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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 12
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Krauss, Ingo: Das Portrait Dantes, 2, Dantes Portrait in der Bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0525

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495

unten abnimmt, bis schliesslich auf dem Erdboden die
Auserwählten unter den Menschen fussen. So sind
auch Puccis Worte zu erklären, dass Dante sich unter-
halb der Gruppe der heiligen Frauen befinde, denen er
im Range zum Throne des Weltherrschers ,,nachfolgt“.
Und so sind wir berechtigt, in dem Bargellobilde
das Portrait Dantes zu sehen, wie es Giotto von seinem
grossen Zeitgenossen geschaut hat.
Die Frage der Datierung der Malereien im Bargello
ist verschieden beantwortet worden. Einige Forscher,
z. B. Crowe und Cavalcaselle, Quilter und neuerdings
auch Henry Thode, setzen die Ausmalung der Kapelle
sehr früh, d. h. um 1302, an1)- Diese Gelehrten haben
sich durch das jugendliche Aussehen Dantes auf den
Zeichnungen Kirkups und Faltonis beeinflussen lassen.
Es ist aber schon hervorgehoben worden, dass diese
Eigentümlichkeit der beiden Kopien auf die weichliche
Geschmacksrichtung der Künstler zurückzuführen ist.
Gewiss hat auch Giotto seinen Landsmann in jüngeren
Jahren dargestellt, aber sicher nicht so knabenhaft
jugendlich. Faltonis zaghaft angedeutetes Fältchen im
Mundwinkel des Dichters bietet einen Anhalt für die
Vermutung, dass das Originalportrait energischere Linien
gezeigt hat. Das Lebensalter Dantes auf dem Fresco
hat aber überhaupt nichts mit der Zeitbestimmung zu
thun. Dass Giotto nicht den alten Dichter malte, war
durch den Gegenstand seines Bildes bedingt2). Für
das Portrait benutzte er dann Skizzen aus früheren
Jahren. Solche konnte er sehr wohl aufgenommen
haben. Um 1300 war der Künstler in Rom. Auch
Dante muss sich während dieses Jahres in der Residenz
des Papstes aufgehalten haben. Inferno XVIII. 28—33
schildert er eine Einrichtung, die man während des
anno Santo in Rom getroffen hatte, um den Andrang
nach dem St. Peter zu regeln. Hier werden sich die
beiden Florentiner begegnet sein und der Stift des Malers
die Züge des Dichters festgehalten haben. Ausserdem
hat Karl Frey glaublich gemacht, dass die Fresken im
Bargello aus stilistischen wie historischen Gründen erst
nach der Rückkehr Giottos aus Neapel, also nach 1330
oder 1331, entstanden sind.3) Damals wurde der Künstler
zum Oberbaumeister von Florenz ernannt. In dieser
einflussreichen Stellung durfte er es wagen, Dante zu
malen, obwohl dessen Familie immer noch nicht be-
gnadigt war. Um 1302, unter dem Podesta Cante de’
Gabrielli, der den Dichter zum Feuertode verurteilte,
ja überhaupt vor 1315, jenem Jahre, in dem die Feinde
Dantes selbst dessen unschuldige Söhne mit dem Tode
bedrohten, konnte Giotto nicht daran gedacht haben.
Frey entscheidet sich daher für die Zeit von 1334 bis
1337. Damit würde auch eine Inschrift in Einklang
stehen, die sich ehemals in der Magdalenenkapelle des
Bargello befand. Bezeichnend für Florentiner Sach-
>) Harry Quilter, Giotto. London 1880. Die beiden anderen locis
citatis.
2) Das Gemälde stellt in seinem unteren Teile einen politischen Akt
aus Dantes Priorenzeit dar, mutmasslich den Frieden des Kardinals Matteo
d’Acquasparta (1301).
3) K. Frey, Loggia dei Lanzi, p. 56—58.

künde ist, dass diese jetzt von ihrem Zusammenhänge
losgelöst und ins archäologische Museum gebracht
worden ist, wo sie sich in der sala delle iscrizioni be-
findet*)- Zwischen den beiden Fenstern der linken
Längswand der. Kapelle sieht man nämlich die Gestalt
des Märtyrers Venantius und unter ihr folgendes Zahlen-
fragment: DNI. ALCCC.XXX . . . , nach Angabe von
Passerini und Milanesi* 5). und: a. no. d. ni. M.CCC. a.
XX .... nach Cavalcaselle6). Ferner las man früher
ganz in der Nähe in lateinischer Unzialschrift: HOC OPUS
FACTUM FUIT TEMPORE POTESTARIE MAGN1FICI
ET POTENTIS MILITIS DOMINI FIDESMINI DE
VARANO CIVIS CAMERINENSIS HONORABILIS
POTESTATIS“ .... Durch Nachschlagen im Staats-
archive ergab sich, dass Fidesmini di Ser Rodolfo da
Varano vom 1. Juli 1337 an Podesta von Florenz war7).
In gleicher Weise wurde festgestellt, dass der hl. Venan-
tius von diesem Podesta als Schutzpatron verehrt wurde.
Die unvollständige Jahreszahl konnte mithin anstands-
los in 1337 ergänzt werden.
Der Tod Giottos am 8. Januar 1337 schliesst nicht
aus, dass der Meister noch im Bargello thätig war. Die
Hauptpersonen der Fresken sind sicher von seiner
Hand. Gehilfen und Schüler setzten dann sein Werk
fort und brachten am Schlüsse der Arbeit die Inschrift,
den Schutzheiligen und das Wappen des regierenden
Stadtoberhauptes an8 9 10).
Dass die anspruchsvolle Inschrift mit der Jahres-
zahl sich nur auf die kleine, völlig unbedeutende Figur
des Märtyrers beziehen soll, wie Crowe und Cavalcaselle
und Paur behaupten, ist nicht denkbar. Es wäre doch
mehr als wunderbar, wenn inmitten des umfangreichen
Freskenschmucks der Wände gerade das unscheinbare
Bildchen des Heiligen so ausgezeichnet sein sollte.
Zum Schluss sei noch eines Irrtums gedacht, dem
F. X. Kraus verfallen ist0). Kraus schliesst sich Freys
Datierung an, glaubt aber, seine Ansicht durch An-
führung eines Gesetzes vom 20. Juni 1329*°) erhärten zu
müssen, demzufolge kein bildnerischer Schmuck an
öffentlichen Gebäuden angebracht werden durfte, und der
vorhandene abgeschlagen werden musste. Hierbei hat
er indess übersehen, dass von dieser Anordnung alle
Bilder religiösen oder geschichtlichen Inhaltes, sowie die
Wappen der Kirche, des französischen Königs, der Stadt
Florenz und ähnliche ausgenommen werden sollten.
Vergegenwärtigt man sich nun, dass die bildende Kunst
jener Tage nur im Dienste der Kirche oder des Staates
stand, so ist ohne Zweifel, dass dieses Gesetz ganz und
garnicht die Ausschmückungen der öffentlichen Gebäude
durch Kunstwerke verbot. Die Verordnung scheint sich
vielmehr gegen die Verunzierung der Mauern und Wände
durch unberufene Hände zu richten. Giottos Gemälde
wären niemals dadurch bedroht worden.

*) Frey, Mündlicher Bericht.
5) Siehe Negroni, loc. cit. Secondo Rapp.
«) Paur, p. 321.
’) Paur, p. 321. — II. Rapporto. Negroni.
R) Frey, Logg. d. L. loc. cit.
9) F. X. Kraus, Dantes Leben.l 1171 f.
10) Gaye, Carteggio inedito. I. Appendice. II, p. 47/374. Fir. 1839
 
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