Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

DOI issue:
Nr. 2
DOI article:
Bassermann-Jordan, Ernst von: Hundert Jahre altbayerischer Kunstgeschichte: Resumé des Inhalts eines soeben erschienen Werkes: Die dekorative Malerei der Renaissance am bayerischen Hofe
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0101

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
87

setzen. So sehr uns die Frauengestalten italienisch
anmuten, so deutsch und so naturalistisch sind die
bogenschiessenden Männer. Manche feinen Züge von
grosser Gefühlstiefe enthält das Bild, die mit dem
Schlagworte »Manierismus« nicht erklärt und nicht
beseitigt werden können. Gegen Ende der achtziger
Jahre ist Candid in der Grottenballe der Residenz
mit einigen geborenen Italienern als ausführender
Künstler Sustris’scher Entwürfe thätig. Kurz darauf
sehen wir ihn vollkommen selbständig mit mehreren
Schülern an den Allegorien im Antiquarium arbeiten.
Es ist seine Aufgabe, in dem grossen Raum, dessen
gesammte Decoration alles Characteristische Sustris-
scher Kunstweise bietet und dessen ornamentale
Malereien und Stuckierungen von Ponzano und seinen
Gehilfen ausgeführt waren, den Hauptschmuck des
Gewölbes zu schaffen. Diese Bilder zeigen alles für
Candids Kunst Bemerkenswerthe. Die abstrakte Ge-
dankenmalerei liegt im Character der Zeit begründet.

(Müntz II p. 58; III, 95 ff.) Die Haltung der Figuren,
ihr kontrapostisches Sitzen, das Streben der Kompo-
sition nach absoluter Schönheit ist italienisch und
mahnt an die Vasari-Schule und ihre Ziele. Aber
alle Einzelheiten in ihrer liebevollen Durchbildung,
das unverkennbare, eifrige Naturstudium machen uns
die Bilder und ihren Meister interessant. 1590 wurde
Candid, wohl in Anbetracht der grossen Schulden-
last des Staates »beurlaubt«, blieb aber mit dem
Herzog in steter Verbindung und bezog einen ver-
minderten Gehalt aus dessen Privatschatulle. Erst
1602 wurde er wieder angestellt und scheint während
der Zwischenzeit München nicht verlassen, sondern
für den Herzog und für Private angestrengt gearbeitet
zu haben. Auch die Ausführung der Allegorien im
Antiquarium ist in diese Zeit zu setzen. Candids
künstlerische Entwickelung ist unterdessen rasch und
bedeutend fortgeschritten. Durch grosse Aufträge
nicht in Anspruch genommen, hat sich der Meister


Studie zur hl. Familie bei den Kapuzinern in’München.
Handzeichnung von Candid, weiss gehöht. (München, Kupferstichkabinet.)
Aus: E. Bassermann-Jordan, Die decorative Malerei der Renaissance am bayerischen Hofe.

in Naturstudien und in die liebevolle Ausführung von
einzelnen Tafelbildern vertieft und so die gediegene
Grundlage für sein späteres umfassendes Schaffen
gelegt. Sein Stil, früher enger an die eigentlichen
sogenannten Manieristen in Italien sich anlehnend
und Golzius’ und Sustris’ Art noch näher stehend
durch gezwungene Gewandbehandlung und affectierte
Gesten, gewinnt mehr und mehr an deutsch-nieder-
ländischen , naturalistischen Elementen, sowie an
geistiger Vertiefung; die Gewandbehandlung wird
seidig und gelangt zu grossen, ruhigen Gesammtzügen.
Candid hat eine Entwicklung durchgemacht, zu der
Golzius und andere verwandte Künstler, die unter

denselben Bedingungen gross geworden, nicht fort-
geschritten sind. Candid ist in seinen Entwürfen nie
flüchtig gewesen, wie seine Handzeichnungen be-
weisen. Das interessanteste Stück ist die hier repro-
ducierte meisterhafte Studie zur hl. Familie bei den
Kapuzinern in München. Mit grösster Gewissen-
haftigkeit hat Candid zu einzelnen Teilen des Bildes
Studien nach der Natur gemacht. Die Figur der
Maria und des Kindes ist in engster Anlehnung
an Andrea del Sartos Madonna del Sacco gezeichnet.
Das Candid’sche Originalgemälde bei den Kapu-
zinern ist in den fünfziger Jahren des XIX. Jahr-
hunderts fast ganz übermalt worden und muss in

7
 
Annotationen