Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

DOI Heft:
Nr. 7
DOI Artikel:
Stettner, Thomas: Goethe und Eugen Neureuther
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0322

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

In einem fast unauffindbar gewordenen Büchlein
»Schottky, die Kunstschätze Münchens, München 1833«
sind die Briefe veröffentlicht, welche Goethe an den
jungen Neureuther schrieb.
Der herzlich warme Ton derselben, die geradezu
väterliche Teilnahme an des jungen Freundes Künstler-
und Lebensbahn, sowie das jugendlich frische Inter-
esse für die Erscheinungen des Kunstlebens, welche
aus diesen Zeilen sprechen, müssten allein schon ge-
nügen, die Sage zu zerstreuen, als habe der greise
Goethe, nur in die eigene Grösse versunken, über
der Menschen Freud und Leid erhaben in kühler
Einsamkeit gethront. Ein Neudruck dieser' Briefe
dürfte also hiedurch gerechtfertigt erscheinen.
Uns treibt aber noch ein zweiter Grund dazu.
An dem Andenken Neureuthers, der in seinem Wesen
und in seiner Kunst die volle Liebenswürdigkeit und
innerliche Gesundheit einer glücklichen Blütezeit deut-
scher Kunst verkörpert und dieser entscheidende An-
regungen gegeben hat, ist in den letzten Jahren viel
gesündigt worden: seine wundervollen Trophäen mit
Fruchtschnüren in den Arcaden, über deren schlechte
Erhaltung schon Reber 1876 klagte, sind bei der
Renovierung der Arcaden einfach übertüncht worden,
obwohl die anspruchsvolleren Geschichtsbilder unter
dem Mangel eines vermittelnden Ornamentenschmucks
auf’s empfindlichste leiden. Ebenso wurde beim Um-
bau des Gärtnertheaters dei' grosse, von ihm gemalte
Plafond entfernt und in der Schackgallerie seine fein-
gestimmten, auf intimes Betrachten berechneten Bilder
in den dunkelsten Ecken eines Untergeschosses tot-
gehängt.
So soll denn Goethe für den, dessen erste Schritte
auf der Bahn der Kunst er liebevoll geleitet hat, auch
bei der Nachwelt seine Stimme erheben. Den Text

der Briefe muss ich nach dem (wie ich fürchte un-
genauen) Druck bei Schottky mit den kleinen Ver-

besserungen bei Straehlke (Goethe’s Briefe) geben,
da mir eine Einsicht der in Weimar liegenden Ori-
ginale aus principiellen Gründen nicht gestattet wurde.
Möchte doch bald mit diesem Prinzip gebrochen
werden, das die Hut der anvertrauten Schätze in eine
Gefangenhaltung derselben zu verwandeln droht!
Eugen Neureuther war 1823 als Siebzehnjähriger
nach München gekommen,J) wo durch Kronprinz
Ludwig der deutschen Kunst ein hoffnungsreicher
Boden bereitet war. Cornelius, der seit 1819 dort
weilte, nahm sich des Jünglings freundlich an, und als
mit Ludwigs Thronbesteigung plötzlich eine goldene
Zeit für alle Künste erwachte, als grosse kirchliche
und profane Bauten zu gleicher Zeit sich erhoben,
die des Schmuckes innen und aussen bedurften, da
war für Neureuthers junges, vielseitiges Talent reiche
Gelegenheit zur Bethätigung gegeben. Cornelius be-
schäftigte ihn zuerst beim Innenschmuck der Glypto-
thek, wo er die Arabeskenstreifen zu malen hatte,
welche die einzelnen Bilder umrahmen und inhaltlich
verbinden.
Da er aber daneben rastlos an seiner künstleri-
schen Fortbildung arbeitete, überanstrengte er sich
so, dass des Arztes Machtspruch ihm völliges Aus-
setzen aller Arbeit gebot. Jedoch dieses scheinbare
Missgeschick sollte für ihn zu einer glücklichen
Fügung sich gestalten, denn ein Aufenthalt in den
Bergen wies ihm den Weg zum Jungbrunnen der
deutschen und vornehmlich der Münchner Kunst: zur
frischen Natur und zum kernigen, ungebrochenen
Volksleben der Berge. Es war eine echte Künstler-
fahrt, die die Wandergenossen vollführten : sie gelobten
sich, auf keiner Landstrasse zu gehen, kein Bier zu
trinken und in keinem Wirtshaus einzukehren. Als sie
einmal in einer verlassenen Sennhütte von den dortigen
*) Vgl. die liebevoll geschriebene Biographie Dr. Schrickers im
XI. Band der deutschen Bundschau.
 
Annotationen