die gleichzeitigen und etwas
früheren Venetianer thaten. Seine Figuren sind Staffelei-
bilder, auf denen die dargestellten Figuren etc. wie
auf Galeriehöhe gehoben erscheinen, sodass zwar Con-
cessionen an die Untersicht gemacht, aber keinerlei
Augentäuschungen angestrebt werden. Auch sonst
besteht ein grosser Unterschied zwischen den Candid-
schen und jenen venetianischen Malereien, die dafür
in der Idee als Vorbild dienten. Das venetianische
Deckengemälde ist nicht um seiner selbst willen, son-
dern lediglich zur Ausschmückung des Raumes da,
mit dem es ein geschlossenes Ganzes bilden soll.
Dem entsprechend ist auch das Dargestellte auf den
venetianischen Deckengemälden ziemlich indifferent.
Candids allegorische Deckengemälde, schwer im Sujet,
und jedes einzelne ein Wert für sich, beanspruchen eine
eingehende Betrachtung, jedes von einem eigenen Stand-
ort aus. So ist das Deckenprincip in beiden Fällen
scheinbar dasselbe, in Wirklichkeit aber besteht ein
grosser Unterschied. Wir haben in den Candid’schen
Räumen eine Vereinigung des venetianischen decora-
tiven Systems mit florentinisch-deutschem, lehrhaftem
Wesen. Die Steinzimmer sind im System ihrer Aus-
stattung mit den Trierzimmern eng verwandt, an der
Decke sind ähnliche Gedankenmalereien angebracht,
im Fries einzelnes vergoldet; Gemälde sind darin
meist nicht eingelassen. Auch die Decoration des
Kaisersaales schliesst sich hier an und bietet im
Wesentlichen nichts Neues. Die Ausstattung der
Gänge und Treppenhäuser dagegen, die unter Candid’s

Einfluss und von seinen Schülern zum Teil nach seinen
Skizzen ausgemalt wurden, zeigt eine gemeinsame
Verwendung von Malerei und Stuckplastik. Auch
dieses Decorationsprincip ist italienisch und hat zahl-
lose Parallelen in Italien selbst. Ungefähr in derselben
Zeit entstanden die Entwürfe zu den Gemälden für
die Decke des »Goldenen Saales« im Rathause zu
Augsburg und zu dem grossen Altäre, den Kurfürst
Maximilian für die Frauenkirche schaffen liess. Es
sind dies die letzten grösseren Arbeiten Candids, von
denen wir hören. Nach 1620 scheinen die Kräfte
des mehr als siebenzigjährigen Meisters rasch abgenom-
men zu haben, seine Schrift wird kraftloser und immer
zitteriger, und im Jahre 1624 wurde er arbeitsunfähig
und scheint sich nicht mehr erholt zu haben. Am
Anfänge des Jahres 1628 ist Candid in München ge-
storben und mit ihm trug man die Renaissancemalerei
zu Grabe, deren Character er für München mehr als
zwanzig Jahre lang bestimmt und die er zu einer macht-
vollen Entwickelung und zu einer glänzenden Ent-
faltung gebracht hatte.
Ein Stillstand war eingetreten in der vom Hofe
abhängigen Kunstproduction. Maximilian I. hatte seine
geplanten Bauten beendigt, weitere zu beginnen hin-
derte ihn der grosse Krieg, der dreissigjährige Kampf,
der auch Altbayern wie ein schweres Unwetter heim-
suchte, das vieles vernichtete, was noch in geschlos-
sener Knospe lag und für Kultur und Kunst eine
schöne Entwickelung versprach. Als nach dem Kriege
die Verhältnisse sich wieder zu festigen begannen,
traten unter dem Einfluss der Gegenreformation andere
künstlerische Strömungen auf, die für Bayern den Sieg
des italienischen Barocks bedeuten, das unter Kurfürst
Ferdinand-Maria seinen Einzug hielt.
Das ist im grossen und ganzen das Gesammtbild
der Entwicklung der dekorativen Malerei am bayer-
ischen Hofe der Renaissance-Zeit. Ich musste mich
beim Aufreissen dieser Skizze auf Erwähnung des
Allerwichtigsten beschränken, viele der interessantesten
Untersuchungen übergehen (hingewiesen sei hier nur
auf die eingehenden Mitteilungen übei' die Technik
der besprochenen Malereien), viele der geistreichsten
Anregungen, stilkritische Parallelen ignorieren. Als
Aequivalent habe ich das Bild der in dem Buche
geschilderten Entwicklung durch wörtliche Citate, die
durch nur kleine Einschiebungen mit einander ver-
bunden wurden, zusammengesetzt, somit der klaren,
haushälterischen, alle Weitschweifigkeiten meidenden
Sprache des Autors den weitesten Raum einge-
räumt. G. K.
 
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