35
1889.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.
36
Neuer Sammetbrokat nach altem Muster.
Mit Abbildung.
Es ist eine eigentümliche, sehr bezeichnende Er-
scheinung, dafs in den Paramenteukammern am aller-
spärlichsten vertreten sind die Stoffe des vorigen und
besonders des gegenwärtigen Jahrhunderts bis auf die
neuesten Anschaffungen. Den Hauptbestand bilden aufser
den letzteren in der Regel die Seidendamaste des XVII.,
die gemischten Gewebe des XVI. und sogar die Sam-
mete des XV. Jahrh. Es ist geradezu erstaunlich, in
welchem Mafse gerade diese Sammele, denen man die
ihnen zugemutheten Strapazen nur zu gut ansieht, den
Jahrhunderten getrotzt haben. Und das gilt nicht nur
von den glatten und ge-
schnittenen Sammelen,
sondern nicht minder
von denherrlichenSam-
metbrokalen mit ihrem
flachen Goldgrund,
ihren aufkeimenden
Goldblumen und ihren
aufschwellenden in
mächtigen Zügen sich
entfaltenden Sammet-
musterungen. Zuerst
wohl zu hochfestlichem
Gepränge als Beklei-
dung für Thronbalda-
ch ine oder für dieWand
bestimmt, erschienen
sie auch für die Altar-
und Chorausstattung,
sowie für den priester-
lichen Ornat nicht zu
kostbar.und Jeder wird,
so oft er ein solches
Mefsgewand oder gar
einen Chormanlel am
Altare erblickt hat, die
Schönheit und Feier-
lichkeit der Wirkung
empfunden haben.
Der Wunsch, für
diese seltenen, allmäh-
lich doch aussterben-
den Gewänder einen durchaus ebenbürtigen Er-
satz zu bekommen, ist gewifs nicht neu, ganz neu aber
sind die ernsten Versuche, ihn zu gewinnen. Dafs diese
Versuche als in jeder Hinsicht gelungen zu betrachten
sind, soll dieser Artikel verkünden.
Unser hochgeschätzter Mitarbeiter Herr Maler
Stummel, der das Mittelalter auf dem kirchlichen
Kunstgebiete als einen besonders zuverlässigen Weg-
weiser betrachtet, hat angesichts der im Dome zu
Xanten zahlreich und vorzüglich erhaltenen Sammet-
Paiamente den Drang empfunden, sie mit Hülfe des
Fabrikanten Herrn Theodor Götz es in Krefeld wieder
aufleben zu machen. Der in fast ursprünglicher Frische
erhaltene Stoff eines Xantener Autependiums sollte
als Vorbild dienen nicht blofs in Bezug auf das grofse
und prächtige Granatapfelmuster, sondern auch in Bezug
auf die Technik bis in die kleinsten Verzweigungen
der Bindung. Das beste und zuverlässigste Material
wurde beschafft, keine Probe unterlassen, keine Mühe
gespart. Als glänzende Frucht liegt das 56 cm breite
und 75 cm lange Stück Sammetbrokat vor, von dessen
photographischer Aufnahme wir hier Abbildung bieten.
Er ist den allerkostbarsten Erzeugnissen der italienischen
und flandrischen Werkstätten wie in der Wirkung, so in
der Solidität durchaus ebenbürtig. Kein kleines Opfer
war es, welches die Sorge für das Material auferlegte, für
echt und säurenfrei gefärbte Seide, für durchaus soliden
Goldfaden, der in metallischer Bereitung gewählt wurde,
nicht nur, weil auch
die Alten ihn hierbei
vorgezogen haben, son-
dern auch weil der cy-
prische Faden von den
Fabrikanten, die sich
seine Pflege hatten an-
gedeihen lassen, wie-
der aufgegebenworden
ist. Es war keine ge-
ringe Mühe, bei der
Technik in Bezug auf
die Kettenbindung, in
Bezug auf den durch-
gehenden Goldschufs,
namentlich in Bezug
auf die Schleifen-
behandlung der Gold-
blumen (frise en or),
in Bezug auf die zarte
Dessinirung der Sam-
metstege, endlich in
Bezug auf die deut-
liche Musterung in der
doppelten Höhe der
Sammetflächen den
Fufsstapfen der Alten
mit ängstlicher Sorg-
falt zu folgen. — Aber
das Resultat hat alle
Arbeit gelohnt undjetzt
handelt es sich nur
noch darum, dafs ihm Eingang verschafft werde in unsern
kirchlichen Festgebrauch. Dazu sind freilich, insofern es
sich um diesen Stoff allerersten Ranges handelt, erhebliche
Geldmittel nöthig, die indessen wiederum klein erscheinen,
wenn die Jahrhunderte zur Erwägung kommen, für die er
ausreichen wird, gegenüber den Jahrzehnten, auf die mit
den bisherigen Stoffen höchstens gerechnet werden durfte.
Es wird daher der Hoffnung Ausdruck gegeben werden
dürfen, dafs die reichen Mittel bevorzugter Kirchen
oder frommsinniger Stifter auch in dieser Hinsicht wieder
an die glanzvollen Traditionen des Mittelalters anknüpfen
werden. — Nachdem aber der Krefelder Weber dieser
Aufgabe sich gewachsen gezeigt hat, kann es keinem
Zweifel mehr unterliegen, dafs auch einfachere figurirte
Sammele, deren Kosten nur den dritten oder vierten
Theil des vorliegenden betragen, von ihm mit Sicher-
heit zu erwarten sind. Schnütgen.
1889.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.
36
Neuer Sammetbrokat nach altem Muster.
Mit Abbildung.
Es ist eine eigentümliche, sehr bezeichnende Er-
scheinung, dafs in den Paramenteukammern am aller-
spärlichsten vertreten sind die Stoffe des vorigen und
besonders des gegenwärtigen Jahrhunderts bis auf die
neuesten Anschaffungen. Den Hauptbestand bilden aufser
den letzteren in der Regel die Seidendamaste des XVII.,
die gemischten Gewebe des XVI. und sogar die Sam-
mete des XV. Jahrh. Es ist geradezu erstaunlich, in
welchem Mafse gerade diese Sammele, denen man die
ihnen zugemutheten Strapazen nur zu gut ansieht, den
Jahrhunderten getrotzt haben. Und das gilt nicht nur
von den glatten und ge-
schnittenen Sammelen,
sondern nicht minder
von denherrlichenSam-
metbrokalen mit ihrem
flachen Goldgrund,
ihren aufkeimenden
Goldblumen und ihren
aufschwellenden in
mächtigen Zügen sich
entfaltenden Sammet-
musterungen. Zuerst
wohl zu hochfestlichem
Gepränge als Beklei-
dung für Thronbalda-
ch ine oder für dieWand
bestimmt, erschienen
sie auch für die Altar-
und Chorausstattung,
sowie für den priester-
lichen Ornat nicht zu
kostbar.und Jeder wird,
so oft er ein solches
Mefsgewand oder gar
einen Chormanlel am
Altare erblickt hat, die
Schönheit und Feier-
lichkeit der Wirkung
empfunden haben.
Der Wunsch, für
diese seltenen, allmäh-
lich doch aussterben-
den Gewänder einen durchaus ebenbürtigen Er-
satz zu bekommen, ist gewifs nicht neu, ganz neu aber
sind die ernsten Versuche, ihn zu gewinnen. Dafs diese
Versuche als in jeder Hinsicht gelungen zu betrachten
sind, soll dieser Artikel verkünden.
Unser hochgeschätzter Mitarbeiter Herr Maler
Stummel, der das Mittelalter auf dem kirchlichen
Kunstgebiete als einen besonders zuverlässigen Weg-
weiser betrachtet, hat angesichts der im Dome zu
Xanten zahlreich und vorzüglich erhaltenen Sammet-
Paiamente den Drang empfunden, sie mit Hülfe des
Fabrikanten Herrn Theodor Götz es in Krefeld wieder
aufleben zu machen. Der in fast ursprünglicher Frische
erhaltene Stoff eines Xantener Autependiums sollte
als Vorbild dienen nicht blofs in Bezug auf das grofse
und prächtige Granatapfelmuster, sondern auch in Bezug
auf die Technik bis in die kleinsten Verzweigungen
der Bindung. Das beste und zuverlässigste Material
wurde beschafft, keine Probe unterlassen, keine Mühe
gespart. Als glänzende Frucht liegt das 56 cm breite
und 75 cm lange Stück Sammetbrokat vor, von dessen
photographischer Aufnahme wir hier Abbildung bieten.
Er ist den allerkostbarsten Erzeugnissen der italienischen
und flandrischen Werkstätten wie in der Wirkung, so in
der Solidität durchaus ebenbürtig. Kein kleines Opfer
war es, welches die Sorge für das Material auferlegte, für
echt und säurenfrei gefärbte Seide, für durchaus soliden
Goldfaden, der in metallischer Bereitung gewählt wurde,
nicht nur, weil auch
die Alten ihn hierbei
vorgezogen haben, son-
dern auch weil der cy-
prische Faden von den
Fabrikanten, die sich
seine Pflege hatten an-
gedeihen lassen, wie-
der aufgegebenworden
ist. Es war keine ge-
ringe Mühe, bei der
Technik in Bezug auf
die Kettenbindung, in
Bezug auf den durch-
gehenden Goldschufs,
namentlich in Bezug
auf die Schleifen-
behandlung der Gold-
blumen (frise en or),
in Bezug auf die zarte
Dessinirung der Sam-
metstege, endlich in
Bezug auf die deut-
liche Musterung in der
doppelten Höhe der
Sammetflächen den
Fufsstapfen der Alten
mit ängstlicher Sorg-
falt zu folgen. — Aber
das Resultat hat alle
Arbeit gelohnt undjetzt
handelt es sich nur
noch darum, dafs ihm Eingang verschafft werde in unsern
kirchlichen Festgebrauch. Dazu sind freilich, insofern es
sich um diesen Stoff allerersten Ranges handelt, erhebliche
Geldmittel nöthig, die indessen wiederum klein erscheinen,
wenn die Jahrhunderte zur Erwägung kommen, für die er
ausreichen wird, gegenüber den Jahrzehnten, auf die mit
den bisherigen Stoffen höchstens gerechnet werden durfte.
Es wird daher der Hoffnung Ausdruck gegeben werden
dürfen, dafs die reichen Mittel bevorzugter Kirchen
oder frommsinniger Stifter auch in dieser Hinsicht wieder
an die glanzvollen Traditionen des Mittelalters anknüpfen
werden. — Nachdem aber der Krefelder Weber dieser
Aufgabe sich gewachsen gezeigt hat, kann es keinem
Zweifel mehr unterliegen, dafs auch einfachere figurirte
Sammele, deren Kosten nur den dritten oder vierten
Theil des vorliegenden betragen, von ihm mit Sicher-
heit zu erwarten sind. Schnütgen.