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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 4
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Halm, M.: Nikolaus Gysis
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0213

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186

Studium. Wer vermag zu schätzen, wie unendlich viele
Skizzen und Studien für eine einzige Figur oft auf
das Papier geworfen wurden, bis sie seinem kritischen
Auge genügte. Ein einziges Mal nur scheint Gysis sich
wiederholt zu haben in der »Wallfahrt«, aber er scheint
es eben nur. Welch’ verschiedene Stimmungen erzielt
er mit der verschiedenartigen Färbung des heraufdäm-
mernden nächtlichen Himmels! Es ist ihm ein neues
Problem, das Thema in veränderter Beleuchtung zu
wiederholen; dass er die Komposition wiederholt, ist
das Nebensächlichste.
Bei der zweiten Gruppe seiner Bilder fragen wir
uns viel mehr wie bei der ersten, ob der Künstler, ob
der Denker in Gysis’ Natur überwog und fast ist man
geneigt, an das letztere zu glauben. Ich meine an seine
Allegorien. Ich versuchte schon einmal an anderer
Stelle (»Kunst und Handwerk« Jahrg. 48 Heft 1), diese
Seite des Künstlers zu beleuchten. Ich kann mich hier
kurz fassen, wenn ich wiederhole, was ich dort sagte :
»In den allegorischen Entwürfen von N. Gysis liegt ein
tiefer Sinn, zu dessen Ergründung es nur eines an-
dächtigen, ruhig überlegenden Beschauens bedarf. Von
der grübelnden Mystik des Mittelalters, von den rätsel-
haft symbolischen Malereien, wie sie vielfach die Fresco-
maler des 18. Jahrhunderts als Beiwerk der Hauptbilder
beliebten, gleichweit entfernt wie von den platten, immer
und immer das Gleiche bietenden Allegorien der Neu-
zeit sind Gysis’ Schöpfungen in ihrer Idee durchaus ab-
geklärte Kompositionen, die ihre tiefen Gedanken offen
und klar aussprechen, ohne auch nur einmal in das
Alltägliche, Konventionelle zu verfallen. Das ist es
auch, was diesen Kompositionen etwas vom ewig Jungen,
ewig Neuen verleiht.« Man kann sich dank der ewigen,
in den Attributen gleichmässigen Wiederholungen eine
moderne Allegorie kaum anders als mit dem Gefühle
der Langeweile vorstellen, mag sie noch so interessant
gemalt sein; bei einer Allegorie interessiert aber in
erster Linie doch zuerst das Was, der Gedanke; er
verdaut, er wird uns gleichgültig, wenn wir das ewige
Einerlei immer wiederholt sehen. Deshalb wich Gysis,
so schwer sich auch dadurch oft die Aufgabe gestalten
mochte, dem Altherkömmlichen aus. Wie einfach und
fein charakterisiert er durch den Armschmuck Ge-
werbe, Kunst und Industrie auf seinem letzten grösseren
Werk, der »Apotheose der Bavaria«, die er im Staats-
auftrage für das bayerische Gewerbemuseum in Nürn-
berg malte, wie schildert er sinnig durch die beäugten
Federn der Flügel eines Genius dessen Umsichtigkeit
auf einem Titel für »Über Land und Meer«; wie
trefflich verkörpert — um an etwas Allbekanntes zu
erinnern — sein Plakat für die VI. internationale Kunst-
ausstellung die Verbindung der Stadt München mit der
Kunst. Dieses Plakat führt uns zu einem neuen Punkte
in Gysis’ Schaffen, zu seiner Thätigkeit auf dem Gebiete
der dekorativen Kunst. Er war einer der Ersten, die
die hohe Kunst nicht zu schmähen glaubten, wenn sie
dieselbe als Dienerin zu irgend einem dekorativen Zwecke
heranzogen. Freilich war es auch hier wieder die edle
Art, wie Gysis Kunst und dekorative Kunst miteinander
verband, die uns den Beifall für die neuen Gebilde ab-
rang. Auch hier begnügt er sich nicht mit billigen
Erfindungen und Lösungen, am bescheidensten Plakate
von ihm empfindet man den gleichen Ernst wie am
bedeutendsten Gemälde. Entwürfe, wie jene für ein

Plakat für eine photomechanische Kunstanstalt, sind, ob-
wohl kaum grösser als ein Quartblatt, von geradezu
monumentaler Grösse.
Und diese seine dekorativen Entwürfe sind es auch,
die uns am ehesten enthüllen, dass Gysis einem klassi-
schen Lande entstammte. Jene zart einherschwebenden,
wie vom Windhauch getragenen Frauengestalten, seine
markigen hoheitsvollen Männerfiguren haben etwas von
jenen Wunderwesen, die, durch Phidias’ und seiner
Schulgenossen Hände entstanden, des Parthenons Giebel
und Friese belebten. Ist etwa seine »Nike von Psära«,
seine »Harmonie« (ein Gedenkblatt für die Pianoforte-
fabrik Rud. Ibach Sohn) etwa weniger von antikem
Geiste erfüllt als antike Schöpfungen selbst? Am vollen-
detsten freilich spricht sich sein hellenisches Fühlen
und Denken in dem Diplom für die internationalen
olympischen Spiele in Athen (1896) aus. Wie zart
und doch wie sehnsüchtig gab er hier in dem sinnenden
Schutzgeist der Stadt, in der mit dem Lorbeer nahen-
den Nike und in dem der Glut entsteigenden Phönix
dem Wunsche Ausdruck, es möchte aufs Neue die
goldene Zeit für Stadt und Land wiederkehren.
Wenn ich oben einen Vergleich zwischen den Ge-
stalten Gysis’ und antiken Schöpfungen gezogen, so
wollte ich damit zugleich auf das plastische Empfinden
des Künstlers hinweisen, das gerade auch in seinen
dekorativen Kompositionen eine wesentliche Rolle spielt.
Ich habe schon an anderem Orte (s. o.) auf den Relief-
stil Gysis’ hingezeigt und kann auch hier mich darauf
beschränken, einerseits auf die Möglichkeit hinzuweisen,
wie leicht sich die dekorativen Kompositionen Gysis’
direkt in die Plastik übersetzen lassen und andererseits
auf das Faktum, dass bereits zwei kleinplastische Ar-
beiten, zwei Medaillen nach Entwürfen des Meisters
hergestellt wurden.
Mit der Betonung dieses Reliefstils soll aber in
keiner Weise der Gedanke erweckt werden, als habe
Gysis weniger malerisches Empfinden besessen. Um
das Gegenteil zu zeigen, bedürfte es nur des Hinweises
auf einige seiner anspruchslosesten Werke, einiger Still-
leben, die gerade nur der Freude an farbigen Effekten
und Reizen ihre Entstehung verdanken, wie sein be-
kannter' » Mohnstrauss <? oder der »Truthahn«. Sein
Bestes, ja Unübertreffliches im Malerischen überhaupt,
hat er wohl in seiner »Frühlingssymphonie« geleistet.
Das Erwachen des Frühlings und seiner Kinder, die
Wärme des neuen Lebens, das Klingen und Singen im
Grün der Erde und im Silbergrau der Luft, all das
scheinen wir mitzufühlen und zu empfinden.
Schönes, unendlich Schönes, nicht nur Bestechendes,
das ja vor dem Schritt der Zeit nicht Stand hält, hat uns
der Schlummernde hinterlassen und was hätte er uns
noch gegeben, wäre ihm nicht schon so früh der Griffel
entwunden worden! Einen erhabenen gewaltigen Ent-
wurf, einen Triumph des Kreuzes, um nur eines zu
nennen, lässt er uns als Riesentorso zurück. Dürfen
wir dem Allgebietenden zürnen, dass er uns den Meister
schon jetzt genommen?
Nikolaus Gysis, gleich gross als Mensch wie als
Künstler, hat dich auch die Gottheit uns entführt, so
liess sie uns doch deine Werke, und deinen Ruhm wird
sie uns nicht zerpflücken. Mit ehernen Lettern steht
dein Name in der Geschichte der deutschen und vor
allem der Münchener Kunst.
 
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