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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 2
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Voll, Karl: Die Jahrhundertausstellung der französischen Malerei in Paris, 2
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8o

stillen Ernst der gesamten Harmonie. Aber so gerne
wir ihnen folgen: ein Umstand bleibt bedenklich. Mehr
als in irgend einer Schule scheint hier das Programm
und System über die persönliche Stimmung zu herrschen.
Es ist das vielleicht die einzige Schwäche, die der
Referent an ihnen findet, aber er leugnet nicht, dass
diese Schwäche sehr gefährlich werden kann.
Der Glanzpunkt der Centennale war nach häufig ge-
äusserter Meinung die Abteilung der Werke des Eduard
Manet, die unter denen der Impressionisten hingen. In
der That werden auch Viele froh gewesen sein, den
jetzt vergötterten Künstler so zahlreich vertreten zu
finden. Obwohl nun berühmte Arbeiten wie das Früh-
stück im Freien ausgestellt waren, kann die Auswahl
nicht als sehr glücklich bezeichnet werden; immerhin
erlaubt das vorhandene Material ein allgemeines Urteil
über Manet. So allgemein dieses aber auch sein mag,
es wird stets sehr kompliciert sein; denn Manets künst-
lerisches Wesen ist keine organisch aus dem Inneren
herausgestaltete Einheit, die mehr oder weniger har-
monisch gewesen sei; es gehen hier vielmehr Vorzüge
und offenkundige Fehler nebeneinander her, so dass
auch das objektivste Urteil mitunter in Verlegenheit
kommen kann. Seine Anfänge liegen in der Nach-
ahmung dunkler Barockbilder wie des Ribera und er
hat in dieser Hinsicht manchen Zug mit Ribot gemein-
sam. Aber bald gab er sich einem dreifachen Einfluss
von alten Meistern zu eigen, indem er sich an Velaz-
quez und Goya sowie an die alten Japaner anschloss;
darein verwebte er dann Züge von Cezanne und suchte
das Pleinair zu gestalten, von dem in den Kreisen der
jüngeren Künstler damals viel die Rede war. Diese
Mischung konnte unmöglich zu etwas ganz Abgeklärtem
führen, aber sie musste doch notwendig etwas Neues
ergeben. So mannichfaltig die Vorbilder waren, bei
denen Manet Aufklärung und Anregung suchte, so
hatten sie alle das, was er von Anfang an wollte: eine
äusserst pikante und dabei sehr leistungsfähige Technik.
Was rein malerischer Geschmack bedeutet, hatte man
fast ganz vergessen und es ist dem graziösen Künstler-
geiste Manets zu danken, dass dieses höchst wichtige
Moment wieder in unsere Malerei eingeführt worden
ist. Die Gründlichkeit in Aufsuchung und Durchführung
der Probleme, die wir heutigentags verlangen, kannte
er wohl noch nicht; aber für seine Zeit war er unge-
heuer ehrlich, und wenn wir an seine altmeisterlichen
Anfänge denken, so können wir nicht umhin, seine
weitere Entwickelung aus einer relativ sehr hohen
künstlerischen Unbefangenheit und Rücksichtslosigkeit
zu erklären. Er ging auf Klarheit aus und vermied
alle bequemen Hilfsmittel, die mit Verduselung und
Verdunkelung arbeiten. Dadurch brachte er seine
Kunst weit vorwärts; denn auch hier muss dem
Lichte jeder falsche Effekt weichen. Seine Stärke war
übrigens nicht allein der malerische Geschmack im
engeren Sinn des Werkes, sondern überhaupt die ele-
gante Behandlung jedes Einzelfalles. Je einfacher ein
Problem war, desto weiter kam auch er, so dass seine
Stilleben schlechterdings zu den vollkommensten Lei-
stungen der gesamten Malerei gehören; schwieriger war
schon die Landschaft und wenn er auch Marinen von
äusserster Eleganz geschaffen hat, so fehlte ihm gerade
in der eigentlichen Landschaft die Fähigkeit, sich von
Goya und den Japanern zu trennen. Es kam da gerne

etwas vom Gobelinstil heraus und wirkliche Pleinair-
stimmung, die er doch anzustreben glaubte, kam wohl nie
hinein. Darin liegt eben der folgenschwere Irrtum, dass
er glaubte, moderne Raumkunst verbinden zu können mit
dem flächenhaften, häufig nur auf Silhouette berechneten
Stil des Goya und der Japaner. Besonders beim Figuren-
bild kam er da nicht selten zu wunderlichen Ungereimt-
heiten. Seine Köpfe sind fast stets leer und puppen-
haft, fähig den Eindruck seiner schönsten Bilder schwer
zu schädigen und auch in den Gestalten selbst muss
uns oft der Reiz der ausserordentlich leichten und treff-
sicheren Zeichnung, mehr noch aber die Originalität
des lebensvollen Arrangements über den Mangel an
plastischer Modellierung weghelfen. Das Flächenhafte
seiner Modellierung empfinden wir ja deswegen als
einen Mangel, weil es durchaus nicht in seinem Grund-
prinzip gelegen ist. Er hätte gerne den vollen Wieder-
schein des Lebens geben wollen, aber gelangte selten
dazu; und wir stehen eben auch bei ihm ziemlich oft
vor ungelösten Problemen. Das aber wirkt immer
störend. Wie gross oder klein jedoch seine Fehler
gewesen sein mögen, so war seine Erscheinung eine
wahre Wohlthat; denn es lag gerade in Frankreich,
wo die virtuose Beherrschung der Technik gerne zum
Gegenteil von Kunst führt, viel daran, dass ein so
eminenter 'J'echniker wie Manet einer gewesen ist, auch
bis in jede Faser seines Empfindens Künstler war und
blieb. So viel er auch unvollendet zurückgelassen hat,
war seine Wirksamkeit, von diesem Standpunkt aus ge-
sehen, äusserst segensreich und darum soll hier nicht
gegen jene polemisiert werden, die in der Manet-Ab-
teilung den Glanzpunkt der Ausstellung sahen.
Alle Wege führen nach Rom. Ein schlagendes
Beispiel hiefür bilden zwei lebensgrosse Künstlerporträts,
von denen das eine eben von Manet herrührt, das
andere aber von Carriere gemalt ist. Man kann sich
doch wohl keinen grösseren Gegensatz als diese beiden
Maler denken und man sollte auch glauben, dass Carriere
niemals im Stande wäre, sich auf gleichem Boden mit
Manet um den Preis der drastischen Wirkung zu be-
werben. Und doch hat er es gethan, mehr noch als
das, er hat den Preis davon getragen. Von Manet war
das im Anschluss an Velazquez gemalte Bildnis des
Stechers Desboutin und von Carriere das des Bildhauers
Devillez ausgestellt. Beide wollen einen möglichst realen
Eindruck hervorbringen. Wenn man aber bei Manet ein
wenig beunruhigt über die ungemeine Geschicklichkeit
mehr staunt als sich der erreichten Wirkung freut, so
tauchen aus Carrieres kapriciösem Dunkel die Formen
seines Freundes so wahr und sprechend hervor, dass
die Aufgabe, ein geistig bewegtes und bewegendes Bildnis
zu schaffen, über dem des Künstlers Thätigkeit ver-
gessen werde, bei ihm wesentlich besser gelöst erscheint.
Der Gegensatz zwischen den Beiden wird noch
frappanter, wenn wir an die derbe Plastik Bonnats
denken und wenn wir bei der Aufzählung der Gegen-
sätze bleiben, so ist zwischen Bonnats Madonna und
Puvis de Chavannes antiken Visionen beinahe gar keine
zeitliche Verbindung denkbar.
So überrascht uns die Centennale durch die Fülle
der Verschiedenheiten und als schönste Lehre für das
praktische Kunstleben gibt sie uns das Prinzip der
Neutralität.
 
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