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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 10
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Seydlitz, Reinhard von: Die Renaissance-Ausstellung der Münchener Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0453

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412 —

Auktion des Oktober 1899 erinnert, wird jene psycho-
logische Studie früher schon gemacht haben und ihrer
schönen Resultate sich freudig erinnern.
Eine harte Nuss wäre es, entscheiden zu müssen,
ob die Gemälde, die Goldarbeiten, die Holzschnitzereien
oder die Hautelissewerke den „Rekord“ in Bezug auf
den Wert als Kunstobjekt verdienen. Doch ist es nicht
an uns, in den altererbten Vorrang der Malerei vor den
anderen Künsten hier Bresche zu schiessen; die Manen
eines Till Riemenschneider, eines Donatello, Cellini,
P. Vischer, der Limousins, der italienischen Majolicisten,
und vieler anderer Meister in allerlei Erz und anderem
Material werden es uns in diesen Blättern nicht ver-
übeln, wenn wir hier die Werke des Pinsels vorzugs-
weise zu rühmen bereit sind. Man kann einen kleinen
bemalten Engelskopf (mit Glasaugen noch dazu — Nr. 604,
im Besitz vonW. Clemens, Münchenjob seiner verblüffen-
den Wirkung bewundern, — man wird eine spanische oder
portugiesische Silberschale (Nr. 410, Kollektion Dr. von
Pannwitz, Münchenjwegen der ganz japanisch anmutenden
Patina bemerken, man darf sich hie und da zur Erholung
von soviel Bewunderung einmal den Genuss leisten,
zu einem Namen, einer Bemerkung des Katalogs ein
Fragezeichen zu setzen — eine Thätigkeit, die ungemein
erfrischend auf das Selbstbewusstsein wirkt; — aber wenn
dann der Blick wieder an den Wänden entlang fliegt,
wird man sogleich gewahr werden, dass man sich in
einer Versammlung von Königen befindet, und man wird,
in geistigem Sinne, den kritischen Freiheitshut auf dem
Kopf zu behalten, schwer finden. Denn vom ersten bis
zum letzten Saal empfangen uns die Fürsten der ver-
schiedenen „Schulen“, und der Beschauer findet sich
selbst in der Rolle eines Fürsten, der eine grosse Hofkour
abhält und links und rechts zu grüssen hat. Der Gruss
wird ehrfürchtig sein oder freundlich, je nach Vorliebe
oder Verständnis; aber herzlich auf alle Fälle. Dabei
ist gleichgültig ob z. B. unter den drei Tizians, die sich
hier befinden, das wundervoll mit einer souveränen
Energie hingezeichnete Porträt Franz I. uns mehr fesselt,
als das in entzückendem Silberton klar und edel ge-
malte Bild „Die Stimme der Wahrheit“; das ist Sache
des „Geschmacks“, des vielgeschmähten, den Fachleute
sich gern um der beliebten Objektivität willen ab-
gewöhnen möchten, Gott sei Dank aber meist nicht
können,' — denn dieser „Geschmack“ heisst mit eigent-
lichem Namen Sympathie; und es kommt kein Ver-
ständnis in den Menschen, als durch Liebe. —
Und um solche, die alle Alten gern in einen Topf
zusammenwerfen und dagegen der Mannigfaltigkeit
moderner Kunst Erwähnung thun, ein wenig zu necken,
machen wir sie auf ein in weicher, opalisierender Art
schwimmend hingehauchtes Bild (Art des Sodoma,
Nr. 25) aufmerksam, um gleich darauf, an der gegenüber-
liegenden Wand auf Tintorettos Venus und Mars zu
deuten; denn in letzterm Bilde haben wir eine so
„realistische“ Auffassung vor uns, dass unsre Realisten
wohl die Segel streichen dürften. Desgleichen dürfte
zu dem erwähnten historisch-erziehlichen Zweck auf
die kühne Verkürzung in der Figur des schlafenden
Hirten (T. R. Camphuysen, Nr. 72) hinzuweisen sein —
nebenbei auf den auch hier wieder herrlichen Gold-
Silberton, — und dicht daneben auf J. G. Cuyps höchst
interessantes und meisterhaft überwundenes Problem,
zwei Kinder in rot, gelb und weissen Kleidern zu malen,

und dennoch den Fleischton lebendig und glaubhaft
wirken zu lassen: das Geheimnis steckt im Ton des
Hintergrundes. Ein Kunststück als solches ist noch
nicht das höchste was Menschenkraft erzielen kann;
aber wenn das Kunststück sozusagen aufgelöst in
einem Kunstwerk sich darbietet, gebührt ihm die Palme.
Von Ph. Wouverman ist der Schimmel nicht fern-
geblieben; man freut sich, ihm hier als einem Solo-
schimmel zu begegnen, und wünscht allen Schimmeln
dieses Jammerthales eine solche Verklärung, wie sie
der Pinsel des Meisters hier geschaffen hat. Th. de
Keyser erweist sich in freundlichster Art als Vorläufer
v. d. Werffs, und verdient nicht nur deswegen wärmste
Anerkennung; aber wer A. v. d. Neer etwa aus nichts
anderem als aus dem Mondscheinstück Nr. 85 kennt,
dürfte über den trefflichen Meister ein hartes Urteil
fällen. Interessant ist dabei die dem jüngern Neer
zugeschriebene Zeichnung (Nr. 170), deren Staffage,
zwei Männer, nebst anderen Dingen lebhaft an den
„A. v. d. Neer“ bezeichneten Mondscheineffekt der
Schubartschen Sammlung (Auktionskatalog Nr. 45) er-
innert.
Aber es warten ernstere Dinge auf uns: wir be-
merken unter den van Dycks eine Himmelfahrt der
hl. Rosalie (Nr. 110) und wittern reine Rubensluft; wir
sehen in der nächsten Nummer (111) ein männliches
Porträt, welches um der Augen Willen verdiente, dass
man das Wort: dem van Dyck „zugeschrieben“ streiche.
Denn solche Augen hat, solange die Welt steht, kein
andrer gemalt, als der Shakespeare unter den Porträtisten.
Das glitschert und gleisst gallertig aus dem Kopfe hervor,
und verrät in undeutbarer Weise (hier z. B. den neu-
rasthenischen) Charakter des Dargestellten.
Rubens ist mager vertreten. Die Perlmutteratmos-
phäre auf dem Eselbilde (Nr. 105) entschädigt uns nur
halb. Auch der Umstand, dass J. Jordaens mit seinen
„Philosophen“ (Nr. 106a) einen Ribera-Rubensschen
Ton anschlägt. In der Deutschen Schule jedoch erholt
man sich hiervon. Da funkeln die grossen Gestirne:
Dürer, Holbein, Amberger, Cranach e tutti quanti in
der reinen Pracht einer Januarnacht; da auch erwärmt
man sich herzlich gern an der subtilen Ausführung
eines M. Pacher von Bruneck (Nr. 130) oder bewundert
M. Schaffners in seiner Art ganz unübertreffliches
Porträt einer Ulmerin in Pelz und feiner Haube (Nr. 138),
und bemerkt mit stillem Lächeln, wie Meister Hans
v. Schwaz (Nr. 135) sich etwas zu nahe an sein Modell
gesetzt hat, sodass die Horizontallinien gar kurz, dicht
neben dem Bilde, zusammenlaufen. Aber alles das sind
die Bemerkungen, die man „in der Familie“ macht, und
nicht nach aussen durchsickern lässt; nach aussen, — da
steht man mit dem gezogenen Schwert und ruft — mit
besserem Recht als die Herren Friesshart und Leuthold
im Teil — allen Herankommenden zu: „Hut ab! Denn
hier ist die heilige Deutsche Kunst zuhause!“ Das
Hutabnehmen war ehedem ein Zeichen der Unfreiheit:
hier ists umgekehrt — wer hier nicht ehrend sich ver-
beugt, wem hier nicht das Herz „gross wird“ wie die
Franzosen so bezeichnend sagen, der ist von der Un-
freiheit des Unverstandes nicht loszusprechen, und
bleibt Sklave des ihm durch unsere traurigen deutschen
Erziehungsumstände angebildeten Banausentums. Wir
aber, ohne deshalb pharisäisch an die Brust zu schlagen,
staunen in Ergriffenheit die wundervollen Farben eines
 
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